Christina Stürmer veröffentlicht ihr
Christina Stürmer veröffentlicht ihr "MTV-Unplugged"-Album und geht auf Tour.
Reiner Riedler

Angeblich war die Anspannung groß, doch davon war an den zwei Abenden nichts zu spüren, an denen Christina Stürmer letzten Sommer im Wiener Volkstheater Konzerte für die Reihe MTV Unplugged gab. Die Abende wurden ein Triumph für Stürmer. Nun ist das Album dazu erschienen, ab April ist sie mit ihrer Band in Österreich und Deutschland mit dem Unplugged-Setting auf Tournee. Aus der einstigen Zweiten der Castingshow Starmania ist eine eigenständige Künstlerin geworden. Sie folgt nun nicht mehr Anweisungen einer Plattenfirma, sie ist jetzt ihre eigene Chefin.

STANDARD: Bei unserem letzten Interview vor 14 Jahren haben Sie sich bei vielen Antworten gewunden. Man bekam den Eindruck, Sie wollten es jedem recht machen.

Stürmer: Das stimmt, ich winde mich heute noch manchmal, aber ich habe dazugelernt. Aber bei manchen Fragen denke ich mir, warum ich? Warum fragt man mich zur politischen Lage? Ich bin ja nicht die, die den Leuten sagt, wie es geht.

STANDARD: Man hatte das Gefühl, Sie hätten durchaus Standpunkte, würden sie sich aber verkneifen.

Stürmer: Bloß nirgends anecken. Das war am Anfang so. Das wurde mir so eingetrichtert, es bloß allen recht zu machen. Ich dachte, das gehört zum Spiel. Aber auch das hat sich geändert. Zum Beispiel auch jetzt in der Promotion für das Album, da mache ich viel, aber bei weitem nicht mehr alles und mit jedem.

STANDARD: In der Öffentlichkeit zu stehen ist nicht einfacher geworden, wie verhalten Sie sich im Umgang mit sozialen Medien?

Stürmer: Ich glaube, ich habe da meinen Weg gefunden. Ich bin jetzt sogar auf Tiktok – in meinem Alter! Aber wir machen das zu unseren Bedingungen. Es stimmt, man muss schon aufpassen, wenn man etwas postet, wo man vielleicht gerade Fleisch isst oder fliegt, puh, dann ist das schon schlecht. Irgendwer ist immer beleidigt.

STANDARD: Gab es schon einmal einen Shitstorm in Ihre Richtung?

Stürmer: Nein, aber der eine regt sich auf, dass ich Lidl-Werbung mache, einer regt sich darüber auf, was die für Fleisch verkaufen. Dem anderen rede ich zu hochdeutsch, den stört, dass ich einen Burger esse, oh mein Gott! Dann heißt es wieder, ich würde zu wenig essen. Da denke ich mir schon: Ihr habt alle keine Ahnung von mir, aber urteilt sofort über mich. Ich lese zwar immer noch viele Kommentare, aber früher hat mich das mehr getroffen, jetzt sind sie mir eher wurscht.

Christina Stürmer feat. Deine Freunde - Keine Märchen (MTV Unplugged)
stuermerchristina

STANDARD: Sie sind eher eine private Person und kein "Seitenblicke"-Dauergast.

Stürmer: Ich habe über die Jahre gelernt, dass ich auch Nein sagen kann, dass ich nicht alles machen muss. Jetzt habe ich ein eigenes Label, jetzt mache ich die Regeln selber. Und seitdem ich Mama geworden bin – da weiß man einfach, worum es wirklich geht, auch wenn man weniger schläft, da wird vieles einfach egal.

STANDARD: Verspüren Sie Ihren Fans gegenüber so etwas wie eine Role-Model-Auflage?

Stürmer: Ja und nein: Als Mama muss man das sowieso sein. Bei uns sitzt nicht jeder dauernd rum und schaut aufs Handy oder in den Laptop, das finde ich prinzipiell bescheuert. Arbeitsmäßig muss man aber hin und wieder. Aber was die Leute draußen angeht, die gerne Christina Stürmer hören, verspüre ich wenig Druck. Was ich verspüre und spreade, ist, dass man mit sich selbst zufrieden sein muss, das ist wichtig. Es gibt so viele Leute, die verbissen und grantig durchs Leben gehen. Wenn die ihre eigene Mitte finden würden, wäre der Menschheit geholfen.

STANDARD: Was hat Ihnen geholfen?

Stürmer: Die Kinder auf alle Fälle. Ich merkte, je lockerer ich bin, desto besser geht’s mit ihnen. Und bei anderen gilt: Je mehr ich mich ärgere, desto mehr Falten kriege ich und nicht der, über den ich mich ärgere.

STANDARD: Schon bei Ihrem Auftritt im Volkstheater hatte man den Eindruck, dass Sie sich in Ihrer Haut sehr wohlfühlen.

Stürmer: Dabei war das ein Berg Arbeit mit viel Druck, nachdem ich jetzt selbst meine Plattenfirma bin. Da hat man schon Gedanken wie: Was, wenn ich heute krank werde? Dann hat man echt ein Problem. Alles ist gemietet, viele Menschen hängen da dran. Wir haben das zwar versichern lassen, aber trotzdem – und nach dem zweiten Abend bin ich dann eh gleich krank geworden.

Christina Stürmer feat. Wolfgang Ambros - Du bist wia de Wintasun (MTV Unplugged)
stuermerchristina

STANDARD: Wie waren die Auftritte für Sie nach so langer Pause?

Stürmer: Vor dem ersten Abend war ich extrem angespannt. Wir hatten vier Jahre nicht gespielt, und dann gleich so etwas Spezielles. Da kam die alte Angst hoch, was rede ich zwischen den Nummern? Bei den Liedern war ich mir sicher, dass das hinhauen wird, aber ich habe nicht auf dem Schirm gehabt, dass wegen der Aufzeichnungen jede Menge Pausen entstehen werden.

STANDARD: Gerade die improvisierten Situationen haben den Abend dann so speziell für die anwesenden Fans gemacht.

Stürmer: Es hat mir auch schnell total Spaß gemacht – und zum Glück sieht man die Anspannung in meinem Gesicht nicht.

STANDARD: Wie kam es überhaupt zu der "MTV Unplugged"-Idee?

Stürmer: Ich wollte zum 20-jährigen Jubiläum etwas Besonderes machen. Und der Regisseur Ingo Pertramer ist dann mit dieser MTVUnplugged-Idee gekommen. Die Marke steht für eine gewisse Qualität, und es gibt Auflagen. Aber es ist natürlich nicht das Gleiche wie früher. Als ich jünger war, da hat jeder das Nirvana-Unplugged-Album gehabt, und bei denen ist auf der Bühne eigentlich auch wenig passiert, die haben einfach gespielt. Das war super. Und es heißt ja immer, ich sei so bodenständig, und viele Ideen erschienen mir viel zu inszeniert. Dann kam die Frage, wo ich am liebsten Musik mache, und so sind wir auf dieses Proberaumambiente gekommen. Das war’s.

Christina Stürmer - Millionen Lichter (MTV Unplugged)
stuermerchristina

STANDARD: Taugt es Ihnen, jetzt als Labelchefin alle Entscheidungen selbst zu treffen?

Stürmer: Sehr, es ist zwar anstrengend, weil jeder Pups über meinen Tisch rennt, aber es ist ein großer Lernschritt, weil ich dazu neige, Dinge eher aufzuschieben. Jetzt muss ich aber Entscheidungen treffen, und das tut mir allgemein gut.

STANDARD: Früher ist Ihr österreichisches Publikum zu Bett gegangen, wenn sich Ihr deutsches Publikum zu Ihnen ins Konzert aufgemacht hat.

Stürmer: Das hat sich zum Glück langsam verändert, ich bin ja in Deutschland immer ganz anders wahrgenommen worden als hier. Und ich habe jetzt das Gefühl, dass 13-Jährige vielleicht gar nicht verstehen, worüber ich singe, aber dass es jetzt auch egal ist.

STANDARD: Haben Sie jetzt andere Ansprüche an sich?

Stürmer: Ja, ich muss immer lachen, wenn ich die ersten beiden österreichischen Alben anhöre. Es war für mich damals super, aber die Songs finden heute kaum mehr Platz in meinem Set. Wir versuchen zwar, auf der Tour immer auch alte Songs zu spielen, aber manche, wie Anzug, gehen einfach nimmer.

STANDARD: Was hören Sie privat?

Stürmer: Wen ich schon lange gerne höre, ist Gregory Alan Isakov. Der beruhigt mich, wenn ich fliegen muss, das tut mir gut. Wobei, letztens habe ich im Flieger Leftovers gehört und mir gedacht: Geil, Flugangst besiegt! Und natürlich haben die Kinder da etwas mitzureden, und die stehen auf Harry Styles. Der ist toll, weil der für etwas steht. (Karl Fluch, 17.3.2024)