Die ÖVP ist auf einem seltsamen Trip (die SPÖ auch, aber davon ein andermal). Jedenfalls versucht die ÖVP mit aller Macht, den Prozess, das Urteil und den Richter im Fall der falschen Zeugenaussage von Sebastian Kurz zu diskreditieren.

Dass Kurz so etwas macht, ist nicht verwunderlich. Es gehört schon seit Jahren zu seinem politischen Stil, sich als Opfer einer politisierten Justiz darzustellen. Bereits Anfang 2020 sagte Kurz als Kanzler in einem journalistischen Hintergrundgespräch, das dann aber bekannt wurde, in der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gebe es "rote Netzwerke", die der ÖVP Böses wollten. Es ging damals um die Anfänge des ganzen Korruptionskomplexes rund um die Postenbesetzungen in der Casino AG, aber auch der Verstaatlichten-Holding. Kurz wollte damals vorbeugend die WKStA delegitimieren (was er heute, nach seiner Verurteilung in einem Teilaspekt, noch immer tut).

Sebastian Kurz
Hat seinen Nimbus verloren: Sebastian Kurz.
EPA/CHRISTIAN BRUNA

Aber warum macht die ÖVP so vehement und insistent mit? Dass sie – in Gestalt der Verfassungsministerin Karoline Edtstadler – versucht, das Zitieren aus Akten (und Chats) zu verbieten und damit journalistische Aufdeckungsarbeit fast unmöglich zu machen, könnte man ja noch als Eigeninteresse verstehen.

Blendwerk

Aber warum hängt sich die ÖVP an das Schicksal von Kurz? Noch dazu in einer Weise, die ihr Rechtsstaatsverständnis infrage stellt? Kurz wird die ÖVP nicht mehr retten, selbst wenn er wunderbarerweise wieder an ihre Spitze zurückkehrt. Es gibt sicher noch hartnäckige Kurz-Anbeter unter den VP-Funktionären und im Wahlvolk, aber davon kann sich eine klarsichtige Parteiführung nicht beeindrucken lassen. Kurz hat seinen Nimbus verloren. Die Großtaten seiner Kanzlerschaft haben sich als Blendwerk herausgestellt: Die Balkanroute ist selbstverständlich nicht geschlossen, und die Zusammenlegung der Krankenkassen hat am Zustand des Gesundheitssystems nicht das Geringste verbessert. Inzwischen ist seine Nähe zum schwindligen Großpleitier René Benko in ein breiteres Wählerbewusstsein gesickert. Besser Informierte fragen sich, warum in seiner Kanzlerschaft Österreich gar so eng an das russische Gas gekettet wurde.

Aber ist es nicht bedenklich, dass der Richter im (ersten) Kurz-Prozess, Michael Radasztics, in einer anderen Sache disziplinarrechtlich verurteilt wurde, was ausgerechnet nach dem Urteil gegen Kurz herauskam? Dazu ist es wichtig, die Hintergründe zu wissen; Radasztics war damals Staatsanwalt und untersuchte die Eurofighter-Affäre mit möglichen Weiterungen in die schwarz-blaue Regierung. Er wurde allein gelassen, und der inzwischen verstorbene Sektionschef Christian Pilnacek forderte in einer legendären Besprechung Staatsanwälte auf, Teile des Akts zu "derschlogn". Radasztics teilte dem damaligen Abgeordneten Peter Pilz mit, es gäbe eine Weisung, Teile des Eurofighter-Akts an das Verteidigungsministerium zurückzugeben. Das genügte für eine Disziplinarstrafe. Wer wollte da Radasztics einen Strick drehen?

Die ÖVP reitet jedoch auf dem Disziplinarverfahren herum (das mit der Verurteilung von Kurz nichts zu tun hat). Sie zeigt unter anderem damit, dass sie sich vom "System Kurz" nicht lösen will. Ein Fehler. (Hans Rauscher, 6.3.2024)