The Line, Neom
Bisher wurden vor allem Konzepte der Stadt gezeigt, die von Anfang an sehr ambitioniert aussahen.
The Line, Neom

Eine 170 Kilometer lange lineare Stadt mitten in der Wüste? Dazu selbstversorgend, CO2-neutral und mit angeschlossenem Hafen? Was bisher die Träume eines saudischen Kronprinzen waren, nimmt nun tatsächlich Gestalt an. Sorgten in den letzten Jahren vor allem die Ankündigungen für Staunen und Stirnrunzeln, zeigt ein neues Video, wie fleißig an dem Projekt The Line tatsächlich schon gearbeitet wird.

Lebensqualität

In vorgerenderten und im Studio gefilmten Abschnitten des Videos laufen Menschen durch grüne Oasen, und man erkennt einen künstlich angelegten Hafen an einer der verspiegelten Stadtmauern. Der dazu eingeblendeten Erwähnung von Naturschutz und ökonomischem Wohlstand stehen jene Bilder gegenüber, die aktuelle Videoaufnahmen aus der saudischen Wüste zeigen. Dort bewegen Arbeiter mit Baggern Erde und Sand, um diesen Traum des Königshauses zu erfüllen.

The Line sei ein "besseres Modell einer Stadt, um mit der vorhandenen Landschaft und der Natur zu interagieren", heißt es. Dass es eigentlich keine Basis für eine Stadt mitten in der Wüste und schon gar nicht in Linienform gibt, so zumindest zahlreiche Experten in den letzten Jahren, wird von den Sprechern im Video nicht erwähnt.

"Die erste Phase wird 2030 fertiggestellt sein", lässt ein Sprecher des Projekts im Video wissen. Es seien die "größten Erdarbeiten der Welt", bei denen Millionen Kubikmeter Sand beziehungsweise Erde und Wasser bewegt werden. Um diesen straffen Zeitplan einhalten zu können, werde "rund um die Uhr" gearbeitet. Damit entstehe aktuell das Fundament einer Stadt, die neue "Bestmarken in Sachen Lebensqualität" aufstellen werde – eine nachhaltige Stadt mit "null Emissionen" und mit der Aufgabe, die größten urbanen Herausforderungen der Zukunft anzugreifen.

The Line, Neom
Die Baustelle sei die größte der Welt, betonen die aktuellen Bauherren stolz.
The Line, Neom

Neom

Die lineare Stadt The Line ist tatsächlich nur ein Bruchstück eines größeren Projekts namens Neom. Dieses inkludiert rund 26.500 Quadratkilometer unweit des Golfs von Akaba sowie an der Küste des Roten Meeres. Teile sind neben der linearen Stadt noch der Luxusresortkomplex Sindalah, ein Winter- und Bergsport-Resort namens Trojena und der schwimmende Industriekomplex Oxagon.

Das Vorzeigeprojekt bleibt allerdings die lineare Stadt, die am Ende neun Millionen Menschen Platz bieten soll. Kritik daran gibt es seit der Planung. Erst im Sommer des Vorjahres kritisierten internationale Forscher die geplante Bevölkerungsdichte von 265.000 Menschen pro Quadratkilometer. Damit wäre The Line zehnmal dichter besiedelt als Manhattan, das aktuell als eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt gilt. Auch die Form der Stadt wird seit dem Start infrage gestellt. "Eine lineare Form ist die am wenigsten effiziente Form einer Stadt. Es gibt einen Grund, warum die Menschheit 50.000 Städte hat und alle mehr oder weniger rund sind", betonte etwa Rafael Prieto-Curiel vom Complexity Science Hub (CSH) Vienna Anfang des Jahres.

THE LINE in Progress - February 2024
NEOM

Weitere Vorwürfe reichen von der Vertreibung der ehemals in diesem Gebiet ansässigen Beduinen bis hin zu Überwachungsfantasien der Erbauer, soll die Stadt doch vom Start weg darauf ausgerichtet sein, Daten in einem bisher nie dagewesenen Umfang zu erfassen und diese für die Verwaltung der Stadt zu nutzen. (aam, 4.3.2024)