Schon die ersten Sekunden dieses Dokumentarfilms geben die Richtung vor: Oliver Stone, dreifacher Oscar-Gewinner, tritt in den Palast des kasachischen Herrschers Nursultan Nasarbajew. Umschwirrt von Bediensteten durchquert er schweren Schrittes Gänge, an deren Wänden gold gerahmte Fotos hängen. Nasarbajew mit Ex-Kanzlerin Angela Merkel, Nasarbajew mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping, Nasarbajew mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die große Welt.

Das Plakat zur Propaganda-Doku
Das Plakat zur Propaganda-Doku "Qazaq": Nursultan Nasarbajew, Igor Lopatonok, Oliver Stone (v. li.).
PD

Es ist das Jahr 2020, Nasarbajew hat nach rund dreißigjähriger Herrschaft über sein Land das Amt des Staatspräsidenten niedergelegt, ist in Kasachstan als Parteivorsitzender aber noch immer fast allmächtig. Auch den Titel "Führer der Nation" trägt er noch. Vielleicht fragt Oliver Stone deshalb einen von Nasarbajews Leuten vorsichtig, wie er den Führer denn ansprechen solle? "Mister President" sei total in Ordnung, wird Stone beschieden. Wenig später betritt Nasarbajew auch schon den Raum.

Der Oscar-Preisträger

Wer dem Oscar-Preisträger in der daraus entstandenen Dokumentation "Qazaq. History of the Golden Man" zuschaut – wie er sich zum Stichwortgeber eines langjährigen Diktators machen lässt, dem unter anderem die Folterung von Regimegegnern vorgeworfen wird –, der fragt sich unweigerlich: Warum tut einer wie Oliver Stone das? Warum macht einer der ganz Großen Hollywoods so einen Film?

Eine gemeinsame Recherche von DER STANDARD, dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), dem SPIEGEL, Tamedia, dem ZDF und dem kasachischen Investigativportal "Vlast" bietet nun Antworten darauf, die sich auf eine Aussage reduzieren lassen: Oliver Stone hat sich kaufen lassen. Der Finanzier des Machwerks über Nursultan Nasarbajew war, über eine Hilfskonstruktion, letztendlich Nursultan Nasarbajew.

Damit nicht genug: Aus Unterlagen, die dem STANDARD vorliegen, geht zudem hervor, dass Nasarbajew nur einer von mehreren umstrittenen Herrschern war, mit denen Stone und seine Partner ins Geschäft kommen wollten. Ob der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko, der türkische Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan oder Aserbaidschans Autokrat Ilham Alijew – sie alle hätten ebenfalls Hauptdarsteller einer schillernden "Oliver Stone Documentary" werden können, wenn man sich einig geworden wäre.

Oliver Stone mit Ilham Alijew, die Illustration gehört auf einer elfseitigen Unterlage, mit der ein Film über Alijew gepitcht werden sollte.
Oliver Stone mit Ilham Alijew, die Illustration gehört zu einer elfseitigen Unterlage, mit der ein Film über Alijew gepitcht werden sollte.
PD

All das geschah offenbar nicht etwa hinter dem Rücken des Oscarpreisträgers: "Oliver Stone wusste von der Existenz dieser Pitch-Dokumente", erklärte sein Kompagnon Igor Lopatonok, der Regisseur des Films, in einer tumultuösen Videoschalte mit dem STANDARD. Lediglich im Fall von Alexander Lukaschenko scheint Stone selbst die Reißleine gezogen zu haben, wie aus internen E-Mails hervorgeht. Eine Anfrage dazu ließ Oliver Stone unbeantwortet.

Das Geschäftsgebaren Stones wird nun öffentlich, weil ein Insider sein Wissen nicht länger für sich behalten wollte. Der Insider, der anonym bleiben möchte, beschreibt etwa, wie Stone und Partner Lopatonok kaum eine Grenze kannten bei den Zugeständnissen an ihre kasachischen Auftraggeber. Diese durften demnach Fragen vorformulieren, entscheiden, welche Fragen gestellt wurden, und allzu kritische Themen verschwinden lassen. So entstand, wenig überraschend, ein kritikloses Auftragswerk, ein Propagandafilm statt einer unabhängigen Dokumentation – was das Publikum allerdings nicht erfuhr.

Wohl kein anderer Hollywood-Regisseur hat in seinem Werk so oft heikle politische Themen aufgegriffen wie Oliver Stone, und wohl keiner hatte damit so großen Erfolg. Themen seiner Filme waren der Vietnamkrieg ("Platoon", 1986), die CIA-Unterstützung für Diktatoren ("Salvador", 1986) oder die Gier auf dem Finanzmarkt ("Wall Street", 1987). Gleichzeitig war Stone irre erfolgreich und gewann Preis über Preis. Irgendwann kam zur Kritik an den USA, die er schon mal einen "Tyrannenstaat" nannte, immer mehr Verständnis für Autokraten hinzu. Stone besuchte Fidel Castro für seinen Film "Comandante" (2003) und den damaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez für seinen Dokumentarfilm "South of the Border" (2009).

Freiwillig im Krieg

Geht man weiter zurück in Stones Leben, kann man sich auch fragen: Wie kam der Sohn aus mittelständischen Haus, der gute Schulen und teure Unis (ohne Abschluss) besucht hatte, zu seinen Themen, zur anscheinenden Kapitalismuskritik und der USA-Kritik? Sieht man sich seine Biografie an, waren oft ganz persönliche Erlebnisse die Motivation, Filme wie "Wall Street" oder Antikriegsfilme wie "Platoon" zu drehen. Stone war als junger Mann weder Pazifist noch USA-kritisch unterwegs. Er diente selbst freiwillig von 1967 bis 1968 in Vietnam, wurde zweimal verletzt und mit militärischen Ehren versehen.

Filmplakat zu
Filmplakat zu "Wall Street" (1987).
imago images/Mary Evans

Und in Interviews rund um den Filmstart von "Wall Street" 1987 wie jenem mit der Fernsehjournalistin Bobbie Wygant erzählt Stone von seinem Vater, der seit den 1930ern ein Broker und Analyst an der Wall Street war, von der guten alten Zeit und dem Kapitalismus, der Gutes bewirkte, anstatt der späteren Auswüchse der Gier. Das aber sind die späteren Motivationen für Filme wie jenen über Nasarbajew. Warum zerstört ein Starregisseur wie er seinen Ruf, an dem er ein Leben lang gearbeitet hat? Sollte es gar ein Auswuchs seiner persönlichen Gier sein?

Willem Dafoe, Charlie Sheen & Tom Berenger als Sgt. Elias Grodin, Pvt. Chris Taylor, Sgt. Bob Barnes in
Willem Dafoe, Charlie Sheen & Tom Berenger als Sgt. Elias Grodin, Pvt. Chris Taylor, Sgt. Bob Barnes in "Platoon" (1986) .
imago images/Mary Evans

Denn nach allem, was über das Geschäftsmodell hinter "Qazaq" bekannt wird, fragt man sich: Wie war das bei Castro und Chavez? Oder später, als Oliver Stone zwischen 2015 und 2017 den russischen Machthaber Wladimir Putin mehr als ein Dutzend Mal traf, für einen Film mit dem Titel "Die Putin-Interviews" – den die "Süddeutsche Zeitung" später treffend als "Autokraten-Porno" beschrieb. Oliver Stone kam Putin filmisch so nahe wie zuvor wohl nur der ARD-Journalist Hubert Seipel. Und der wurde dafür heimlich von einem Putin-nahen Oligarchen bezahlt, mit hunderttausenden Euro, wie eine Recherche von STANDARD, SPIEGEL und ZDF Ende 2023 belegte. Floss auch Geld, als der US-Starregisseur Wladimir Putin als starken Mann porträtierte, beim Eishockeyspielen, beim Kampfsport und auf dem Pferd? Eine Anfrage dazu ließ Stone ohne Antwort.

Geköpfter Hund

Das Projekt "Qazaq" nahm Anfang 2019 Gestalt an, damals wandte sich der ukrainischstämmige Regisseur Igor Lopatonok offenbar an das Umfeld des kasachischen Machthabers. Wer als Journalist über seine fragwürdigen Geschäfte berichtete, fand schon mal einen geköpften Hund vor seiner Redaktion – und den dazugehörigen Kopf dann vor der Wohnungstür.

Dem Team Nasarbajews gegenüber hatte Lopatonok offenbar den Eindruck erweckt, Stone wäre als "Projektschöpfer" beteiligt – vermutlich, um so ein höheres Budget bekommen zu können. Der erste Vertragsentwurf für das Projekt wurde, das zeigen interne E-Mails, Anfang November 2019 in Kasachstan ausgehandelt.

Die treibende Kraft, jener Igor Lopatonok, der einst auf dem Gebiet der heutigen Ukraine geboren wurde, war 2008 in die USA ausgewandert und hatte sich mit zwei prorussischen Filmen über die Ukraine einen gewissen Ruf verschafft – auch weil Ukrainer und Ukrainerinnen bei ihm wahlweise als "Marionetten der USA oder radikalisierte Nationalisten" dargestellt würden, wie die "Süddeutsche Zeitung" schrieb. An beiden Filmen war Stone als Produzent und Interviewer beteiligt.

Die nächste Stufe der Zusammenarbeit lief dann offenbar so: Der Hollywood-Regisseur gab seinen Namen und sein Gesicht – und damit zog Lopatonok los, um ihre gemeinsamen Projekte spektakulär anzupreisen. Für horrende Summen, versteht sich. Inhaltlich war Stone nach SPIEGEL-Recherchen kaum involviert – die Pitches kannte er laut seinem Kompagnon aber sehr wohl.

Insgesamt zeichnen die internen Dokumente ein Setting, das viel eher einer Auftrags-Werbeproduktion glich als einer Dokumentation; in einem der geleakten internen Dokumente wird Nasarbajew sogar als "verehrter Kunde" bezeichnet. Eindeutiger geht es kaum. Und laut Insider hatte dieser Kunde die Kontrolle: Demnach wurde vom Konzept bis hin zum Skript fast alles abgesprochen.

Die geleakten Dokumente zeigen, dass die Drehbuchautoren von "Qazaq" über 130 Fragen vorbereiteten – man werde dazu aber "die Wünsche des Helden" berücksichtigen, heißt es in einer internen E-Mail. Obwohl Stone sich im Film meist nicht genau an die Formulierungen hält, beziehen sich seine Fragen weitgehend auf die vom Team um den kasachischen Ex-Präsidenten erwünschten Themen.

Image-Aufbesserung

Damit nicht genug, laut dem Insider konnte der kasachische Ex-Präsident auch alle Themen, die ihm schaden könnten, entfernen: soziale Fragen, Probleme in der kasachischen Wirtschaft oder das wirkliche Leben der Menschen im Land. "Nasarbajew hat den Film immer wieder bearbeitet und Änderungen verlangt, die sein Image verbessern sollten", behauptet die Quelle. Lopatonok bestreitet dies: "Nur ich war für den finalen Schnitt verantwortlich", sagt er.

Im Grunde, so beschrieb es der ehemalige Mitarbeiter der Filmfirma gegenüber dem STANDARD, sei Nasarbajew der "Chefredakteur" von "Qazaq" gewesen. Lopatonok selbst erklärt dazu, lediglich einzelne Wörter geändert zu haben, etwa aufgrund falscher Aussprache.

Das Projekt "Qazaq" mündete in zwei Produkte: eine mehrstündige Miniserie, die nur einmal, im Dezember 2021, auf dem kasachischen Staatssender lief, und einen knapp zwei Stunden langen Film, der auf Festivals in den USA und Italien gezeigt wurde. Bei der Filmpremiere im Juli 2021 in der kasachischen Hauptstadt Nursultan, dem heutigen Astana, behauptete Stone, er hätte Nasarbajew "alle Fragen" stellen können. Offenbar war sich Stone bewusst, wie problematisch sein Vorgehen war. In einer geleakten E-Mail schreibt sein Produzent, Stone wolle im Interview die mangelnden Menschenrechte beziehungsweise "Fälle ihrer Verletzung" ansprechen – als "eine Art Versicherung", damit ihm im Nachgang "niemand vorwirft, diese Fragen nicht gestellt zu haben".

Eine Szene aus
Eine Szene aus "Qazaq": Links der Autokrat Nursultan Nasarbajew, in der Mitte Oliver Stone.
Screenshot

In der veröffentlichten Zweistundenversion von "Qazaq" ist von Menschenrechtsfragen allerdings keine Spur. Als Stone später vom "Guardian" gefragt wurde, wie er dazu stehe, dass "Qazaq" zu Propagandazwecken eingesetzt werde, konterte der Oscarpreisträger, was falsch daran wäre, Nasarbajew für seine dreißigjährige Amtszeit zu feiern?

Im "Guardian"-Interview beschrieb Oliver Stone seine Bezahlung als der "Arbeit als Interviewer und Produzent des Dokumentarfilms angemessen", konkreter wollte er nicht werden. Ebenso wenig gab er preis, woher das "angemessene" Honorar kam. Dem "Guardian" erklärten Stone und Lopatonok allerdings, die kasachische Regierung sei an der Finanzierung des Films nicht beteiligt gewesen, im "Rolling Stone"-Interview war dann die Rede von "privaten Geldquellen" aus Russland und dem Westen.

Die Finanzierung

Dem Deal zufolge sollten mindestens sieben Millionen US-Dollar über Nasarbajew, nämlich über eine seiner Stiftungen und eine Regierungsorganisation, zur Finanzierung bereitgestellt werden. Das lässt sich aus einem 2022 öffentlich gewordenen Vertrag herauslesen, wonach jene Stiftung Nasarbajews diese Summe für die Produktion, Präsentation und den Vertrieb eines Films zusagte, der damals den Arbeitstitel "Oliver Stone Documentary – Kasachstan" trug – der spätere "Qazaq". Ob die ganzen sieben Millionen am Ende geflossen sind, ist unklar, eine kasachische Regierungsstelle bestätigte aber immerhin den Geldfluss von fünf Millionen.

Weder Oliver Stone noch Regisseur Lopatonok wollten sich auf Anfrage zu der genauen Finanzierung äußern, laut dem Insider wussten aber beide, woher das Geld kam. Als DER STANDARD im Videocall mit Lopatonok darauf zu sprechen kommt, rastet der Filmemacher aus und bedroht die Journalisten: "We going after you personally", schreit er in seine Kamera, und: "We're gonna destroy you … credibility."

Letztendlich lief das gemeinsame Modell wenig erfolgreich. Zwar nahmen Lopatonok und Stone außer dem Kasachstan-Film auch ein weiteres Autokraten-Projekt in Angriff, eine fast zweistündige Dokumentation über Aserbaidschans Diktator Ilham Alijew.

Der Film kam jedoch nicht zustande. Das elf Seiten starke Exposé bewirbt Oliver Stone, der Executive Producer und Interviewer sein sollte, als "master of controversial subjects and legendary film maker". Dem höchst umstrittenen Alijew, der immer wieder kritische Journalistinnen und Journalisten inhaftieren lässt und reihenweise europäische Abgeordnete bestochen haben soll, wurde darin sogar eine "weltweite Ausstrahlung" versprochen.

Selbst den Entwurf eines Filmplakats gab es schon: Es zeigte Oliver Stone und Ilham Alijew in Schwarz-Weiß, dramatisch ausgeleuchtet vor dunkler Kulisse. Ein Autokrat und sein Werbefilmer. (Vyacheslav Abramov, Jaya Mirani, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Colette M. Schmidt, 5.3.2024)