Große Verhandlungen sind am Obersten Gerichtshof eher selten, dementsprechend groß war das Interesse.
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Vor dem Security-Check des Wiener Justizpalasts standen Mittwochfrüh Touristen und Journalisten Schlange. Die einen wollten zur imposanten Feststiege im Eingangsbereich, die anderen in den Festsaal, zum Prozess gegen Ex-Ministerin Sophie Karmasin. Der Raum war gut gefüllt. Große Verhandlungen sind am Obersten Gerichtshof (OGH) nicht alltäglich – schon gar nicht in Causen, die ein ehemaliges Regierungsmitglied betreffen.

Das Straflandesgericht Wien hatte Karmasin im Mai 2023 wegen verbotener Absprachen verurteilt – nicht rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten. In einem weiteren Anklagepunkt wegen Betrugs wurde sie dagegen freigesprochen, weil sie zu Unrecht bezogene Gehälter rechtzeitig zurückbezahlt habe. Nach einer kurzen Verhandlung hat der Oberste Gerichtshof dieses Urteil nun im Wesentlichen bestätigt. Die Strafe für Karmasin wird allerdings auf eine bedingte zehnmonatige Freiheitsstrafe reduziert.

Video: Strafe für Sophie Karmasin auf zehn Monate bedingt reduziert.
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Schuldspruch und Freispruch

Die Vorwürfe gegen Karmasin rühren aus ihrer Tätigkeit als Meinungsforscherin her. Ihre Berufskollegin Sabine Beinschab, mittlerweile Kronzeugin der WKStA, hatte sie schwer belastet. Beinschab und eine weitere Demoskopin sollen für Karmasin Scheinangebote an das Sportministerium gelegt haben, damit Karmasin als Bestbieterin erscheint. Im Anklagepunkt der "wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Vergabeverfahren" verurteilte sie das Gericht. Ein mitangeklagter Beamter aus dem Sportministerium wurde freigesprochen.

Keinen Grund für eine Strafe sah das Gericht beim zweiten Anklagepunkt gegen Karmasin, in dem ihr Betrug vorgeworfen wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte ihr zur Last gelegt, dass sie nach ihrer Ministerinnentätigkeit eine Gehaltsfortzahlung bezog, obwohl sie bereits wieder beruflich tätig gewesen sei. Der Richter sah zwar einen "Betrug so eindeutig, wie wir ihn hier selten haben". Karmasin habe aber "tätige Reue" geübt, weil sie das Geld wieder zurückbezahlt habe, bevor die Behörden von dem Delikt erfuhren.

Berufung von beiden Seiten

Nach dem Urteil legten sowohl die WKStA als auch Karmasins Strafverteidiger Berufung beziehungsweise Nichtigkeitsbeschwerde ein. Die Staatsanwaltschaft wollte Karmasin auch wegen des Vorwurfs des Betrugs verurteilt wissen, die Verteidigung einen Freispruch in allen Anklagepunkten.

Am Mittwoch brachte Verteidiger Norbert Wess noch einmal seine Bedenken gegen das Urteil der ersten Instanz vor. Der Anwalt entschuldigte sich beim Richtersenat für den "langen Schriftsatz", das sei aber "der Situation geschuldet" gewesen. Aus seiner Sicht liegt schon deshalb keine wettbewerbswidrige Absprache in einem Vergabefahren vor, weil es gar kein Vergabeverfahren gegeben habe. "Unter keinen Umständen", sagte Wess, "aus meiner tiefsten juristischen Überzeugung".

Der Grund: Karmasin sei mit einem völlig neuen wissenschaftlichen Ansatz an das Sportministerium herangetreten. Erst später habe das Ministerium intern beschlossen, zwei weitere Angebote einzuholen, obwohl es dazu nicht verpflichtet gewesen wäre. "Da wurde kein Wettbewerb eröffnet, deshalb kann auch keiner verletzt sein", sagte Wess. Das alles sei "ganz unglücklich" und "ungeschickt" gelaufen. Die Voraussetzungen des Tatbestands seien aber nicht erfüllt.

Generalanwältin hält Urteil für korrekt

Die Generalprokuratur, die vor dem Obersten Gerichtshof statt der Staatsanwaltschaft auftritt, hielt das erstinstanzliche Urteil in der Verhandlung am Mittwoch für korrekt. Aus Sicht von Generalanwältin Julia Gföller ist sowohl die Nichtigkeitsbeschwerde der Verteidigung als auch jene der WKStA "nicht berechtigt". Das Urteil weise "keine der geltend gemachten Begründungsmängel auf".

Im Bezug auf den Tatbestand der Absprachen bei Vergabeverfahren betonte sie, dass es nicht darauf ankomme, ob das Verfahren nach dem Bundesvergabegesetz geführt wurde. Es brauche kein formalrechtliches Verfahren, sondern es reiche schon "sonst eine Vorgangsweise zur Beschaffung von Leistungen".

Die tätige Reue lag im zweiten Anklagepunkt des Betrugs aus Sicht der Generalanwältin dagegen vor. Strittig sei vor allem gewesen, ob Karmasin tatsächlich den gesamten Schaden bezahlt habe. Die WKStA argumentierte, dass die Ex-Ministerin nicht ihr Netto-, sondern ihr Bruttogehalt hätte zurückzahlen müssen. Laut der Generalanwältin ist das nicht korrekt. "Es kommt auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise an", sagte Gföller. Entscheidend sei deshalb das Nettogehalt.

OGH reduziert Strafe

Der OGH verwarf nun sowohl die Nichtigkeitsbeschwerde der WKStA als auch jene der Verteidigung und folgte den Ausführungen der Generalprokuratur.

Recht gab das Höchstgericht allerdings der Berufung gegen die Strafhöhe. Das Erstgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass sich Karmasin bisher nichts zuschulden kommen lassen habe. Eine unbedingte Haftstrafe, wie von der WKStA gefordert, lehnte der OGH ab. Bei Ersttäterinnen sei das bei Delikten, die mit bis zu dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind, nicht üblich. Es liege hier "kein Fall von schwerer Kriminalität vor". Karmasin habe aufgrund ihrer Untersuchungshaft zudem bereits ein "Haftübel" verspürt.

Im zweiten Anklagepunkt wegen Betrugs sah der OGH die Voraussetzungen für die tätige Reue als erfüllt an. Karmasin habe das zu Unrecht bezogene Gehalt sowohl rechtzeitig als auch vollständig zurückbezahlt. Der Schwager von Karmasin habe das Geld mit einem unmissverständlichen Verwendungszweck überwiesen, und zwar schon einen Tag bevor Medien über den Fall berichteten.

Weitere Verfahren offen

Karmasin droht abseits des aktuellen Verfahrens weiteres juristisches Ungemach. In der Umfragencausa wird weiter gegen sie ermittelt. Die WKStA wirft Karmasin vor, eine entscheidende Rolle in einem angeblichen Deal zwischen dem Team von Sebastian Kurz und der Mediengruppe Österreich gespielt zu haben. Karmasin bestreitet auch das, und es gilt die Unschuldsvermutung. (Jakob Pflügl, 6.3.2024)