Mrozek Wortwiege Wiener Neustadt Dorigatti
Der Moment, als das Genie in den Geiger (Nico Dorigatti, li.) fuhr - mit Paganinis (Roberto Romeo) Hilfe.
Victoria Nazarova

Wiener Neustadt – In den 1960er-Jahren war Slawomir Mrożek (1930–2013) weltweit einer der meistgespielten polnischen Dramatiker. Als "Journalist" in der Stalin-Zeit – er selbst bezeichnete sich später kritisch als "Propagandamitarbeiter" – hatte er die Funktionsweise totalitärer Systeme im direkten Umgang gelernt und sich wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen dem Absurden zugewendet. Auch sein Stück Schlachthof (1973), das beim Festival Wortwiege in den Wiener Neustädter Kasematten soeben seine späte Österreich-Premiere feierte, lebt von absurder Komik, die viele Deutungen zulässt.

Ein junger Geiger (Nico Dorigatti) katapultiert sich mit einem kleinen Trick zum Genie, um sich aus der unerquicklichen Welt der Frauen zu befreien. Die besitzergreifende Mutter (Roberto Romeo) und eine leider nicht zurückliebende Flötistin lässt er hinter sich, um ganz frei für die Kunst zu sein. Dieses altertümliche Narrativ versucht Ira Süssenbach in ihrer Inszenierung so gut wie möglich aufzulockern. Im zünftig gemusterten Übungszimmer geht es lustig zu. Hingebungsvoll schmettert die Flötistin (Saskia Klar) I Will Always Love You, bevor die Wände krachen gehen (Bühne: Andreas Lungenschmid).

Bondage-Kostüme

Hier gibt sich die gezeigte Realität nur den Anschein, real zu sein, herausfallende Türen beispielsweise sind nicht nur läppische Türen, sondern Welten. Es geht um mehr. Vor allem um die Bedingungen der Kunstproduktion, um die Verlogenheit und Überheblichkeit jener Maschine, die Kunst wie ein Produkt fördert, einfriedet und vermarktet.

In Schlachthof tummeln sich wahrlich eingeschnürte Menschen – die Korsage- und Bondage-Kostüme von Elena Kreuzberger geben wenig Luft zum Atmen. Das Puppenhafte macht diese Figuren zu unpersönlichen Typen in einem rundum engen System. Der Geiger schnalzt mit seinem Bogen so heftig, dass das Kolophonium-Pulver die Luft verdüstert. Auch die Direktorin der Philharmonie (Petra Staduan) klemmt auf beeindruckende Weise in ihrer Rolle als städtische Kulturmanagerin fest. Wie eine Dompteurin von zähnefletschender Herzlichkeit buhlt sie um die Gunst des Stargeigers wie später des Publikums und würde jederzeit ihre Seele verkaufen.

Rohe Leber gefällig?

Diese zugespitzte Heuchelei der Kultur durchkreuzt der Auftritt eines Schlachters. Mit blutbeflecktem Schurz (Romeo) streckt er dem Konzertmusiker eine rohe Leber hin: "Musik kann’s geben oder nicht. Schlachten muss sein." Das bringt den Geiger gleich wieder aus der Fassung, sein Diktum vom "Leben für die Kunst" zerstiebt, er will sogleich ein sinnvoller Schlachter werden. Weil ihm die Frauenwelt und das Gebärenkönnen verwehrt bleiben, will er gleichziehen mittels "Hervorbringung des Todes".

Man kann an derlei Schlussfolgerungen Vergnügen finden. Gut und pointiert gespielt ist dieses groteske Stück allemal. (Margarete Affenzeller, 1. 3. 2024)