Immer am Seil entlang, oben ein Notausgang: Markus Rogan taucht weiter.
Philipp Leister

Im kalten Wasser ist es finster. Ein oranges Seil gibt die Richtung vor, mehr kann Markus Rogan durch seine Schwimmbrille kaum erkennen. Über ihn spannt sich eine Eisschicht, Sonnenlicht dringt kaum durch. Zuvor haben sie mit der Kettensäge ein Loch in den zugefrorenen See gefräst, in das Rogan hineingesprungen und abgetaucht ist. 111,2 Meter weiter taucht er wieder auf. Weltrekord.

Gegen die Eisschicht lässt sich mit einer Kettensäge ankommen.
Markus Rogan

"Es ist unglaublich, wie schön ein Atemzug sein kann", sagt Rogan dem STANDARD. Er spricht vom Glücksgefühl nach seinem Tauchgang: Vergangene Woche stellte er am Weißensee eine neue Höchstweite im Apnoe-Eistauchen ohne Hilfsmittel auf. Unter Wasser verspürte er Angst, Euphorie und das Gefühl, er würde ertrinken. Mehrere Leute standen für einen möglichen Notfall parat. Das Risiko taucht bei solch einem Manöver mit. Beim Auftauchen nahm Rogan den "ersten Atemzug des restlichen Lebens".

Philipp Leister hat Markus Rogans Weltrekordversuch im Weißensee gefilmt.

Die Inspiration kam von einem 84-Jährigen

Er war Profischwimmer, zählt bis heute zu den bekanntesten Sportlern Österreichs. In Athen 2004 gewann Rogan zwei Olympia-Silbermedaillen. Neunmal wurde er Europameister, einmal Weltmeister inklusive Weltrekord. Mit 41 Jahren zog es ihn zum Eistauchen. Warum macht er das?

Der Grund ist ein US-Medienanwalt. Rogan lebt heute in Los Angeles, arbeitet als Psychotherapeut. Michael Donaldson ist ein guter Freund, der vor einigen Jahren noch gar nicht ordentlich schwimmen konnte. Rogan trainierte ihn, auch fürs Eistauchen. Donaldson kam mit an den Weißensee, um seinerseits gleich Bestmarken zu erreichen: weiteste Distanz unter Eis mit Neoprenanzug und Flossen (40 Meter), mit Neoprenanzug ohne Flossen (35 Meter), ohne Neoprenanzug mit Flossen (25 Meter) sowie ohne Neoprenanzug und Flossen (20 Meter). Donaldson ist 84 Jahre alt.

"Seine Theorie ist, dass der letzte Teil des Lebens der schönste ist", sagt Rogan über Donaldson. "Das war meine Inspiration." Donaldson überredete ihn, auch selbst einen Rekordversuch anzugehen. Donaldson hat keine Rekorde gebrochen, sondern aufgestellt: Für über 80-Jährige gab es bis dato keine Bestmarken. Die zu erbringenden Mindestanforderungen basierten auf Rekorden der Männer und wurden an die altersbedingt geringere Leistungsfähigkeit angepasst. Im Alter lassen sich Muskeln schwieriger aufbauen, das Lungenvolumen ist vermindert. Die Kälte fährt schneller in den Körper ein, weil die Herzleistung abnimmt, sie wird weniger elastisch. "Im Alter ist auch die mentale Komponente nicht zu unterschätzen", sagt Rogan.

Die Schwimmstrecke am Weißensee in Kärnten.
Philipp Leister

Verlust des Egos

Er selbst habe ab Meter 60 zu kämpfen gehabt. "Ab da wird es eng. Dann schaltet der Körper ein System nach dem anderen ab." Zuerst werden Finger und Füße taub. Die Muskeln ziehen sich zusammen, der Körper pumpt das Blut vermehrt in lebensnotwendige Organe. Auch das Gehirn fährt langsam herunter. Die Funktion des präfrontalen Cortex ist eingeschränkt, und damit etwa die Fähigkeit, Probleme zu lösen oder Ängste zu steuern. "Dann hast du eine wirklich wunderschöne Phase, wo es in Richtung Ertrinken geht", sagt Rogan. Das Hirn stößt ein Hormon aus, das die Angst vor dem Tod hemmt, man dringe "in eine Zwischenwelt" vor, sagt Rogan. "Du erlebst dich kurz ohne Ego, es wird komplett weggefressen." Andererseits müsse man Ja zum Leben sagen, dieser Impuls mündet im schönsten Atemzug, den man sich vorstellen kann.

Fünf Helfer befanden sich bei Rogans Weltrekord mit im Wasser. Sie trugen Neoprenanzüge und Wasserscooter, um schnell reagieren zu können. Sie beobachteten Rogans Bewegungen, wussten genau, wie er sich in brenzligen Situationen bewegt, ob er kurz vor der Bewusstlosigkeit steht. Am Ende der Strecke positionierte sich ein Taucher, der Rogan einbremsen sollte, falls er in der Orientierungslosigkeit zu weit tauchen wollte. "Ich würde es in keinem Fall empfehlen ohne das bestausgebildete Personal", sagt Rogan. "Sonst bist du weg. Ich möchte nicht, dass jemand unvorbereitet in einen gefrorenen See springt."

Eine halbe Stunde Glücksgefühle

Er selbst sei schon zweimal ertrunken, wie er es nennt, freilich ohne Todesfolge. Mit 14 Jahren wollte er im Schwimmbecken 100 Meter tauchen. Rogan verlor das Bewusstsein, ein Freund zog ihn aus dem Wasser. Als 25-Jähriger passierte es ihm noch einmal. "Das Eistauchen mache ich, weil die Gefahr mir erlaubt, meine Ritterrüstung abzulegen. Ich darf quasi ein kleiner, verletzlicher Bub sein, für den alles im Moment völlig okay ist", sagt Rogan. Etwa eine halbe Stunde halte dieses Gefühl an.

Seine Marke von 111,2 Metern hat Rogan aufgrund des Geburtsdatums seines ältesten von zwei Söhnen gewählt. Der Rekord sei nicht für die Ewigkeit, Rogan denkt, dass etwa Martin Espernberger, zuletzt WM-Medaillengewinner über 200 Meter Delfin, die Distanz im Schwimmbecken schaffen würde. Mit Training würde er im Eis Rogans Marke sicher übertreffen können, sagt Rogan. Der Weltrekord im Becken liegt bei 250 Meter, mit Flossen gar über 300 Meter.

Panikmanagement

Beim Eisschwimmen kann man von einem kleinen Trend sprechen, immer mehr Leute setzen sich freiwillig zumindest in eine Eistonne. "Das Eis induziert verlässlich eine natürliche Panik im Körper", sagt Rogan. "Wir sehnen uns alle danach, die eigene Panikreaktion als freiwillige Entscheidung zu entdecken."

Rogan und Donaldson präsentieren ihre Zertifikate des Rekord-Instituts für Deutschland.
Christian Redl

Soll heißen: Die Schnappatmung im eiskalten Wasser lässt sich abgewöhnen. Das kann auch mit anderen Stresssituationen helfen, Rogan nennt etwa den Anruf einer Person, mit der man in der Vergangenheit belastende Erfahrungen gemacht hat. "Zu erkennen, dass Panik eine bewusste Entscheidung sein kann, ist irrsinnig angenehm." Daher rät Rogan, einmal ins kalte Wasser zu steigen - es muss nicht eiskalt sein. Aber: nur unter Aufsicht, Kopf über Wasser. Und keinesfalls betrunken! (Lukas Zahrer, 27.2.2024)