SPÖ, FPÖ und Neos sind selten einer Meinung, aber in einem Punkt sind sich die Oppositionsparteien einig: Die Regierung hat im Kampf gegen die Teuerung versagt. Und angesichts des Preisauftriebs der letzten beiden Jahre und einer Inflationsrate, die seit Monaten über dem EU-Schnitt liegt, schließen sich wohl die meisten Menschen diesem Urteil an: ÖVP und Grüne hätten anders als andere europäische Staaten nicht gegen die Inflation eingegriffen und dadurch zugelassen, dass das Leben für Millionen Familien kaum leistbar geworden sei.

Die Lebensmittelpreise sind im Durchschnitt stark gestiegen, aber das sind auch die Gehälter in Österreich.
Die Lebensmittelpreise sind im Durchschnitt stark gestiegen, aber das sind auch die Gehälter in Österreich.
APA/GEORG HOCHMUTH

"Da hätte man doch deutlich mehr machen können", sagte etwa SPÖ-Klubchef Philip Kucher vor einer Woche im Ö1-"Mittagsjournal". "Doch die Regierung hat abgewartet, gezögert und gezaudert, und die Rechnung zahlen jetzt die Menschen tagtäglich an der Supermarktkasse." Man hätte sich die Markteingriffe anderer westeuropäischer Staaten zum Vorbild nehmen können, um so die Inflation zu bekämpfen, ist Kucher überzeugt.

Doch ein genauerer Blick auf die Entwicklung der vergangenen zwei Jahre zeigt ein etwas komplexeres Bild: Die ersten Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 lag die Inflationsrate in Österreich unterhalb anderer EU-Staaten. Während etwa in Belgien und den Niederlanden die Energiepreise sofort in die Höhe schossen, kletterten sie hierzulande nur langsam hinauf. Dafür gingen sie in den beiden Ländern wieder viel schneller zurück als in Österreich, was deren Inflationsraten sogar unter null drückte.

Die Energiepreise gingen in anderen Ländern rascher hinauf als in Österreich und fielen dann wieder zurück. Auch deshalb ist die Inflation hierzulande höher.
Die Energiepreise gingen in anderen Ländern rascher hinauf als in Österreich und fielen dann wieder zurück. Auch deshalb ist die Inflation hierzulande höher.
Wifo

Andere sind Musterschüler

"Es ist ärgerlich, wenn man eine andere Entwicklung als andere Staaten hat, dann kommt man ständig in Erklärungs- und Handlungsdruck", sagt Sebastian Koch, Inflationsexperte des Instituts für Höhere Studien (IHS). "Andere sind gerade Musterschüler, und keiner erwähnt, dass sie vorher hohe Inflationsraten hatten."

In Österreich kommt ein weiteres Phänomen dazu – ein hoher Grad der Indexierung: Mit der Inflation steigen die Mieten, seit kurzem auch die Sozialleistungen, und vor allem wachsen dank der flächendeckenden Kollektivverträge auch die Löhne im Gleichklang. Das führt zu den sogenannten Zweitrundeneffekten: Es sind derzeit vor allem die steigenden Personalkosten in der Gastronomie, Hotellerie und anderen Dienstleistungsbereichen, die die Teuerung beflügeln und Österreich höhere Raten bescheren als anderen EU-Staaten. Steigende Mieten, über die viel mehr gesprochen wird, tragen im Vergleich nur wenig zur Inflation bei, betont Josef Baumgartner, Inflationsexperte im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo).

Kaufkraftverlust wurde ersetzt

Und daraus folgt etwas, was die wenigsten glauben: Die hohe Inflation hat die Menschen in Österreich im Schnitt nicht ärmer gemacht – und das gilt gerade auch für Niedrigverdiener. Dank guter KV-Abschlüsse und großzügiger Staatshilfen ist die Kaufkraft mehr oder weniger erhalten geblieben und dürfte in diesem Jahr für viele Haushalte sogar steigen. Beides hält allerdings die Teuerungsrate hoch; hätten die Menschen weniger Geld zur Verfügung, wäre auch die Inflation niedriger. "Österreich hat vor allem darauf gesetzt, den Kaufkraftverlust zu ersetzen und so die Auswirkungen der Teuerung abzufedern", sagt Baumgartner. "Das war erfolgreich, wir stehen im europäischen Vergleich relativ günstig da." Er verweist dabei auf die inflationsbereinigte Entwicklung der verfügbaren Haushaltseinkommen in den Jahren 2022 und 2023.

Die Kritik der Experten richtet sich auf die Art der Abfederungspolitik. Zu viel der Staatsgelder sei mit der sprichwörtlichen Gießkanne nicht an Bedürftige, sondern an Menschen, die das Geld nicht unbedingt benötigt hätten, ausgeschüttet worden. "Einige Maßnahmen waren zielgerichtet, etwa die Ausgleichszulagen für Pensionisten. Aber insgesamt war die Verteilung zu gleichmäßig", sagt Baumgartner.

Gegen die Europäische Zentralbank

Mit ihrer großzügigen Unterstützung habe die Regierung nicht nur das Budget belastet, das nach den Pandemiejahren ohnehin schon angespannt war, sondern auch die Arbeit der Europäischen Zentralbank (EZB) erschwert, die mit ihren Zinserhöhungen ja die Inflation in der Eurozone einbremsen will, sagt Koch: "Der Staat hat mit seiner expansiven Fiskalpolitik den bremsenden Effekt höherer Zinsen konterkariert."

Hätte der Staat andere Mitteln einsetzen sollen, etwa direkte Eingriffe in die Gaspreise, die ja den Inflationsschub ausgelöst haben? Koch sieht da einen Zielkonflikt mit dem Klimaschutz: "Wenn man da eingreift, dann nimmt den Lenkungseffekt weg. Wenn wir Energie billiger machen, spart niemand ein." Das sei etwa in Spanien passiert, das von vielen als Vorbild bezeichnet wird.

Allerdings hätte der Staat seine Stützungen so gestalten können, dass sie preisdämpfend wirken, indem etwa Abgaben auf Energie gestrichen werden, sagt Koch. Gerade weil in Österreich so viel indexiert wird, hätte das die längerfristige Inflationsrate senken können. "Wenn man die Preisentwicklung über die Zeit glättet, hat das den positiven Effekt, dass die Indexierungen nicht so hart greifen", sagt Koch. "Sonst schleppt man das noch lange Zeit mit."

Was der Staat hätte machen können

Aus Baumgartners Sicht hätte der Staat bei den Energiepreisen sehr wohl eingreifen können, ohne den Markt zu verzerren. "Die Energieversorger sind großteils im öffentlichen Eigentum, aber die Politik hat das nicht genutzt, um auf die Preise einzuwirken. Sie hätten sagen können: Wir verzichten auf die Dividende, und ihr haltet die Tarife niedriger. Dann wäre die Inflation niedriger ausgefallen." Alternativ hätte man über eine Übergewinnsteuer die Haushalte entlasten können, nicht nur bei Strom durch die Strompreisbremse, sondern auch bei Erdgas und Fernwärme, findet Baumgartner.

Was die Regierung richtig gemacht hat, war, auf das zu verzichten, worauf SPÖ und FPÖ besonders drängen: eine Senkung der Mehrwertsteuer etwa auf Grundnahrungsmittel. "Das wäre sehr teuer und hätte keine zielgerichtete Wirkung", sagt Baumgartner. "Im Gegenteil, die Haushalte, die es am wenigsten brauchen, würden am meisten bekommen. Das wäre die Gießkanne zum Quadrat."

Und die Bilanz? Wifo und IHS gehen davon aus, dass die Inflation in Österreich noch eine Zeitlang über dem EU-Schnitt liegen wird. Den Preis dafür zahlen weniger die Haushalte als die Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen. Ob das langfristig Wachstum und Jobs kosten wird, wird sich erst zeigen. (Eric Frey, 8.3.2024)