Die ukrainische Autorin Natalia Vorozhbyt wird ein Stück über den Habsburger Erzherzog Wilhelm Franz von Österreich aka Vasyl Vysyvany schreiben
Die ukrainische Autorin Natalia Vorozhbyt wird ein Stück über den Habsburger Erzherzog Wilhelm Franz von Österreichaka Vasyl Vysyvany schreiben.
Theatre of Playwrights (Kiew)

Trotz des Krieges hat 2022 in der ukrainischen Hauptstadt ein neues Theater eröffnet. Das Autor:innentheater Kiew kann seinen Betrieb bis heute aufrechthalten. Zu den zwanzig Autorinnen und Autoren, die die Bühne umfasst, gehört auch Natalia Vorozhbyt. Anlässlich einer Präsentation im Kasino des Burgtheaters morgen, am zweiten Jahrestag des Kriegsbeginns, haben wir mit ihr gesprochen.

STANDARD: Wie erstellt man in Zeiten des Krieges einen Spielplan?

Vorozhbyt: Es klingt vielleicht paradox, aber in den letzten beiden Jahren war das Theaterleben in der Ukraine so intensiv wie noch nie. Erstmals sind die Vorstellungen schon Monate im Vorhinein ausverkauft. Natürlich sind auch Unterhaltungsformate sehr gefragt, weil die Menschen Abstand zum Schrecken des Krieges suchen. Aber auch Stücke über den Krieg, denn ein Mensch ist nicht immer in der Lage, alles allein zu reflektieren. Die Finanzierung ist für uns als unabhängiges Theater schwierig. Der Staat unterstützt uns nicht, wir sind also auf Sponsoren angewiesen, auch aus dem Ausland.

STANDARD: Welche Fragen sind Ihnen als Dramatikerinnen in Bezug auf den Krieg am wichtigsten, und wie recherchieren Sie diese?

Vorozhbyt: Ich schreibe seit zehn Jahren über den Krieg, und da hat sich mein Zugang geändert. Am Anfang ging ich das dokumentarisch an. Bis 2022 war ich Erforscherin der Leben von anderen, die unter dem Krieg litten. Dann wurde ich selbst zum Teil des Stoffes, weil ich mich mit meinem Kind in einem Bunker wiederfand. Ich musste fliehen und wusste nicht, wie es weitergeht. Nach dem Beginn des Krieges 2014 habe ich viel über die Orte des militärischen Geschehens geschrieben. Weil ich jetzt viel im Ausland bin und reise, konzentriere ich mich mehr auf Beziehungen: Wie sind die Beziehungen zwischen Ukrainerinnen, die das Land verlassen mussten, und ihren Männern an der Front? Oder wie läuft die erzwungene europäische Integration, wie ich es nenne, also wie laufen die Beziehungen zwischen den exilierten Menschen und den Verbliebenen?

STANDARD: Hat Sie der Tod von Nawalny überrascht? Gibt es einen Diskurs zwischen russischen und ukrainischen Theaterschaffenden?

Vorozhbyt: Der Tod von Nawalny hat mich nicht überrascht. Es müsste eher überraschen, wenn es jemanden überrascht hätte. Vielleicht habe ich Sie nicht richtig verstanden, aber mich interessiert nicht, was die Künstlerinnen und Künstler in Russland über die Kunst in der Ukraine denken. Seit Beginn des Krieges 2014 haben wir gehofft, dass uns die Kunstschaffenden in Russland hören, wir unsere Kräfte vereinigen können, aber diese Hoffnungen wurden nicht erfüllt. Als Nawalny nach Russland zurückkehrte, setzte er wohl auch Hoffnungen in sie, das war Selbstmord. Wenn wir Frau Nawalnaja zuhören, dann fällt da kein Wort über die Ukraine. Deshalb können wir uns nicht auf russische Künstlerinnen, Künstler oder Oppositionelle beim Thema Ukraine verlassen.

STANDARD: Es gibt also keinerlei Austausch?

Vorozhbyt: Wie soll das gehen?

STANDARD: Ich dachte eher informell. Sie haben ja auch in Moskau studiert und vielleicht noch Bekannte?

Vorozhbyt: Das stimmt. Ich habe Bekannte in Russland, aber der Kontakt ist sehr schwer. Die meisten haben Russland verlassen. Ich kann nicht mit ihnen über den Krieg diskutieren, wir haben differente Perspektiven. Auch wenn sie die Regierung verurteilen, wollen sie nicht den Sieg der Ukraine. Ich empfinde keinen Hass, sondern ich habe eher ein wenig Mitleid mit ihnen. Deshalb zähle ich überhaupt nicht auf die Russen beim Thema Ukraine.

STANDARD: Kann sich die ukrainische Dramatik derzeit überhaupt mit etwas anderem als dem Krieg befassen?

Vorozhbyt: In letzter Zeit weitet sich das Themenspektrum wieder. Es ist nicht mehr alles direkt über den Krieg, sondern es sind Herangehensweisen über eine historische Perspektivierung, aber letztlich doch wieder über den Krieg.

STANDARD: Welches Stück ukrainischer Dramatik würden Sie dem österreichischen Publikum ans Herz legen?

Vorozhbyt: Es gibt starke dokumentarische Textgrundlagen, z. B. Stas Asejews Heller Weg über die russische Gefangenschaft. Und Nadija Suchorukovas Tagebuch Mariupol. Nadiya über ihren Aufenthalt in Mariupol während der Eroberung. Oder das Stück Die Abrechnung von Anastasiia Kosodii, das auf Kriegsdokumenten basiert. Es lohnt auch, sich der Prosa von Serhij Zhadan, Tanja Maljartschuk, Wolodymyr Rafeenko oder Kata Babkina zuzuwenden.

STANDARD: Sie schreiben im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres Salzkammergut 2024 ein Stück über Wilhelm Franz von Österreich.

Vorozhbyt: Es ist wichtig, die von der Ukraine und Österreich gemeinsam geteilte Geschichte zu verstehen. Ich schreibe bei einer Residency im Mai an einem Theaterstück über diesen Erzherzog der Dynastie der Habsburger, der auch unter dem Namen Vasyl Vysyvany bekannt war, Oberst der ukrainischen Legion war und für die Ukraine in einem sowjetischen Lager starb. Wichtig sind auch Werke von Vertretern der sogenannten Shot-Renaissance. Dabei handelt es sich meist um junge ukrainische Schriftsteller, die in den 1930ern von der sowjetischen Regierung exekutiert wurden. Sie waren nicht mehr weit davon entfernt, ukrainische Tolstois und Dostojewskis zu werden: Kulisch, Chwylowy, Podmogilny und viele andere. (Margarete Affenzeller, 23.2.2024)