Polizistin am Tatort
Drei Frauen wurden in Wien-Brigittenau tot aufgefunden.
APA/GEORG HOCHMUTH

Mir geht die Schilderung der Ohrenzeugin nicht mehr aus dem Kopf. Diese Ohrenzeugin ist eine offenbar hochschwangere Frau, die dem Boulevard erzählt hat, dass sie das Morden im Bordell unter ihrer Wohnung live mitverfolgen musste. Akustisch. Sie habe die drei jungen Frauen schreien gehört, während sie mit einem Messer niedergestochen wurden. So brutal, dass vorerst nicht einmal mehr die Identität der Opfer feststellbar war. Man kann es nur so formulieren: Freitagnacht wurden in Wien-Brigittenau drei Frauen ausgelöscht. In ihrer gesamten Existenz.

Die Ohrenzeugin sagt, sie müsse jetzt umziehen. Die Schreie werde sie nie wieder vergessen. Genauso wenig wie die Stille danach. Tatverdächtig ist ein junger Asylwerber aus Afghanistan. Auch das ist bedrückend.

Wenige Stunden davor waren eine 51-jährige Frau und ihre Tochter tot in einer Wohnung in Wien-Erdberg gefunden worden. Dringend tatverdächtig ist der Ehemann und Vater, ein Österreicher. Man muss das kurz sickern lassen: In Wien wurden am Freitag vier Frauen und ein Mädchen getötet. An einem Tag, in unserer Hauptstadt.

Bis heute wird in Zusammenhang mit Taten wie diesen von "Familientragödien" oder einem "Rotlicht-Drama" gesprochen, dabei gibt es dafür einen präzisen, sachlichen Begriff: Femizid. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass Frauen oft deshalb ermordet werden, weil sie Frauen sind – von Migranten, von Einheimischen, von Alten, von Jungen. Jedenfalls: von Männern. Es ist ein strukturelles Problem.

Darüber muss gesprochen werden – breit und über alle Tätervarianten. Femizide, männliche Gewalt und Sexismus nur dann wahrzunehmen, wenn der Schuldige ausländisch aussieht, ist rassistische Heuchelei. Nicht darüber zu sprechen, dass auch eingewanderter Frauenhass ein ernstzunehmendes Problem darstellt, ist Verblendung. Es gehört beides thematisiert. Jetzt.

Und zwar ohne Scheuklappen, ohne Ressentiments, mit Fingerspitzengefühl und unter Druck. Denn die Zeit drängt. In Österreich ist jede dritte Frau von körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen, sagt die Statistik. Mindestens jede vierte Frau hat sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt, schreiben die Autonomen Frauenhäuser. Jeden Monat aufs Neue werden seit 2014 zwei bis drei Frauen ermordet. Am Freitag waren es fünf. Fünf sind fünf zu viel.

Denn es gibt so vieles, das die Politik tun könnte. Das Gute an strukturellen Problemen ist, dass sie sich anpacken lassen. Das beginnt mit dem Kampf gegen die Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern. Wer finanziell vom anderen abhängig ist, kann sich nur schwer aus einer dysfunktionalen Beziehung lösen – auch wenn Gewalt gegen Frauen in allen sozialen Schichten passiert. Mädchen müssen schon im Kindergarten lernen, wo Gefahr beginnt und dass es Hilfe gibt. Polizisten, Lehrerinnen, Beamte gehören flächendeckend sensibilisiert und geschult. Und natürlich muss man in dem Zusammenhang auch dringend über Integration sprechen. Sachlich.

Frauenhass müsste eigentlich ein Kernthema in diesem gerade anlaufenden Wahlkampf werden. Frauen sind keine Randgruppe, wir stellen in Österreich die Mehrheit. Doch vermutlich ist in ein paar Tagen wieder alles vergessen – bis zum nächsten Frauenmord, der alle schockiert. (Katharina Mittelstaedt, 25.2.2024)