Der Austausch zur Lage in der Ukraine beim Sondergipfel in Paris anlässlich des zweiten Jahrestages des russischen Angriffskrieges hat ein starkes negatives Echo wegen der Anmerkung von Präsident Emmanuel Macron über die mögliche Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine ausgelöst. Die Feststellungen Bundeskanzler Karl Nehammers über die Ukraine-Konferenz wurden dadurch selbst in Österreich völlig überschattet, obwohl diese mehr Beachtung hätten verdienen sollen.

Er wollte bei "voller Solidarität mit der Ukraine" Österreichs Position als "neutrales Land" einbringen, dass es auch "eine politische Lösung braucht". Auch im ZiB 2-Interview mit Armin Wolf wiederholte der Kanzler fast wortwörtlich, dass "neue Lösungen" notwendig seien, um Wladimir Putin "an den Verhandlungstisch zu bringen, damit der Krieg enden kann".

Kanzler Karl Nehammer (ÖVP)
Sorgt mit einem außenpolitischen Vorschlag für Irritation: Kanzler Karl Nehammer (ÖVP).
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Sein Vorschlag: die Brics-Staaten "viel stärker einzubinden, um ausreichend Druck auf Putin ausüben zu können, um den Angriffskrieg zu beenden". Die Mitglieder dieser lockeren Staatengruppe – Russland, Brasilien, China, Indien und Südafrika – treffen sich seit 2006 zu jährlichen Konferenzen. Seit 2024 gehören ihr auch Ägypten, Äthiopien, der Iran und die Vereinigten Arabischen Emiraten an. Das Hauptproblem besteht allerdings darin, dass sich diese Staaten gegenüber Russland neutral oder wohlwollend verhalten und die westlichen Sanktionen gegen Russland zurückweisen. Der mit Abstand wichtigste Brics-Staat, nämlich China, ist durch eine "grenzenlose Freundschaft" zwischen den beiden Diktatoren, Xi Jinping und Putin, mit Russland verbunden.

Verwunderung

Indien und China sind zu den wichtigsten Absatzmärkten für das russische Rohöl geworden. China wird sogar vorgeworfen, dass die Regierung die vom Westen verfügten Ausfuhrbeschränkungen für Militärtechnologie oder Technologie mit doppeltem Verwendungszweck gegenüber Russland umgeht. Der Vorschlag Nehammers, dass gerade diese Staaten Druck auf ihren russischen Partner und Freund zugunsten der Beendigung des Angriffskriegs ausüben sollen, hat deshalb Verwunderung ausgelöst.

Dass der Bundeskanzler auch erklärte, er würde – "wenn es dienlich ist" – wieder wie im April 2022 nach Moskau fliegen, um Putin zu treffen, rief auch diesen umstrittenen Alleingang in Erinnerung. Damals hatte die Kommunikationsagentur des Ex-Chefredakteurs der Bild, Kai Diekmann, den Kanzler-Besuch bei Putin ohne vorherige Information der EU-Partner und der Bundespräsidenten sowie des Koalitionspartners eingefädelt.

Nehammer ist der einzige EU-Regierungschef, der Putin nach dem Angriffskrieg zu einem Vier-Augen-Gespräch in Moskau getroffen hat. Die sichtbare Folge dieser rätselhaften Mission, die ohne Einbindung der österreichischen Botschaft stattgefunden hat, war das wachsende Misstrauen gegen das neutrale Österreich. Es folgten bekanntlich die wiederholten Freundschaftstreffen des Kanzlers mit den Autokraten Viktor Orbán und Aleksandar Vučić und die von den meisten EU-Staaten kritisierte Blockade der Schengen-Öffnung für Bulgarien und Rumänien.

Bundeskanzler Nehammer scheint unser Land auf eigene Faust, ohne Kompass, im Nebel der durch die russische Aggression ausgelösten Weltkrise zu navigieren. (Paul Lendvai, 4.3.2024)