Anton (Jonas Graber) und seine Mutter (Claudia Waldherr) ahmen gerne Tiere nach. Diese Form der Zuwendung kennt Pünktchen (Katharina Stadtmann) aus ihrer Familie nicht.
Anton (Jonas Graber) und seine Mutter (Claudia Waldherr) ahmen gerne Tiere nach. Diese Form der Zuwendung kennt Pünktchen (Katharina Stadtmann) aus ihrer Familie nicht.
Rita Newman/TDJ

In der Mülltonne vor dem Gemüsegeschäft Habibis Grünes & Buntes rumort und poltert es. Anton Gast (Jonas Graber) sucht nach Zutaten für sein berühmtes Kartoffelallerlei. Seit seine Mutter (Claudia Waldherr) krank ist, unterstützt er sie, wo er nur kann. Ohne ihr Wissen bezahlt er Rechnungen und jobbt, wenn das kärgliche Haushaltsbudget mal besonders knapp ist, nach der Schule als riesiges Stanitzel verkleidet im Eissalon. Dafür kassiert er so manchen hörbar von Bundeskanzler Karl Nehammer inspirierten Spruch: "Du kannst dir ja nicht mal einen Burger für 1,40 Euro leisten."

In dieser herausfordernden Zeit tritt die quirlige Luise Pogge, genannt Pünktchen (Katharina Stadtmann), in Antons Leben. Von Köchin Berta (Petra Strasser) mit Bio-Mahlzeiten bewirtet und vom spanischen Au-pair Ines (Shirina Granmayeh) umsorgt, hatte die Neunjährige bislang keine Ahnung davon, dass es so etwas wie Armut überhaupt gibt. Offenherzig und unvoreingenommen, wie sie ist, schreckt sie aber nicht vor den ärmlichen Verhältnissen ihres Freundes zurück und versucht ihm finanziell unter die Arme zu greifen – selbst wenn das bedeutet, heimlich ihr geliebtes Spielzeug auf einem provisorischen Flohmarkt zu verkaufen.

Spiel mit Kontrasten

In der Neuinszenierung von Erich Kästners Pünktchen und Anton, die vor kurzem im Theater der Jugend Premiere hatte, versetzt Regisseurin Nicole Claudia Weber in eine kunterbunte Welt. Daniel Sommergruber kreierte ein detailverliebtes Bühnenbild wie aus dem Märchenbuch, das auf der drehbaren Theaterbühne in unterschiedlichen Schauplätzen sein ganzes Potenzial entfaltet. Selbst der zwielichtige U-Bahn-Vorplatz, auf dem Pünktchen vor dem Spätkauf-Laden Bauklötze und Teddybären feilbietet, wirkt seltsam heimelig.

Das Fröhliche steht jedoch im krassen Gegensatz zur Lebensrealität der beiden Charaktere. Hierbei wurde an Kontrastmalerei nicht gespart. Anton ist arm, hat aber eine liebevolle, herzliche Mutter, die mit ihm spielt, sooft sie kann. Pünktchen hat wohlhabende Eltern (Ursula Anna Baumgartner, Frank Engelhardt), die allerdings rund um die Uhr arbeiten und sie vor allem mit Materiellem bei Laune halten. Diese Schwarz-Weiß-Malerei bildet die Realität zwar nicht gänzlich ab, hilft aber dabei, soziale Missstände und die Arm-Reich-Schere kindgerecht zu vermitteln. Zugleich verdeutlicht das Stück, dass es Armut nicht nur in monetären Belangen gibt – auch in emotionaler Hinsicht kann man, wie Pünktchen, verarmen.

Als Eis verkleidet verdient Anton neben der Schule etwas Geld, um unter anderem die fällige Stromrechnung zu begleichen.
Als Eis verkleidet verdient Anton neben der Schule etwas Geld, um unter anderem die fällige Stromrechnung zu begleichen.
Astrid Knie

Graber und Stadtmann verkörpern ihre Rolle so gekonnt, dass man zeitweise vergisst, dass keine Minderjährigen auf der Bühne stehen. Da verzeiht man auch das für Anton-Darsteller viel zu kleine Fahrrad, auf dem er beschwingt durch die Gassen braust.

Der moralische Zeigefinger aus Kästners 1931 erschienenem Roman ist immer noch stramm ausgestreckt und hat nicht an Bedeutung verloren. Weber gelingt es, die Botschaft mit spielerischen Mitteln in die Gegenwart zu transferieren, und macht das Stück nicht nur für Kinder zum wahren Theatergenuss. (Patricia Kornfeld, 28.2.2024)