Der Atompils einer Wasserstoffbombe
Der erste Wasserstoffbombentest war die Detonation von Ivy Mike auf einem Atoll im Pazifik im Jahr 1952. Die Spuren der Wasserstoffbombentests galten aufgrund ihrer globalen Ausbreitung als passender Marker für den Beginn des Anthropozäns.
Stringer

Vielleicht wäre Wien die bessere Wahl gewesen. Drei Jahre lang versuchte eine Kommission aus Fachleuten herauszufinden, ob es genügend Belege gibt, um die Benennung eines neuen geologischen Zeitalters zu rechtfertigen. Und es sah ganz so aus, als wäre das möglich: Menschen prägen das Angesicht des Planeten spätestens seit einigen Jahrzehnten in einem Ausmaß, dass es gute Argumente gibt, diese Tatsache auch in der Geologie zu berücksichtigen. Doch dazu braucht es klare Regeln beziehungsweise eindeutige menschliche Spuren in der Geologie der Erde, an denen sich der Beginn festmachen lässt.

Auch in den Erdschichten unterhalb von Wien finden sich solche Spuren. Michael Wagreich vom Institut für Geologie der Universität Wien hat sie unter dem Karlsplatz dokumentiert, gut genug, um Wien ins Spiel zu bringen, als ein Ort gesucht wurde, der als Referenz dienen sollte. Die Wahl fiel letztlich auf den Crawford-See in Kanada. In dessen Sedimenten finden sich so eindeutige Reste von Plutonium aus Atomtests in den den 1950er-Jahren, dass sie letztes Jahr von einer eigens eingesetzten Kommission als "Golden Spike" ausgewählt wurden, der das Ende der Epoche des Holozäns und den Beginn des Anthropozäns festlegen sollte.

Ein feucht schimmernder Bohrkern mit deutlichen Jahresringen, eine Hand im Gummihandschuh zeigt auf eine Stelle.
Ein Bohrkern aus den Sedimenten des Crawford-Sees in Kanada. Das darin gefundene Plutonium hätte den Beginn des Anthropozäns markieren sollen.
AFP/PETER POWER

Mehrheit stimmte dagegen

Nun fand die erste Abstimmung über den neuen Vorschlag statt – den Beginn des Anthropozäns in den 1950er-Jahren mit dem Crawford-See als "Golden Spike". 18 Mitglieder der Unterkommission für Quartär-Stratigrafie der internationalen Kommission für Stratigrafie stimmten ab. Und das Ergebnis fiel negativ aus, wie die "New York Times" berichtete. Zwölf Gegenstimmen ließen den Vorschlag kippen. Nötig gewesen wäre eine Zustimmung von 60 Prozent. Dann hätte es eine weitere Abstimmung auf der nächsthöheren Ebene gegeben, der Internationalen Gesellschaft für Geowissenschaften.

Anfangs fehlte eine Bestätigung der geleakten Informationen der "New York Times". Diese liefert nun der Generalsekretär der Internationalen Kommission für Stratigrafie, Philip Gibbard, gegenüber dem Wissenschaftsmagazin "Science": "Die Entscheidung ist endgültig", sagt der Geologe von der Universität Cambridge. "Es gibt keine offenen Fragen mehr zu klären. Der Fall ist abgeschlossen."

Kritik an Medienarbeit

Anders sieht das die Kommission, die den Vorschlag erarbeitet hatte – im Auftrag eben jenes Gremiums, das ihn nun ablehnte. Man kritisiert, dass das Abstimmungsergebnis geleakt wurde. Es hätte noch Dinge zu klären gegeben, sagt Colin Waters von der Kommission: "Zur Gültigkeit der Abstimmung und zu den Begleitumständen müssen noch mehrere Fragen geklärt werden", betont er.

Waters und seine Kolleginnen und Kollegen stehen wiederum in der Kritik, sich zu sehr auf Medienarbeit und zu wenig auf die Bereitstellung des Vorschlags konzentriert zu haben. "Das Anthropozän wurde von Anfang an durch die Medien gepusht", sagt Stanley Finney von der Internationalen Gesellschaft für Geowissenschaften. Seiner Ansicht nach hätte die nun erfolgte Ablehnung schon vor Jahren erfolgen können, und man hätte Zeit gespart.

En Idyllischer, blauer See inmitten von Wäldern.
Der Crawford-See im kanadischen Ontario. Seine Sedimente hätten als Marker für den Beginn des Anthropozäns dienen sollen.
AFP/PETER POWER

Konservative Herangehensweise

Angezweifelt wird der Einfluss des Menschen auf den Planeten auch von Gegnern des Anthropozäns eher nicht. Ein Teil der Kritik dreht sich um die Wahl des "Golden Spike". Zehn Zentimeter Schlamm aus einem See seien dafür ungeeignet. Normalerweise kommen Gesteinsschichten zum Zug. Kritisiert wird außerdem, dass es nicht möglich sei, ein einziges Datum für das Beginnen des menschlichen Einflusses zu nennen. Letzteres kann aber kaum als Argument dienen, um den menschlichen Einfluss außen vor zu lassen.

Stanley Finney legt nahe, eine schwächere Form des Anthropozäns könnte mehr Zustimmung erhalten, wenn nicht gleich eine neue Epoche ausgerufen werde, sondern nur eine neue Stufe innerhalb des bereits 11.700 Jahre dauernden Holozäns.

Es besteht also Hoffnung, dass für das Anthropozän noch nicht alles verloren ist. Geologie ist eine Wissenschaft der langen Zeiträume. Die Suche nach den Rahmenbedingungen für das Anthropozän muss aber vermutlich von vorn beginnen. (Reinhard Kleindl, 6.3.2024)