Was Toni Polster am 15. November 1989 in den Wiener Nachthimmel brüllte, war vieles, aber ganz sicher nicht jugendfrei. Die Adressaten seines Zorns waren die österreichischen Fans im Ernst-Happel-Stadion. Polster hatte gerade das 3:0 gegen die DDR erzielt, sein drittes Tor in dem denkwürdigen Spiel, und Österreich damit endgültig zur Fußballweltmeisterschaft in Italien geschossen.

Toni Polster
Im Nationalteam hatte es Toni Polster nicht immer leicht.
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Klaus Lindenberger im Tor und Ernst Aigner als Abwehrchef hielten hinten die Null, während das Vokuhila-Trio Peter Artner, Manfred Linzmaier und Manfred Zsak im Mittelfeld kurbelte. Österreich hatte ein besonderes Team, nicht nur frisurentechnisch. Auf der Gegenseite standen DDR-Kaliber wie Matthias Sammer oder Ulf Kirsten. Und die Fans der Nationalmannschaft, denn die hatten Polster als Buhmann auserkoren und ihn gnadenlos ausgepfiffen. "Es war einer der schwierigsten Tage meines Lebens", erinnert sich Polster heute. "Ich habe mich fürchterlich alleine gefühlt."

Triumph oder Abschied

Nach dem Spiel verzichtete Polster auf die Ehrenrunde. Er wollte sich nicht von jenen feiern lassen, die ihn zuvor geschmäht hatten. Wäre das Spiel oder der Auftritt Polsters in die Hose gegangen, seine Karriere im Nationalteam hätte ein vorzeitiges Ende gefunden. Oder wie es Toni Polster formuliert: "Hopp oder dropp, Barfuß oder Lackschuh, Sekt oder Selters. Geht es nicht gut, dann lasse ich es sein." Zum Glück ging es gut.

Das Spiel gegen die DDR ging in die österreichische Fußballgeschichte ein. Genauso wie jener Mann, der es geprägt hatte: Toni Polster. Am 10. März wird der streng gläubige Wiener 60 Jahre alt. In der Doku "Toni Polster – Abseits des Strafraums" blickt er auf seine beeindruckende Karriere zurück – zu sehen am Mittwoch, 6. März, um 20.15 Uhr in ORF 1 und in der ORF-TVthek.

Toni Polster auf dem Thron
Toni Polster auf dem Thron – in der ORF-Doku blickt er auf seine Karriere zurück.
ORF/DMG Film

Polster will noch mehr

Toni Polster in Zahlen, das sind zunächst einmal 44 Tore in 95 Länderspielen. Um drei weitere Treffer kämpft er noch vor Gericht. Sein Debüt im österreichischen Nationalteam feierte er im Jahr 1982 bereits als 18-jähriger Stürmer der Wiener Austria, standesgemäß mit einem Tor beim Sieg gegen die Türkei. Er war dreimal Torschützenkönig der österreichischen Bundesliga und dreimal Meister mit der Wiener Austria, eher er nach Italien zum AC Torino wechselte. In 29 Spielen standen neun Tore zu Buche. Nach nur einem Jahr heuerte er beim FC Sevilla an. Ein Glücksfall: "In Italien sind wir rausgegangen, um nicht zu verlieren, in Sevilla, um zu gewinnen."

Polster dankte es dem FC Sevilla mit vielen Toren. In der Saison 1990/91 wurde er mit 33 Toren Zweiter der spanischen Torschützenliste, hinter Real-Madrid-Star Hugo Sánchez. Dass er das Team nach drei Jahren verließ, bezeichnet er heute als einen seiner größten Fehler. Nach Stationen bei CD Logroñés und Rayo Vallecano mit jeweils 14 Saisontoren wurde Polster beim 1. FC Köln innerhalb kurzer Zeit zum Kultspieler. Von 1993 bis 1998 erzielte er in 150 Spielen 79 Tore, und Die Fabulösen Thekenschlampen sangen "Toni, lass es polstern".

Toni Polster durfte im Dress des 1. FC Köln oft jubeln.
Toni Polster durfte im Dress des 1. FC Köln oft jubeln.
Credits: imago/Kulich/DKA

Der Mensch hinter dem Torjäger

In der Doku reist Polster nach Sevilla und Köln, um alte Zeiten Revue passieren zu lassen und um Freunde zu treffen. So wird er beispielsweise in Sevilla von ehemaligen Mitspielern überrascht. Da rennt der Schmäh – auf Spanisch. Bei diesen Begegnungen merkt man erst, wie viel Wertschätzung ihm entgegenbracht wird. Dem Torjäger Polster, aber in erster Linie dem Menschen Toni.

So amtierte er von 1997 bis 2005 als Präsident des Kölner Kreisligisten SV Weiden. Beim Treffen mit Polster erinnern sich ehemalige Kollegen, dass er ihnen bereits im Alter von zwölf Jahren das Wort "schnackseln" beigebracht hatte oder er Spieler als "Specki 1" und "Specki 2" bezeichnetet. Dass er sie damals aufgrund ihres Gewichts so genannt hatte, ist ihm heute unangenehm. Polster, der Reflektierte.

Bruch mit dem ÖFB

Wo viel Licht, ist aber auch einiges an Schatten. In der Sendung kommen seine Frau Birgit und Polsters zwei Kinder zu Wort. Sein Sohn Anton Jesus erzählt, dass sein Papa ein "Mann der alten Schule" sei, der keine Waschmaschine bedienen könne. Um zwei, drei Knöpfe zu drücken, müsste man kein Blitzgneißer sein. Unverständlich wird es auch, wenn Polster sagt, dass er sich seit Jahren keine Länderspiele mehr im Stadion ansehe, weil er vom ÖFB statt zwei Tickets nur mehr eines pro Spiel bekomme. Er möchte aber nicht allein hingehen, sondern seine Frau Birgit mitnehmen. Die wiederum will nicht, dass er Karten kaufen müsse. Das Polster'sche Universum ist auch eine verrückte Welt, wo sich Sturheit und Stolz treffen.

Toni Polster mit seinen zwei Kindern.
Toni Polster mit seinen zwei Kindern aus erster Ehe.
ORF/DMG Film

Stronach, der Ahnungslose

Dass Polster als Trainer nicht an seine Erfolge als Spieler anschließen konnte, hat viele Gründe. So versuchte er sich zuerst als Marketingmanager bei Borussia Mönchengladbach, seinem letzten Profiverein, wenn man die halbjährige Leihe zum SV Austria Salzburg außer Acht lässt. Im Winter 2004 kehrte er als Teammanager zur Wiener Austria zurück, bis er im Juni 2005 von Frank Stronach gefeuert wurde. "Ich habe selten einen so naiven, ahnungslosen Menschen wie Frank Stronach kennengelernt. Mit ihm war nicht zu arbeiten", sagt Polster heute über den Austria-Boss von damals. Nach Stationen beim LASK und einem kurzen Gastspiel als Trainer beim Bundesligisten Admira Wacker landete er wieder bei der Wiener Viktoria.

Was als Zwischenstation gedacht war, bis größere Vereine nach ihm angeln, ist zur Dauerlösung geworden. Der dicke Fisch bleibt im kleinen Teich. Warum das so ist, könne er sich nicht erklären: "Es hat sich nie so ergeben." Toni Polster scheint kein Speichellecker und Klinkenputzer zu sein. Das zementiert seinen Kultstatus. Den Trainerjob beim jetzigen Drittligisten will er noch eine Zeitlang machen. Die Leidenschaft für den Fußball ist nach wie vor groß: "Ich stehe so gerne am Platz." Hier läute kein Handy, keiner gehe ihm auf die Nerven. Möge es noch lange so bleiben. (Oliver Mark, 6.3.2024)