Die Zeiten, in denen nach einem Blick auf die Gasrechnung eine schlaflose Nacht drohte, sind vorbei. Das hat freilich weniger damit zu tun, dass die Gaspreise für Kundinnen und Kunden in Österreich so stark gefallen wären in den vergangenen Monaten. Viel mehr dürfte sich ein Gewöhnungseffekt eingestellt haben. Seitdem die Preise Anfang 2023 für Haushalte ein historisches Hoch erreicht haben, verharren sie etwa auf diesem Niveau. Während das hierzulande nur noch wenig diskutiert wird, ist die Entwicklung in Österreich ein Sonderfall im europäischen Vergleich.

Das zeigt eine Analyse des Ökonomen Sebastian Koch vom Forschungsinstitut IHS. Das IHS betreibt eine Datenbank, in der sich mit ein paar Klicks anschauliche Vergleiche rund um die Inflationsentwicklung generieren lassen. Koch hat verglichen, wie sich die Gaspreise in den einzelnen EU-Staaten entwickelt haben. Ergebnis: In keinem anderen Land sind die Gaspreise so stark gestiegen wie in Österreich. So liegen die Preise für den Rohstoff aktuell in Österreich um das Dreifache höher als vor der Inflationskrise, wobei das Ausgangsjahr dieser Berechnung 2015 darstellt. Im EU-Schnitt sind die Preise dagegen nur ums Eineinhalbfache gestiegen.

Auf einen Blick
Hoher Anstieg bei Österreichs Gaspreisen - keine Wende in Sicht
STANDARD

In vielen Staaten sind die Gaspreise nie so stark angestiegen wie in Österreich, etwa in Portugal oder Schweden. In anderen Ländern wie den Niederlanden oder Belgien gab es exorbitante Sprünge. Inzwischen sind die Preise hier aber wieder stark gefallen. Dann gibt es einige Länder, wo die Kosten angezogen und hoch geblieben sind – wobei Österreich der Ausreißer nach oben ist.

Wie kommt es dazu? Das ist umso verwunderlicher, als die OMV nach eigenen Angaben genau deshalb so langfristige Gaslieferverträge mit Russland abgeschlossen hat, um viel günstiges Gas zu erwerben. Der aktuelle Vertrag läuft bekanntermaßen bis 2040. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass dieses Gas gar nicht günstig ist. Bis auf die OMV kennt zwar niemand den exakten Inhalt der Verträge. Aber der Preis, den der Energieversorger an Gazprom bezahlt, richtet sich nach dem Marktpreis. Als die Kosten also 2022 angezogen haben, weil Russland seine Lieferungen an viele Staaten drosselte oder einstellte und am Markt Panik ausbrach, ging es auch mit den Preisen für russisches Gas bei uns nach oben. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die OMV das russisches Gas am Markt verkauft oder die Energieversorger direkt beliefert. Die OMV tut beides. Die Preise stiegen so oder so.

Gut ablesen lässt sich das an Österreichs Außenhandelsstatistik: Dort zeigt sich, dass seit Beginn der Energiepreiskrise viel mehr Geld aus Österreich nach Russland abfließt. Laut einer Auswertung des Neos-Lab, des Thinktanks der Oppositionspartei, waren es allein von Jänner bis November 2023 3,4 Milliarden Euro.

Das erklärt, warum Gas teuer wurde, aber noch nicht, warum es das auch blieb. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Dominante Player und treue Kunden

Eine Besonderheit in Österreich ist die recht einzigartige Marktstruktur. Einige große, staatliche oder teilstaatliche Versorger wie die Wien Energie oder die EVN beherrschen den Markt. Dazu kommt, dass Kundinnen und Kunden im europäischen Vergleich nicht sehr wechselwillig sind, also lange bei ihren Anbietern bleiben, wie eine Analyse des Ökonomen Leo Lehr von der E-Control zeigt. Dieser mangelnde Wettbewerb gepaart mit der Ausnahmesituation hatte weitreichende Folgen.

Die Energieversorger haben im Zuge des Gaspreisanstieges in Österreich auch ihre Margen erhöhen können, heißt es bei der E-Control, der staatlichen Aufsichtsbehörde. Technisch funktionierte das so: Die meisten Versorger bemessen ihre Angebote für Kunden nach einem Index. Dieser bildet nicht nur den Gaspreis ab, sondern es gibt auch einen Aufschlag für die Gewinnmarge, die der Konzern erzielen will. Als die Gaspreise in die Höhe gingen, haben Unternehmen in vielen Fällen ihren Index 1:1 mit dem Gaspreis steigen lassen. Stiegen die Kosten für den Rohstoff ums Fünffache, tat es auch der Index und somit die Marge.

Ein weiterer Faktor ist, dass die Preise in Österreich im internationalen Vergleich mit einer langen Verzögerung weitergegeben werden. Das hat zunächst dafür gesorgt, dass die Kosten fürs Gas 2022 nicht sofort angezogen haben. Nun aber rächt es sich. Um ihre Preise für Kunden zu kalkulieren, beziehen die Energieversorger die Marktpreise der vergangenen Monate ein. Im Herbst 2023 hat Wien Energie beispielsweise seinen Gaskunden ein Angebot gemacht, wenn diese sich für ein Jahr binden. Laut E-Control lag der Preis fürs Gas der Wien Energie damals bei um die sieben Cent pro Kilowattstunde netto. Dieses Angebot bildete laut E-Control auch die starken Kostenausschläge am Markt für Gas im ersten Quartal 2023 mit ab.

Wenn sich der Zeiger bewegt, steigen die Kosten.
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Die Preise für Gas sind seither gesunken. Aktuell liegen sie am Markt bei unter vier Euro. Wer allerdings im Herbst 2023 einen Vertrag bei Wien Energie abschloss, ist an diesen mindestens noch bis Herbst 2024 gebunden. Die Kombination aus langer Vertragsbindung und rückwärtsgewandter Preisgestaltung ist also ein weiterer Faktor für die höheren Preise in Österreich.

Weil Kundinnen und Kunden selten den Vertrag wechseln, laufen hohen Preise lange fort. Wer nicht wechselt, kann zudem oft angebotene Rabatte nicht nutzen. Auch das wirkt sich aus. Für Neukunden sind die Preise in Österreich zwar auch hoch, aber der Unterschied zu anderen Ländern ist nicht mehr so hoch.

Nicht klar ist, was hinter der verspäteten Weitergabe von Preisen steckt. Energieversorger kaufen einen Teil von ihrem Gas langfristig ein, meist für zwei Jahre, wie der Energiemarktexperte Lukas Stühlinger vom Dienstleister Fingreen sagt. Die Gasversorger waren auch früh in der Krise angehalten, die heimischen Speicher zu befüllen. Ein Teil des Gases wurde also erworben, als die Marktpreise hoch waren. In dieser Lesart bleibt den Anbietern nur übrig, Gas teuer zu verkaufen. Gegen diese Darstellung gibt es aber auch Einwände.

Ein Teil der benötigten Gasmenge wird nämlich kurzfristig erworben. Hier müsste sich die Preisreduktion schon stärker bemerkbar machen. Fragt man Anbieter wie die EVN, wie dieser Mix sich genau zusammensetzt, schweigen diese unter Berufung auf Geschäftsgeheimnisse. Der frühere OMV-Chef Gerhard Roiss meint, "dass sich sehr wohl die Frage stellt, wie weit die Unternehmen die inzwischen günstigeren Börsenpreise weiterreichen".

"Das Schlechteste aus zwei Welten"

Warum also die höheren Preise? Die starke Markstellung einiger weniger Player und gestiegene Margen spielen eine Rolle. Dazu kommt das Einkaufsverhalten der Energieversorger und die geringe Wechselfreudigkeit der Kundinnen und Kunden. Der Auftrag, Speicher zu befüllen, während andere Länder einfach darauf vertrauen konnten, dass LNG mit Schiffen kommt, spielt eine Rolle. Schließlich fällt auch ins Gewicht, dass bei der Preisgestaltung lange zurückgeschaut wird. "Österreichs Energiepolitik verbindet derzeit das Schlechteste aus zwei Welten: hohe Abhängigkeit von und viel Geld für russisches Gas, hohe Inflation beim Gas in Österreich", sagt Lukas Sustala vom Neos-Lab.

Sicher ist, dass die hohen Gaspreise in Österreich auch ein Grund dafür sein dürften, dass die Inflation über dem Schnitt der übrigen Euroländer liegt. Die Inflation lag im Jänner bei 4,5 Prozent. 0,2 Prozentpunkte davon gehen auf die Gaspreise zurück. Das mag auf den ersten Blick wenig erscheinen. Doch der Gaspreis sollte in Österreich, wie in anderen Ländern bereits geschehen, rückläufig sein und damit die Gesamtinflation nach unten drücken, sagt Ökonom Koch vom IHS. Doch das geschieht noch länger nicht. Laut dem Chefökonomen der E-Control, Johannes Mayer, dürfte erst in der zweiten Jahreshälfte mit einem Rückgang der Gaspreise zu rechnen sein. (András Szigetvari, 5.3.2024)