EU, Green Deal, Bauernproteste
Die Bauernproteste waren erfolgreich darin, die geplante Pestizidverordnung der EU zu kippen.
IMAGO/David Canales / SOPA Image

Einen Monat ist es her, dass die freiheitlichen Bauern in Österreich zur "Fahrt nach Wien" aufriefen. Vorbild waren die Bauernproteste in Deutschland. "Bauern sind keine Knechte" lautete der Leitspruch der Aktion. Sie stellte sich unter anderem gegen den Green Deal, der heimische Produkte gefährde, die Mineralölsteuer auf Diesel für landwirtschaftliche Betriebe und Gentechnik. Im Vergleich zu den Protesten in anderen EU-Ländern fiel die Aktion jedoch eher bescheiden aus: Gerade einmal elf Traktoren und rund hundert Teilnehmer kamen zu dem Protest auf den Ballhausplatz.

Dennoch drückt die Aktion viel von der zunehmenden Abwehrhaltung aus, die sich rund um die grünen Maßnahmen aus Brüssel breitmacht. Eine "Art Klimadiktatur" sei auf dem Vormarsch, die den Bürgern das Äußerste an Belastungen abverlangen werde, sagte der FPÖ-EU-Spitzenkandidat Harald Vilimsky kürzlich in einer Aussendung. Ähnlich formulierte es die AfD in Deutschland: Klimaschutzmaßnahmen, wie sie von der EU vorangetrieben werden, würden zu hohen Energiepreisen und einem Verlust an Wohlstand und Jobs führen.

Energiewende als Revolution

Auch in vielen anderen EU-Ländern protestierten Landwirte, Unternehmen, Politikerinnen und andere Gruppen in den vergangenen Monaten gegen Maßnahmen des Green Deals der EU. Dessen Ziel ist es, bis 2050 klimaneutral zu werden. Bis 2040 sollen 90 Prozent der Emissionen reduziert werden – ein Vorschlag, der allerdings erst noch von den Mitgliedsstaaten abgesegnet werden muss. Viele Kritikerinnen und Kritiker sehen im Green Deal einen zu großen Einschnitt und fordern einen Stopp weiterer Maßnahmen. In vielen Ländern wächst deshalb kurz vor der Europawahl im Juni eine Anti-EU-Haltung, von der laut Experten vor allem rechtspopulistische Parteien profitieren könnten.

"Greenlash" nennt die italienische Politikwissenschafterin Nathalie Tocci diese Entwicklung: eine Kombination aus green (grün) und Backlash (Rückschlag). "Die Energiewende ist mit einer Revolution vergleichbar: Sie führt zu Gewinnern, aber auch zu Verlieren", sagt Tocci, die Direktorin des Istituto Affari Internazionali (IAI) in Rom ist, dem STANDARD. Es sei erwartbar gewesen, dass die Verlierer oder die, die sich als Verlierer fühlen, ihre Stimmen hörbar machen. "Noch nie zuvor hat es einen derart großen Widerstand gegen grüne Maßnahmen gegeben."

Tocci, Greenlash
Die italienische Politikwissenschafterin Nathalie Tocci bezeichnet die aktuellen Widerstände als "Greenlash".
Robert NewaldRobert Newald Photo

Viel Ärger und Beschwerden

In einem halben Dutzend EU-Ländern gingen in den vergangenen Monaten Landwirte auf die Straße, die auch ihrem Ärger über "regulatorische Normen aus Brüssel" Luft machten. In Deutschland brach im vergangenen Jahr ein Streit über eine angebliche "Wärmepumpenpflicht" ab 2029 durch die EU aus, die in Wahrheit eine Idee für neue Effizienzanforderungen an Heizungen war, an deren Ausarbeitung auch die deutsche Bundesregierung beteiligt war.

Italiens rechte Regierung unter Giorgia Meloni sprach sich in den letzten Monaten gegen eine Reihe von Maßnahmen des Green Deals aus, darunter eine Regulierung zur Energieeffizienz von Gebäuden, zum geplanten Verbrenner-Aus und zum generellen Ziel zur Treibhausgasreduktion. Viele der Maßnahmen würden der lokalen Wirtschaft schaden, so Meloni.

Polens rechte Regierung wiederum ging gegen einige Maßnahmen aus Brüssel kürzlich sogar vor Gericht vor: Das Land reichte eine Beschwerde beim Gerichtshof der Europäischen Union zu den Plänen der EU ein, ab 2035 keine neuen Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen.

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gibt auf manche Maßnahmen des Green Deals der EU wenig.
REUTERS/REMO CASILLI

Verunsicherung und Ängste

"Dass es plötzlich so viel Widerstand gibt, ist grundsätzlich kein schlechtes Zeichen", sagt Tocci. Denn das zeige, dass die Veränderungen nun tatsächlich bei den Menschen und Unternehmen ankommen. Statt eher abstrakten Maßnahmen wie dem Emissionshandel seien viele Maßnahmen innerhalb des Green Deals, wie das Aus für Autos mit Verbrennungsmotoren, nun wesentlich konkreter und spürbarer geworden. Das rufe auch neue Verunsicherung und Ängste hervor.

Laut einer Eurobarometer-Studie von 2022 denken zwar 57 Prozent der Menschen in der EU, dass Klimaschutzmaßnahmen künftig mehr Jobs schaffen als vernichten. Allerdings gehen nur 46 Prozent davon aus, dass nachhaltige Energie und Produkte auch für alle leistbar sein werden. Viele geben an, sich wegen der Kosten für Klimaschutzmaßnahmen zu sorgen.

Trend nach rechts

Eine andere Studie der Organisation Project Tempo von November 2023 kam zu dem Ergebnis, dass vor allem Wählerinnen und Wähler, die finanzielle Sorgen haben und sich von der Politik entfremdet fühlen, zu jenen gehören, die sich am meisten am Widerstand gegen grüne Maßnahmen beteiligten. Diese "vergessenen Wähler" machen laut Studie rund 20 bis 30 Prozent der Wählerschaft in der EU aus, weshalb sie auch für die kommende Europawahl entscheidend sein könnten.

"Es ist durchaus wahrscheinlich, dass sich die politische Orientierung bei der EU-Wahl dadurch nach rechts verschiebt", sagt Tocci. Denn gerade rechtspopulistische Parteien würden diesen Greenlash nutzen, um die Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen. Dabei geht es nicht darum, den Klimawandel zu leugnen, sondern auf die Ungleichheiten und die Schäden an der Industrie hinzuweisen, die Klimaschutzmaßnahmen angeblich anrichten. Laut einem Bericht des Europäischen Rats für Auswärtige Beziehungen könnte ein solcher Rechtsschub im Parlament dafür sorgen, dass sich eine starke Koalition gegen neue Klimaschutzmaßnahmen bildet.

Verwässerte Maßnahmen

"Es gibt bereits jetzt viele Zeichen dafür, dass Klima- und Umweltschutzmaßnahmen durch einen Greenlash abgeschwächt wurden", sagt Tocci. Nach dem Druck der Bauernproteste zog die EU-Kommission kürzlich die geplante Verordnung zur Verringerungen von Pestiziden zurück. Laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sei die Verordnung zum "Symbol für die Polarisierung" geworden. Die Verordnung hatte vorgesehen, den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft bis 2030 um 50 Prozent zu verringern. Zudem müssen Landwirte 2024 nun nicht wie geplant vier Prozent ihrer Agrarflächen stilllegen. Diese Maßnahme sollte Rückzugsräume für Pflanzen und Tiere schaffen.

Ähnliche Kompromisse erzielte auch die Autoindustrie. Anstatt das Aus für alle Verbrenner ab 2035 festzulegen, um damit den Verkauf von E-Autos zu fördern, brachten die Industrie und die deutsche Bundesregierung in letzter Minute eine Ausnahme ein: Autos, die mit CO2-neutralen synthetischen Kraftstoffen betrieben werden, sind von diesem Verbot ausgenommen. Solche E-Fuels sind derzeit aber eher noch ein Nischenmarkt und unter Klimaschützern umstritten.

Je mehr Eingriff, desto weniger Zustimmung

Schon jetzt hinkt die EU hinter ihrem ersten Ziel nach, bis 2030 ihre CO2-Emmissionen im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent zu verringern. Laut einer kürzlichen Aussendung des EU-Klimabeirats müssen Emissionen in den kommenden Jahren drastisch sinken, um dieses Ziel noch zu erreichen. Dafür brauche es auch Veränderungen in der Landwirtschaft und bei der Energieeffizienz von Gebäuden – Maßnahmen, die politisch nicht immer populär sind.

Eine Studie des britischen Meinungsforschungsinstituts Yougov von vergangenem Jahr, die in sieben europäischen Ländern durchgeführt wurde, zeigte: Je mehr eine Klimaschutzmaßnahme zu Veränderungen im Lebensstil der Menschen führen würde, desto weniger Zustimmung erhielt sie. Während das Pflanzen von Bäumen in Städten oder das Verbot von Einwegplastik durchwegs positiv gesehen wurde, stieß eine höhere Treibstoffsteuer oder eine Erhöhung von Flugpreisen auf besonders große Ablehnung.

Dekarbonisierung versus Naturschutz

Dennoch: Der Großteil der Bevölkerung sorgt sich um die Auswirkungen des Klimawandels. "Die grüne Agenda wird nicht so schnell wieder aus dem Blickfeld verschwinden", sagt Tocci. Ideologische Motive reichen für eine Umsetzung aber meist nicht aus – "es muss auch finanziell Sinn ergeben". Während sich hinter der Dekarbonisierung mittlerweile ein großer Teil der Privatwirtschaft versammelt habe, die darin auch gute Geschäftsmöglichkeiten sieht, fehle diese Unterstützung häufig beim Naturschutz und in der Landwirtschaft. "Es ist für Unternehmen schwieriger zu sehen, welches Geschäft sie mit Naturschutz machen können."

Um einen Greenlash künftig abzufedern, brauche es laut Tocci mehr Unterstützung für Haushalte und Unternehmen, die sich notwendige Veränderungen und Anpassungen nur schwer leisten können. "Die Mittel, die die EU derzeit in solchen Sozialfonds zur Verfügung stellt, sind mickrig im Vergleich zu dem, was wir noch brauchen."

Zugleich brauche es aber auch eine richtige Kommunikation: dass es nicht nur Klimaschutzmaßnahmen sind, die Kosten verursachen, sondern vielmehr der Klimawandel selbst und das Fehlen solcher Maßnahmen. "Menschen spüren die Auswirkungen der Klimaschutzmaßnahmen. Aber noch mehr spüren sie heute schon die Auswirkungen des Klimawandels." (Jakob Pallinger, 23.2.2024)