Claire Lefèvre setzt sich in
Claire Lefèvre setzt sich in "Loie (is a fire that cannot be extinguished)" mit der berühmten Tänzerin Loïe Fuller (1862–1928) auseinander.
Ju Aichinger

Die Gegenwart ist eine schwer beladene Läuferin. Unablässig drängt sie ins Kommende, um es in Präsenz zu zwingen. Dabei schleift sie das Vergangene hinter sich her. Allerdings nur in Teilen, und das ist im Tanz ein Dauerthema: Denn was er, der Tanz, auf die Bühne bringt, kann bis heute kaum festgehalten werden.

Setzt man jetzt im März zwei parallel zueinander verlaufende Wiener Kuratierungen in Beziehung zueinander, wird das Zeitdilemma dieser Kunst real erfahrbar. Das Brut-Theater zeigt in seinem jährlichen Imagetanz-Festival wieder, was im Tanz gerade als aktuell gilt. Und im Odeon präsentiert Chris Haring mit seiner Compagnie Liquid Loft unter dem Titel Living Positions drei Positionen aus der Wiener Choreografie zwischen 2004 und 2013.

Der freie Tanz hat aber noch ein Problem. Er ist zu wenig dotiert, um überhaupt ein Repertoire etablieren zu können. So verschwinden viele Werke freier Choreografierender nach wenigen Aufführungen für immer. Das ist nicht zuletzt ein realer Verlust für das Publikum. Denn dieses wird dem Nebel einer "Dauerzeitgenossenschaft" überlassen, in dem es weder Vergleiche anstellen noch historische Dimensionen erfahren kann.

Anders abgemischt

Heute ist das wichtiger als zu Zeiten, in denen das Neue gegen die Anfeindungen aus dem Establishment verteidigt werden musste. Jetzt ist das Neue in seiner ganzen Vielfalt etabliert, wird seit Jahren immer wieder anders abgemischt und aktuellen Themen angepasst. Das hat seine Berechtigung, erfordert aber einen besseren Umgang mit dem Gewesenen, um zu verhindern, dass nur die jeweils gerade gefälligsten Produktionen in Erinnerung bleiben.

Diesem Sog des Vergessens versucht das Impulstanz-Festival im Sommer regelmäßig mit ausgewählten Wiederaufführungen entgegenzuwirken. Und die Wiener Tanzexpertin Andrea Amort hat wiederholt – in Kuratierungen, Büchern und Ausstellungen – an die Tanzgeschichte erinnert. Aber eine systematische Lösung des Problems steht noch aus.

Eine gute Nachricht: Die Zeichen der Zeit sind erkannt, und daher wird in ein Format wie Living Positions investiert. Zu sehen sind da Werke von drei Wiener Tanzschaffenden: Saskia Hölbling reaktiviert ihre Bodies (with) Fences (2013), Anne Juren zeigt drei kürzere Stücke aus den Jahren 2004 bis 2010, und Chris Haring selbst lässt sein Ensemble Candy’s Camouflage von 2016 wieder aufleben.

Nachwuchsformat

Dem gegenüber steht Imagetanz mit seinen Neuigkeiten. Darunter die Uraufführung von Claire Le­fèvres Loie (is a fire that cannot be extinguished) mit einem historischen Motiv: Die Choreografin setzt sich aus Sicht der Gegenwart mit der berühmten frühen Modernen Loïe Fuller (1862–1928) auseinander.

Das Nachwuchsformat Huggy Bears, von Charlotte Bastam und Philippe Riéra kuratiert, setzt auf Arbeiten des choreografischen Nachwuchses, die junge Tanzschaffende Yoh Morishita präsentiert erstmals ihr Stück Chrysalis, eine Performance-Uraufführung kommt von dem Dänen Mads Floor Andersen, und die Zürcher Künstlerin Ceylan Öztrük schließt das Festival mit Wearing the Angles, Kissing the Room.

Imagetanz lockt zwar mit dem Motto "You are made of dance", aber eine Auseinandersetzung mit Tanz findet in dem nicht gerade üppigen Programm nur in Ansätzen statt. Dafür überwiegen die gerade aktuellen Performance- und sozialen Formate. (Helmut Ploebst, 5.3.2024)