Es wird immer klarer: Der Tod des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny in einem Folterlager jenseits des Polarkreises war nicht "zufällig". Schon am Tag vor seinem Tod gab es im Lager ungewöhnliche offizielle Aktivitäten. Es gibt ein zeitliches Zusammentreffen mit der Sicherheitskonferenz in München – und offenbar wurde von westlicher Seite angeboten, einen in Deutschland verurteilten tschetschenisch-russischen Auftragsmörder gegen Nawalny auszutauschen.

Aber Wladimir Putin wollte Nawalny, den er als einzigen Gegner wirklich fürchtete, nicht ausreisen lassen. Putin wolle eines vermitteln, so der Moskauer Zeit-Korrespondent Michael Thumann: "Wer es mit Putin aufnimmt, hat es mit einem zu tun, der zu jeder Eskalation bereit ist."

Wladimir Putin
Wladimir Putin ist ein russischer Imperialist. Das wollen viele Menschen in Europa einfach nicht sehen.
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In Europa gibt es noch immer welche, die sich Illusionen über Putin und sein Russland machen. Viele wollen nicht erkennen, was er ist: ein russischer Imperialist, der zumindest Ostmitteleuropa, am liebsten aber ganz Europa unter seinen Einfluss bringen will. Solange Putin keinen ernsthaften Widerstand spürt, hört er nicht auf.

Der größte Selbstbetrug

In Österreich war die Putin-Illusion besonders ausgeprägt und ist es bis zu einem gewissen Grad immer noch. Das bei manchen immer noch gültige Narrativ: Die Russen haben dem Staatsvertrag zugestimmt, und wir haben jahrzehntelang gute Geschäfte mit ihnen gemacht. Bei den Gaslieferungen waren sie immer zuverlässig (was nicht stimmt). Was Putin betrifft, so war er doch lange Zeit "vernünftig" und ist erst durch die Kränkungen, die ihm der Westen zufügte, "so" geworden. Das ist der größte Selbstbetrug.

Putin hat, kaum dass er Präsident war, einen überaus brutalen Krieg in Tschetschenien geführt; seine berühmte Rede im Deutschen Bundestag 2001 enthielt eine zentrale Passage, die sich so zusammenfassen lässt: Vergesst die US-Amerikaner, nur mit Russland (unter unserer Führung) wird Europa wirklich mächtig. Die Morde an russischen Oppositionellen begannen schon in den frühen 2000er-Jahren. Die Proteste 2011 gegen seine Herrschaft wurden rücksichtslos niedergeschlagen. 2008 griff er Georgien an, 2014 erstmals die Ukraine. Schon 2013 in Kiew begründete er den Anspruch auf die Ukraine mit 1000 Jahren Geschichte.

"Europa stellt sich langsam darauf ein, dass es nicht wehrlos sein darf."

Österreichs Illusionen sind bis zu einem gewissen Grad verständlich. Man dachte, wir müssen mit diesem mächtigen Reich in unserer Nähe auskommen und verdienen auch noch dabei. Allerdings muss eine genaue Geschichte der Entstehung der wirtschaftlichen Abhängigkeit (vor allem vom russischen Gas) und des russischen Einflusses erst geschrieben werden. Manche der Akteure muss man wohl als russische Einflussagenten sehen. Die FPÖ ist eine klare Putin-Partei, weil sie das autoritäre Modell liebt, aber in SPÖ und ÖVP gibt es auch genug Sympathisanten und Selbstbetrüger.

Wenn man aber doch zu der Einsicht kommt, dass Putin keine Grenzen kennt – was tun? Europa stellt sich langsam darauf ein, dass es nicht wehrlos sein darf. Putin greift nur an, wenn er das Gegenüber für schwach hält. Österreich rüstet auf, in der Hoffnung, dass das als Teil einer europäischen Abschreckung reicht. Die Bevölkerung scheint mehrheitlich erkannt zu haben, dass es eine reale Bedrohung gibt. Hier halten wir vorläufig. (Hans Rauscher, 27.2.2024)