Charles Gounods Oper
Charles Gounods Oper "Roméo et Juliette" mit Mélissa Petit und Julien Behr.
Monika Ritterhaus

Am Anfang war das Ende: Angestarrt von zwei verfeindeten Clans, liegen zwei Leichen am Boden. Über ihnen läuft im Hintergrund ein Video. Es lässt im Museumsquartier (Halle E) an einer nächtlichen Autofahrt teilhaben. Sind die beiden überfahren worden? Fuhren sie in den Liebestod? Am Ende von Gounods Roméo et Juliette eine von der Anfangsvermutung abweichende Auflösung: Es startet Julia in der Garage den Wagen. Per Abgasvergiftung gleitet sie in jene Sphäre hinüber, in die der vergiftete Romeo bereits vorausgegangen ist.

Sie trinkt, raucht und filmt

Julia ist hier kein Mädchen und auch nicht in Verona. Sie weilt in Hollywood, wo der Filmclan der Capulets auf den Konzern der Montaigus nicht gut zu sprechen ist. Julia ist Schauspielerin, die sich als Regisseurin zu emanzipieren versucht. Per Video sieht man sie in einem Film zu Shakespeare-Textzeilen ("L’amour est une fumee ...") im Großformat liegend, während sie auf der Party leibhaftig erscheint. Sie trinkt, raucht, aber vor allem filmt sie per Handkamera das Geschehen. Eine eher desillusionierte voyeuristische Existenz? Sie hat wohl alles, samt innerer Leere – bis sie Romeo mit der Kamera erspäht.

Eine zweite Liebesebene

Regisseurin Marie-Eve Signeyrole hat das Begegnungsfest der beiden zum schillernden Hedonistentreffen geformt, bei dem die exaltierten Partymassen gut mit intimen Seitenszenen verwoben werden. Dazu hat Signeyrole eine zweite Ebene integriert: Zwei Kameras filmen die Geschehnisse live, was Nähe zu den Figuren bringt, ihr Innenbefinden transparent macht.

Andererseits ist da auch viel Plakatives. Hat sich Julia zwar in Romeo verguckt, ist sie dabei, mit Freunden und Freundinnen ein erotisch geprägtes Beisammensein zu drehen. Entsprechende Zärtlichkeiten bei einem flotten Vierer sind eindeutige Indizien.

Wie Kurt Cobain

Als würde das an Figurenerneuerung nicht ausreichen, ist auch Bruder Laurent (Daniel Miroslaw), der Julia zum Scheintod verhilft, reichlich plakativ angelegt. Im Vatikan würde man es ungern sehen: Laurent ist blond wie Kurt Cobain und hört auch Nirvana. Es dröhnt Come as You Are durch die Halle, während seine Geistlichkeit sich weggroovt. Außerdem denkt er an Julia und frühere schöne Zeiten der Zärtlichkeit.

In Videorückblenden sieht man später, dass Julia mit ihm ein recht inniges körperbetontes Kuschelverhältnis verbindet. Wie weit es ging, ist nicht klar. Für den in sie vernarrten Bruder wohl nicht weit genug. Sie aber scheint Grenzen gezogen zu haben; Julia, die Zombie hört, den Song der Cranberries.

Edler Romeo

Mélissa Petit meistert die anspruchsvolle Partie der Julia auf tragfähigem Niveau. Die leisen Momente zeigen delikates Timbre, exponierte Stellen lassen die Stimme etwas flattrig erscheinen. Die Koloraturen werden aber respektabel bewältigt. Julien Behr ist hingegen ein jederzeit ungefährdet edel klingender Romeo. Das kultivierte, spezielle Timbre überzeugt.

Der Schönberg-Chor und das Ensemble wirken rundum engagiert (u. a. Brett Polegato als Capulet, Svetlina Stoyanova als Stephano, Leon Košavić als Mercutio). Sie alle werden auch Teil einer Gaspedal-verliebten Szene, welche an die Filmreihe Fast & Furious erinnert. Machoprobleme eskalieren, werden per PS gelöst, und Tybalt (Brian Michael Moore) stirbt im Autoraserduell mit dem zornigen Romeo.

Ein interessanter Abend

Dazu passt leider das explosive Dröhnen, das Dirigent Kirill Karabis an gewissen Stellen ausreizt, um das ORF-RSO-Wien an anderer Stelle aber sehr wohl zu kantabler Eleganz zu animieren. Ein interessanter Abend, der bisweilen zu viel wollte. Nicht jede Idee wirkte szenisch so tragfähig wie die Albtraumhochzeit Julias mit Paris. Es gab einige Buhs im Duell mit dem Applaus. (Ljubisa Tosic,25.2.2024)