Julian Valerio Rehrl (li.) spielt Jacob, der denkt, er sei eigentlich Céline Dion. In der Psychiatrie freundet er sich mit Philippe (Dominic Oley) an, der als Weißer denkt, er sei schwarz.
Julian Valerio Rehrl (li.) spielt Jacob, der denkt, er sei eigentlich Céline Dion. In der Psychiatrie freundet er sich mit Philippe (Dominic Oley) an, der als Weißer denkt, er sei schwarz.
Moritz Schell

Der eine Teenager denkt, er sei Céline Dion. Der andere hält sich für einen Schwarzen, obwohl er ein Weißer ist. In Sandra Cerviks Adaption von Yasmina Rezas Stück James Brown trug Lockenwickler, das am vergangenen Freitag in den Kammerspielen der Josefstadt erstaufgeführt wurde, scheint sich niemand so richtig von der Biologie einschüchtern zu lassen. Die Hauptdarsteller Julian Valerio Rehrl und Dominic Oley im Gespräch über Identität, politische Korrektheit und die Schauspielkunst.

STANDARD: Herr Rehrl, Sie verkörpern einen jungen Mann, der sich für Céline Dion hält. Wie geht das?

Rehrl: Man muss sich überlegen, was die Figur überhaupt will und in welchen Beziehungsdynamiken sie steht. In meinem Fall war das Vorbild die reale Person Céline Dion. Ich habe mir viele Konzerte und Interviews mit ihr angesehen. Manche Sachen konnte ich übernehmen, andere nicht. Aber das Tolle an der Figur ist, dass ich gar nicht Céline Dion spielen muss. Sondern nur jemanden, der glaubt, sie zu sein. Ich kann sie also sehr persönlich an mich heranholen.

STANDARD: Herr Oley, Sie spielen einen Weißen, der denkt, er sei ein Schwarzer. Wie versetzt man sich in eine solche Rolle?

Oley: Man kann davon ausgehen, dass er es nicht aus kultureller Aneignung macht. Sondern wahrscheinlich – das ist meine Projektion –, weil er ein traumatisches Erlebnis verdrängen muss und sich daher eine noch größere Folie des Leides überstreift. Er nimmt das Leid einer ganzen Bevölkerungsgruppe auf sich, um seine eigene Biografie aufzulösen.

STANDARD: Auch wenn die Figur nicht aus kultureller Aneignung handelt – das Stück handelt doch davon?

Oley: Das Stück ist nicht dafür da, den Identitätsdiskurs in allen Punkten zu verhandeln. Es arbeitet mit einer ironisch-kruden Art der Überhöhung und macht einen Diskursraum auf, in dem vieles stattfinden kann.

STANDARD: Ist das Stück politisch korrekt?

Oley: Es ist nicht bewusst inkorrekt. Das Stück ist so, wie Frau Reza es geschrieben hat. Sie hat eine gewisse Eigenart in ihrem kulturellen Verständnis.

STANDARD: Wie haben Sie es beim Lesen empfunden?

Rehrl: Man kann natürlich allem etwas vorwerfen. Wenn man aber gar keine Spannungen aushält, kommt man nirgends hin. Es muss nicht alles aufgelöst werden. Alle Seiten zu zeigen und dem Zuschauer selbst zu überlassen, wie das zu bewerten ist, finde ich viel interessanter.

STANDARD: Ist eine Nichtpositionierung nicht auch eine Positionierung?

Oley: Das muss sich das Stück auch vorwerfen lassen. Reza muss sich das vorwerfen lassen, sie hat letztendlich keine Position bezogen. Das Publikum darf die Entscheidung treffen. Ich mag es eigentlich nicht, wenn man mich im Theater darüber belehren möchte, wie die Welt funktioniert. Ich will lieber sehen, wie sie ist, und mich selbst entscheiden.

Die Psychiaterin (Alexandra Krismer, li.) – selbst vor Exzentrik nicht gefeit – versucht, die Eltern (Juergen Maurer, Maria Köstlinger) mit der neuen Lebensrealität ihres Sohnes Jacob auf glimpfliche Weise zu konfrontieren.
Die Psychiaterin (Alexandra Krismer, li.) – selbst vor Exzentrik nicht gefeit – versucht, die Eltern (Juergen Maurer, Maria Köstlinger) mit der neuen Lebensrealität ihres Sohnes Jacob auf glimpfliche Weise zu konfrontieren.
c: Moritz SCHELL

STANDARD: Kennen Sie das Gefühl, jemand anderes sein zu wollen? Wird man deswegen Schauspieler?

Rehrl: Also wir mögen es beide, uns zu verkleiden und andere Menschen sein zu dürfen. Das ist ein Privileg. Es ist mein Job, mich damit auseinanderzusetzen, wie ich in speziellen Situationen reagieren würde, wenn ich jemand anderes wäre. Mich fasziniert dieses Spannungsverhältnis.

Oley: Ich möchte das gar nicht pathologisieren, aber das ist die Ausrichtung unserer Kunstform. Fast schon kultisch führen wir Narrationen immer wieder auf und überprüfen sie in neuen Kontexten. Aber ich kann nicht sagen, diesen Beruf gewählt zu haben, um vor meinem Leben davonzulaufen.

STANDARD: Sie, Herr Oley, haben am Max-Reinhardt-Seminar studiert, u. a. bei Klaus Maria Brandauer. Was hat sich seit damals geändert?

Oley: Es gab damals die Annahme, das Genie rechtfertige die Arbeitsweise. Das hat sich ein bisschen aufgelöst. Bei großen Regisseuren und Schauspielern gab es Arbeitsweisen, die ich nicht akzeptabel finde. Das kann man auch nicht mit dem Ergebnis rechtfertigen. Die Fantasie blüht nicht durch Angst oder Autorität auf, sondern durch Liebe. Es gab und gibt im Theater noch immer Diktatoren, aber es hat sich viel geändert.

Rehrl: Ich habe 15 Jahre später an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin studiert, und dieses Bewusstsein dafür ist das Beste, was der Kunst passieren konnte. Dass man fragt, ob diese Autorität zu rechtfertigen ist. Eigentlich ist sie es nie. Es muss eine empathische, gleichgestellte Kunst sein, die trotzdem in Spannung treten kann. Schauspielerei ist ein emotionaler Beruf, der auch über Grenzen geht. Aber man lernt dabei seine eigenen Grenzen kennen – und wie man sich schützt.

STANDARD: Sie haben bereits als Kind mit dem Schauspiel begonnen. Wie haben Sie diese Welt damals wahrgenommen, Herr Rehrl?

Rehrl: Durch meine Eltern wurde ich sehr früh sowohl mit den positiven als auch den negativen Seiten der Schauspielerei konfrontiert. Ich habe die Probleme, Krisen und Selbstzweifel gesehen. Wenn man aufhört zu hinterfragen, ist man direkt gefährdet.

STANDARD: Wollten Sie jemals etwas anderes werden?

Rehrl: Nicht wirklich. Ich wollte einmal Flight Director bei der Nasa werden, weil ich den Film Apollo 13 gesehen habe. Mittlerweile weiß ich, ich wollte den Flight Director spielen. Vielleicht klappt dieser kleine Traum noch eines Tages. (Jakob Thaller, 23.2.2024)