Wenn der Artillery Sidewinder X3 funktioniert, dann sind große Teile wie das etwas grell geratene Dach dieser Panzerwanne und die Ketten in kürzester Zeit in guter Qualität gedruckt. Der Rest der Teile stammt aus einem Resin-Drucker.
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3D-Drucker für Einsteiger sind ein Widerspruch in sich: Die traditionellen Bettschubser haben einfach zu viele bewegliche Teile. Ausfälle gehören da eigentlich immer mit dazu. Eine lockere Schraube, eine verstopfte Düse oder Probleme mit der Betthaftung sind meistens schnell korrigiert, man muss aber wissen wie und welches Teil genau betroffen ist. Dazu kommt, dass Drucke oft an mehreren Faktoren scheitern können, was die Fehlersuche zusätzlich erschwert.

Das heißt für Einsteiger: Viele Tutorials schauen, viel nachlesen und viel Tüftelei. Der chinesische Hersteller Artillery möchte dem angehenden 3D-Druck Enthusiasten mit seinem Sidewinder X3 Plus all diese Probleme abnehmen. Leider schafft das Gerät dadurch so viele neue mehr, dass Einsteiger daran verzweifeln dürften. Auskenner mitunter leider auch.

Aufgebaut in 20 Minuten

Auf dem Papier ist der Artillery Sidewinder X3 Plus das perfekte Paket für die ersten Gehversuche als Maker oder darüber hinaus: Der Drucker kommt weitestgehend vormontiert bei der Kundschaft an. Und tatsächlich ist der Zusammenbau in unter 20 Minuten zu schaffen. Rahmen auf die Basisplatte mit dem Druckbett stecken und festschrauben, Stützen montieren, Filamenthalter dazu und Bildschirm einstecken und der 3D-Drucker ist startklar. Jeder, der drei Legosteine übereinander bauen kann, sollte mit dem Aufbau des Sidewinder X3 Plus spielend zurechtkommen. Das hat man noch vor wenigen Jahren deutlich aufwendiger und komplizierter erlebt.

Größenvergleich: Der Artillery Sidewinder X3 Plus (links) neben einem modifizierten Ender 3 Pro.
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Für Vorfreude auf das erste Druckprojekt sorgt aber nicht nur der spielend leichte Aufbau, denn auch der Bauraum des Plus-Modells verspricht Entfaltungsmöglichkeiten: Mit 300 x 300 x 400 Millimeter sind selbst große Modelle überhaupt kein Problem. Das führt aber auch logischerweise dazu, dass der Sidewinder X3 Plus auch einiges an Platz voraussetzt, jedenfalls war die Werkbank des STANDARD-Testers schon fast ein wenig zu schmal. Dazu kommt noch ein 4,3-Zoll-Touchscreen an einem Spiralkabel und eine doch recht flotte maximale Druckgeschwindigkeit von 300 Millimetern pro Sekunde. Auf einen Bowden-Extruder hat Artillery glücklicherweise verzichtet und setzt stattdessen auf Direct Drive. Das bedeutet, dass der X3 auch TPU drucken kann. Maximal wird die Düse übrigens 300 Grad heiß, das Druckbett lässt sich auf bis zu 100 Grad aufheizen. Damit ist der Drucker auf für die Verwendung von PETG geeignet.

Der Artillery Sidewinder X3 Plus hat eine LED-Beleuchtung im Druckkopf und eine Druckbettbeleuchtung. Auf der großen Druckplatte wirkt unser kleines Benchy fast verloren.
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Prominentestes Feature ist aber die Reinigungsfunktion für die Düse. Stellt man den Reinigungsmodus ein, heizt das Hotend auf und reibt mehrfach über eine Art Radiergummi am Ende des Druckbettes. Das so abgeschabte Material landet in einem kleinen Müllbehälter im Gehäuse des Druckers.

Das alles klingt nach einem traumhaften Angebot, zumal der Drucker mittlerweile schon für unter 300 Euro zu haben ist. Vielleicht ist das auch die Erklärung für die vielen Probleme, die sich im Test mit dem Gerät auftaten, denn es scheint, als hätte man aus Kostengründen an einer Ecke zu viel gespart. Denn das auf dem Papier perfekte Gerät weist so viele Qualitätsmängel auf, dass man es nur schwerlich als anfängertauglich bezeichnen, oder ruhigen Gewissens eine Empfehlung aussprechen kann.

Falsches Handbuch

Das geht beim Handbuch los: In einem Abschnitt wird erklärt, mit welchen Parametern man den Drucker in der Slicersoftware Cura hinzufügen muss. Nur leider sind die Maße falsch, was sich in einem deutlich verkleinerten Druckbereich bemerkbar macht. Anscheinend hat sich hier die Anleitung des kleineren Bruders des X3 Plus in die Packung verirrt. Für Fortgeschrittene kein Malheur, ein Anfänger wird den Fehler aber vielleicht nicht gleich erkennen. Auch auf der Website von Hersteller Artillery wird im Downloadbereich das falsche Handbuch angeboten.

Hier wurden die Schrauben einfach zwischen die Kühlrippen gedreht. Hält auch, elegant ist es nicht.
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Weil wir ohnehin schon auf der Seite herumsurfen, laden wir gleich die aktualisierte Firmware für den Drucker herunter. Angeboten wird ein Update für das TFT-Display und eine Datei für den Drucker selbst. Die dazugehörige Anleitung in schlecht übersetztem Englisch gibt Aufschluss über das Update-Prozedere. Die Dateien müssen nacheinander umbenannt und auf die mitgelieferte Speicherkarte geladen werden. Beim Update für das Display funktioniert das, beim Drucker selbst nach mehreren Anläufen nicht. Na gut, dann bleibt eben die alte Software am Gerät.

Nivellierung mit Luft nach oben

Es folgt das übliche Vorgehen: Die Druckplatte wird über nicht vier, sondern sechs Schrauben manuell nivelliert, wobei die mittleren Schrauben besonders feine Einstellungen ermöglichen sollen, in der Praxis kann man darauf aber auch verzichten. Die Messpunkte steuert der Drucker vollautomatisch an. Nett. Anschließend wird das Druckbett noch einmal mit dem kontaktlosen Sensor des automatischen Bed Levelings (ABL) ausgerichtet.

Ärgerlich: Pausiert man den Druck und setzt ihn später fort, kommt es zu einer Stufenbildung.
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Eigentlich sollte jetzt gleich die perfekte erste Schicht auf dem Federstahl-Druckbett landen. Tut sie aber nicht, denn das Filament erreicht seinen Zielort nicht, weil die Düse locker zwei Millimeter über dem Druckbett schwebt. Genau das sollte nach dem Leveling eigentlich nicht passieren. Tatsächlich muss wieder manuell eingegriffen werden, denn die Abweichung der Z-Achse schreit nach einer Korrektur nach unten. Der Verdacht drängt sich auf, dass der ABL-Sensor falsche Daten liefert, denn das Problem trat im mehrwöchigen Testzeitraum bei jedem einzelnen Druck auf. Auch hier: Kein Malheur, aber ein Fehler, den Anfänger nicht so schnell finden werden.

Der erste Drucktest weiß durchaus zu gefallen: Das Benchy-Booterl wird in weniger als 20 Minuten gedruckt, es wurden keine Fäden gezogen, die Brückendistanz scheint zu stimmen und auch die Layer selbst liegen ordentlich übereinander. Immerhin: Nach ein wenig Tüftelei ein sauberer Druck. Es sollte der Erste und Einzige für eine sehr lange Zeit bleiben.

Nächstes Projekt: Dutzende Farbhalter für die Lochwand müssen her, weil der Tester gerade umgezogen ist und schon viel zu lange schon den Miniaturen-Pinsel nicht geschwungen hat. Doch der X3 Plus muckt plötzlich auf. Bei höheren Geschwindigkeiten fallen plötzlich die Einstellschrauben des Druckbetts ab, die ganze Konstruktion scheint plötzlich mit einer unerfreulichen Intensität zu vibrieren. Überflüssig zu erwähnen, dass die Druckaktionen so natürlich scheitern.

Die schiefe Achse

Es stellt sich heraus, dass die Druckplatte extrem wackelt, wenn sie ganz nach vorne geschoben wird, während sie nach hinten hinaus schon fast zu fest sitzt. Das ist neu: Also macht der eigentlich nicht ganz unerfahrene Tester, was alle Maker früher oder später tun: Reddit durchforsten. Lange muss man nicht suchen, denn das Problem scheint bei X3-Serie nicht neu zu sein. Viele Geräte wurden offenbar mit einer schiefen Y-Achse ausgeliefert. Wie so etwas durch eine Qualitätskontrolle kommt, ist dem Tester zu diesem Punkt noch schleierhaft. Bald würden wird er sich jedoch über gar nichts mehr wundern.

Der Versuch einer Illustration: Die Y-Achse war völlig schief.
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Also: Druckbett abschrauben (was gar nicht so einfach ist) das bereitgelegte Lineal muss nicht mehr angelegt werden, die Biegung ist mit freiem Auge zu erkennen. Zum Glück war das Problem relativ rasch behoben, denn die Achse war einfach zu fest angeschraubt. Schrauben gelöst, mit ein wenig Gefühl wieder angezogen und siehe da, alles wieder im Lot. Die Malheur-Alarmstufe springt aber von Grün auf Gelb.

Eine krumme Bohrung

Natürlich muss an dieser Stelle das Druckbett erneut nivelliert werden, die Routine ist aber mittlerweile schon im Muskelgedächtnis verankert und läuft fast schon automatisiert ab. Der nächste Druck scheint zu funktionieren: Die erste Schicht liegt glatt und ohne unansehnliche Beulen auf dem Druckbett. Der 3D-Druck-Afficionado geht zufrieden zu Bett und träumt von seiner bald schon mit allerlei Farbtöpfchen aus englischer und spanischer Edel-Herstellung bestückten Lochwand. Doch der Traum platzt am nächsten Morgen: Irgendwann hat sich die Düse dazu entschlossen, kein Filament mehr auszuspucken. Die erste Schicht liegt immer noch perfekt am Druckbett, während der Druckkopf schon zentimeterweit darüber wirkungslos hin- und her zuckt.

Die Verarbeitungsqualität der nicht sichtbaren Bauteile ist erschreckend.
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Wie sich herausstellt, lag der Fehler diesmal in der Filamentzuführung. Für die Wissenschaft zerlegen wir den Druckkopf. Wie sich herausstellt, stimmt die Anschlusstelle vom Extruder zum Hotend nicht ganz zusammen. Hier wurde ein wenig schief gebohrt und das Filament schaffte es nicht mehr bis zur Düse, weil der Faden einfach hängen blieb. Generell ist die Verarbeitungsqualität des Innenlebens erschreckend schlecht: Grate, schiefe Kanten und nur mit Gewalt wieder zusammenzufügende Teile wirken nicht gerade vertrauenserweckend. Wenn man von dem Fehler weiß, ist auch das kein gravierendes Problem: Man muss nur sicherstellen, dass das Filament auch wirklich bis zur Düse kommt. Dazu kann man nämlich auch die Onboard-Software zum Einspannen des PLAs bemühen. Dafür sind oft mehrere Anläufe nötig, weil der Faden eben gerne hängen bleibt. Nicht wirklich gravierend, aber lästig. Und langsam wächst die Frustration.

Der Filamentsensor, ein Graus

Nächster Versuch. Wieder passt die Grundschicht nahezu perfekt, ein fertiges Modell gibt es dennoch nicht. Diesmal hat der Drucker von selbst aufgehört zu arbeiten. Ein Blick auf das Display bestätigt: Der Filamentsensor hat gemeldet, dass der Nachschub an Druckmaterial ausgeht und dann pflichtgemäß den Vorgang pausiert. Doch leider war die Spule noch mehr als Dreiviertel voll. Der Filamentsensor erwies sich im Test leider als völlig unbrauchbar und stoppte immer wieder den Druck, obwohl noch genug Material vorhanden war. Irgendwann reicht es und wir ziehen dem Störenfried den Stecker.

Der Filamentsensor gibt ständig Fehlalarme und stoppt daraufhin den Druck.
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Anscheinend hatte irgendwann der 3D-Drucker selbst keine Lust mehr und beschloss seine Existenz auf dieser Erde zu beenden. Denn plötzlich begann geschmolzenes Filament aus allen Ritzen des Druckkopfs zu treten. Offenbar ist die Anschlussstelle zur Düse irgendwie undicht geworden. Der gesamte Druckkopf ist plötzlich mit einem Filamentbatzen in der Größe einer Kinderfaust verklebt. Wie sich herausstellte hatte sich einer der beiden Schrauben gelockert, die eigentlich die Düse samt Kühlgerippe in Position halten sollte. Die Zeichen stehen auf Totalschaden, aber so leicht lassen wir den Artillery Sidewinder X3 nicht auf auf die ewigen Elektroschrott-Jagdgründe entfleuchen. Der Schaden ließ sich eingermaßen beheben, indem wir die Düse auf 300 Grad, die Maximaltemperatur aufheizten. Das machte das Filament so weich, dass es abgezogen werden konnte. Leider riss dabei eines der Kabel für die Temperaturregelung der Düse. Nach einer intensiven Behandlung mit dem Lötkolben funktioniert auch das wieder.

Plötzlich leckgeschlagen: Der Druckkopf.
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Wie druckt er denn nun?

Das Erstaunliche: Seit dieser Rosskur arbeitet der X3 Plus plötzlich ohne das Testerleben unerträglich zu machen. Denn wenn der Artillery Sidewinder X3 einmal funktioniert, dann gibt es an dem Gerät eigentlich nichts auszusetzen. Das große Druckbett wird an allen Stellen gleichmäßig heiß, ein Punkt an dem viele Konkurrenzmodelle scheitern. Der Druck ist meist schnell und sauber, wobei im Test PLA von Overture deutlich bessere Resultate lieferte als jenes von Elegoo, was deshalb interessant ist, weil es beim Ender 3 genau umgekehrt ist. Nach mehreren Wochen ist selbst die Lochwand dank der Werkstücke aus dem X3 fertig geworden. Ja, sogar die großen Teile für das Proxy-Modell eines Baneblade-Panzers für eine Runde "Warhammer 40k" spuckt der X3 plötzlich ohne gröbere Schwierigkeiten aus.

Detailaufnahme eines durchaus gelungenen Modells.
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Fazit: Zu viele Mängel

Wie viele Nächte habe ich mir mit Gabelschlüssel und Schraubenzieher (fürs Forum: Schraubendreher) um die Ohren geschlagen, um den X3 Plus zum Laufen zu bringen? Es müssen einige gewesen sein. Ich war kurz davor den Test abzubrechen und das Gerät zum Wohle der Menschheit dem Recycling zuzuführen. Doch siehe da: Sind einmal all die kleinen Probleme ausgemerzt, läuft der 3D-Drucker nahezu perfekt und macht meinem geliebten Ender 3 Pro mittlerweile ernsthafte Konkurrenz – schon allen wegen dem großem Bauraum.

Würde ich den X3 Plus weiterempfehlen? Auf gar keinen Fall und schon gar nicht für Anfänger. Der Qualitätskontrolle bei Artillery sind dafür einfach viel zu viele Mängel entgangen. Und schaut man sich in einschlägigen Foren um, dann wird schnell klar, dass es sich bei unserem Testmodell nicht um einen Einzelfall handelt.

Farbhalter: Für die Massenherstellung derartiger Kleinteile ist der X3 Plus durchaus gut geeignet, wenn er denn funktionert.
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Auch aus einem zweiten Grund, würde ich von dem Artillery Sidewinder X3 Plus abraten. Aktuell sind nämlich Ersatzteile (und die wird man garantiert brauchen) kaum zu bekommen. Das liegt daran, dass sich einige nunmehr ehemalige Artillery-Ingenieure selbstständig gemacht haben und nun auf eigene Faust 3D-Drucker herstellen. Durch einen Urheberrechtsstreit zwischen Artillery und dem neu gegründeten Unternehmen kommt es aktuell zu Lieferengpässen. Da nützt auch der sehr günstige Preis von aktuell 276 Euro (direkt beim Hersteller) wenig. (Peter Zellinger, 24.2.2024)