Um die Familienlüge aufrechtzuerhalten, spielt Arbeitskollegin Sara (Markus Ransmayr, Mitte) die erfundene Freundin des Verstorbenen. Mutter Agathe (Klaus Müller-Beck, links) ist skeptisch.
Um die Familienlüge aufrechtzuerhalten, spielt Arbeitskollegin Sara (Markus Ransmayr, Mitte) die erfundene Freundin des Verstorbenen. Mutter Agathe (Klaus Müller-Beck, links) ist skeptisch.
Herwig Prammer

Frauen spielen in Sara Ostertags Inszenierung von Michel Marc Bouchards Tom auf dem Lande keine Rolle. Auch die weiblichen Figuren sind hier männlich besetzt. Erzählt wird die Geschichte von Tom (Daniel Klausner) aus der Stadt, der anlässlich der Beerdigung seines Lebenspartners Guillaume zu dessen Familie aufs Land fährt. Guillaumes Mutter (Klaus Müller-Beck) wusste nichts von der Homosexualität ihres Sohnes, und Bruder Francis (Florian Haslinger), der als Einziger davon wusste, schreckt nicht vor Gewalt zurück, damit niemand davon erfährt. Ein verworren-brutales Lügengeflecht entsteht, in das sich Tom aus Liebe und Verzweiflung immer tiefer verstrickt.

Besonders an dieser Inszenierung von Ostertag sind zwei Aspekte: Der Musiker Ariel Oehl steht die ganze Zeit mit auf der Bühne, ausgestattet mit Instrumenten und Laptop begleitet er das gesamte Stück musikalisch mit winselnd-sanften eigenen Liedern und Autotune-Coverversionen von Chers Believe oder I Wear My Sunglasses at Night. Und dann ist da noch der Verstorbene, der sich in Form eines Tänzers (Jonatan Salgado Romero) an seine Hinterbliebenen klammert und visualisiert, wie prägend die Präsenz eines Menschen auch nach seinem Tod noch sein kann. Behutsam lässt Regisseurin Ostertag Schauspiel, Tanz und Musik ineinanderfließen und sich zu einem bedrohlichen Psychothriller zuspitzen.

Aus dem Leben gegriffen

Dass das Gesehene so authentisch wirkt, hat auch mit der Biografie des Hauptdarstellers Daniel Klausner zu tun. Aufgewachsen ist dieser nämlich in einer kleinen Tiroler Gemeinde, und die Angst, auf dem Land vom konventionellen Lebensmodell abzuweichen, ist ihm nicht fremd – auch wenn ihn seine Familie trotz Outings akzeptiert hat. Für Klausner war es ein Wunsch, am Landestheater Linz ein Stück zu spielen, das seine Lebensrealität widerspiegelt, erfährt man im Blog des Landestheaters. Regisseurin Sara Ostertag wollte so ein Stück machen, und die geteilte Begeisterung für Xavier Dolans Film-Adaption Sag nicht, wer du bist! führt schließlich zu Tom auf dem Lande.

Die stärkste Figur des Abends ist die Mutter. Klaus Müller-Beck verkörpert eine Doktor-Gruselglatzköpfige Familienpatriarchin, der man um jeden Preis den zusätzlichen Schock der wahren sexuellen Identität ihres Sohnes ersparen will. Dafür wird auf einem mechanischen Bullen geritten, und eine spektakuläre Schaumparty lässt am Ende feuchte Großraumdiscoträume Jugendlicher auf dem Land wahr werden. Das Ergebnis ist ein perfides Kammerspiel, in dem sichtbar wird, welchen Schaden eine männlich dominierte Gesellschaft verursacht – auch bei Männern. (Jakob Thaller, 27.2.2024)