Ungemein modern: Raphaela Möst und Axel Sichrovsky bei der wortkargen Einrichtung ihres Daseins im Schatten von NS-Vergangenheit und Silberabbau.
Ungemein modern: Raphaela Möst und Axel Sichrovsky bei der wortkargen Einrichtung ihres Daseins im Schatten von NS-Vergangenheit und Silberabbau.
Arnold Pöschl

Vordergründig sieht man dem Theatertext Adern von Lisa Wentz (29) schon noch da und dort die hochbegabte Absolventin eines Dramatikstudiums an. Die Assoziationen, die sich einstellen, decken den ganzen Kanon der Säulenheiligen des modernen Theaters ab. Aber im konsequenten dramatischen Understatement macht sich bereits eine Eigenart bemerkbar. Und in einigen wunderschönen dialogischen Details erkennt man in diesem "Jugendwerk" einen Vorschein der Ambitionen der Tirolerin, auf Themen der queeren Comunity und allgemein auf Outsiderfragen aufmerksam zu machen. Zu diesem Zweck hat sie ja das "Schauspieler*innen-Kollektiv QuerAkt" gegründet.

In der jetzt am Stadttheater Klagenfurt von Georg Schmiedleitner behutsam gestalteten Neuinszenierung des 2022 am Burgtheater uraufgeführten "Volksstücks" erscheinen die beiden Hauptfiguren, denen die Urgroßeltern der Autorin Pate gestanden haben, als soziale Randfiguren in den Silberminen einer alpinen Landbevölkerung, die unter dem Schatten einer Schuld lebt. Diesem Schatten haften Merkmale der heimischen NS-Vergangenheit und ihrer Verdrängung an, er hat aber, indem kein einziges Verbrechen konkret benannt wird, eine geradezu erbsündenhafte Dimension. Und viel anders, als die Handelnden gehandelt haben, konnten sie vielleicht gar nicht.

Nicht mehr Gespött sein

Dem typengerecht von Alexander Jagsch gespielten Kumpel namens Danzel schlägt sich das Schuldbewusstsein zirrhotisch auf die Leber. Der Rudolf von Axel Sichrovsky, der am Ende an Tuberkulose stirbt, zieht sich zurück in die Stollen seiner Seele. Um Ersatz für seine an Keuchhusten verstorbene Frau zu finden und um nicht länger den Kinderwagen zum Gespött der Nachbarn herumschieben zu müssen, gibt er eine Kontaktanzeige auf.

Immer präsent ist der Umstand, dass der Eiblschrofen bei Schwaz eine dunkle Vergangenheit hat. Hier wurden u. a. 450 sowjetische Kriegsgefangene auf brutalste Weise von der Firma Messerschmitt als Zwangsarbeiter ausgebeutet, hier sollte unter Tage der Düsenjäger Me 262 entwickelt werden, hier sprengten 1945 die französischen Besatzer die Flugzeugproduktion in die Luft.

Berührende Liebesgeschichte

Dass sich das Ganze dann auch als berührende Liebesgeschichte verstehen lässt, ist Aloisia zu verdanken – Raphaela Möst verleiht dieser Figur, die ihrerseits mit einem unehelichen Kind sitzengelassen wurde, eine sehr selbstbewusste, Haus und Heim fast gottesmütterlich behütende Präsenz. Wie sie die Wutausbrüche ihres Rudolf zügelt, wie sie ihm die Bühne lässt und dabei doch immer pragmatisch die Fäden zieht, wie sie sich auch abhebt vom kleinbürgerlichen Kontrastbild ihrer Schwester Hertha (Doris Hindinger), geht unter die Haut.

Als treue Mitstreiter des Regisseurs bewähren sich Stefan Brandtmayr mit einer düsteren Kletterwand um den Höllenschlund eines Stolleneingangs und Cornelia Kraske, die den Hauptfiguren rote, lodenartig steife Überkleider zugeschnitten hat. Der Kärntner Manfred Plessl steuert variantenreich die passende "Filmmusik" bei. (Michael Cerha, 23.2.2024)