Ina Holub Frisör Friseur Neubau barrierefrei
Friseurmeisterin Ina Holub will in ihrem neuen Salon im Wiener Bezirk Neubau individuelle Bedürfnisse berücksichtigen.
Jana Madzigon

Ein bisschen wirkt es, als würde man am Eingang zum Haarsalon Soft & Cut eine Zuckerwattefabrik betreten oder in eine Pastellversion des Musikvideos von US-Rapperin Nicki Minaj und Cassie, "The Boys", eintauchen. Zwischen schweinchenrosa Wänden, blassblauen Samtmöbeln und einer gern auffällig und bunt gekleideten Ina Holub sucht man triste Grautöne oder ungemütliche Ecken vergebens. Mitte Februar hat die Queerness- und Fat-Acceptance-Aktivistin, die auch Friseurmeisterin ist, im siebenten Wiener Gemeindebezirk ihr eigenes Frisierstudio eröffnet. Mit einer Mission: Soft & Cut soll mehrfach barrierefrei und damit ein Ort sein, an dem beim Haareschneiden alle eine gute Zeit haben.

Deshalb hat Holub Schritte gesetzt, damit auch Menschen aus marginalisierten Gruppen, denen sie als lesbische, mehrgewichtige Frau teils angehört, glücklich vom Coiffeur nach Hause kommen. Es gibt breitere, stärkere Stühle, die auch mehr Gewicht aushalten, und Produkte für Haare von Nichtweißen, die in anderen Salons oft fehlen. Mit einem Planungstool will Holub neurodivergenten Leuten, zu denen beispielsweise Menschen mit ADHS oder Autismus gehören, entgegenkommen. Die pinke Farbe soll außerdem positiv und beruhigend wirken.

Ciao, Gender-Pricing

Zum rundum inklusiven Aufbau von Soft & Cut, dessen Name sich wider Erwarten nicht vom englischen Wort für "schneiden" sondern vom feminin-weichen Voguing-Tanzstil Soft & Cunt ableitet, gehören in erster Linie genderunabhängige Preise. Damit ist Holub in Wien allerdings keine Vorreiterin – "zum Glück", wie sie sagt, "bewegt sich auch bei anderen etwas in die richtige Richtung". Zahlreiche Salons haben sich bereits vom Konzept "Männer- oder Frauenhaarschnitt" verabschiedet und berechnen nach Zeit- und Materialaufwand, manche auch nach Haarlänge. In Belgien setzt sich seit kurzem der Friseurverband für eine genderneutrale Preisgestaltung ein. Die Empfehlung: Kosten von 1,30 Euro pro Minute. Bei Holub bestimmen die Art des Schnitts und die verwendeten Produkte den Preis. Wieso rechnet sie nicht nach der Dauer? "Neurodivergente Personen brauchen vielleicht zwischendurch eine Pause oder müssen mal frische Luft schnappen. Das wäre unfair", erklärt die Friseurmeisterin. Klassisches Waschen-Schneiden-Föhnen kriegt man bei Holub für 60 bis 90 Euro, Strähnchen schlagen mit 40 bis 90 Euro zu Buche. Zu den, wenn auch genderneutralen Schnäppchen gehört Soft & Cut damit definitiv nicht. Zahlt Holubs Kundschaft also für zusätzliche Barrierefreiheit? "Ich versuche, den Mehraufwand möglichst wenig weiterzugeben, aber natürlich muss ich das Ganze auch wirtschaftlich halten", gesteht sie.

Auf Variation ausgelegt

Gängige Frisierstühle sind meist auf maximal 115 Kilogramm ausgelegt. Ein Problem für Mehrgewichtige. "Natürlich kollabieren die Möbel nicht bei 116 Kilo, aber es signalisiert, dass sie nicht für Dicke gedacht sind", erläutert Holub, die sich im Zuge der Selbstermächtigung als "fette Person" betitelt. Auch sie habe schon oft die Erfahrung gemacht, dass Sitzgelegenheiten mit Armlehnen unangenehm einschneiden und ihr zeigen, dass dieser Platz nicht für einen Menschen wie sie vorgesehen ist. Deshalb gibt es bei Soft & Cut loungige, fast sofaartige Sessel, die an den Seiten offen sind. Bei der alltäglichen Arbeit störe sie der Mehrumfang der Stühle nicht. Für kleinere oder schmälere Kundschaft benutze sie auch oft das klassische Modell. Der Platz vor Holubs Waschbecken ist leer und kann deshalb mit beliebiger Sitzmöglichkeit bespielt werden. Variation eben. Für Rollstuhlfahrerinnen bringt die Ladenbesitzerin eine Rampe an, über die sie auch ohne Hilfe ins Geschäft kommen. Die "klassische Definition" von Barrierefreiheit ist somit ebenfalls abgedeckt.

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Je nach körperlicher Voraussetzung wird Holubs Kundschaft auf unterschiedlichen Sesseln frisiert.
Josefien Hoekstra

Auch für verschiedene Haarstrukturen ist der Salon gerüstet. So sei es für Schwarze oder asienstämmige Menschen hierzulande eine wahre Challenge, Fachpersonen zu finden, die mit ihrem Haar arbeiten können. In ihrer Lehre zur Frisörin vor über 15 Jahren habe sie nichts darüber gelernt, und auch die Meisterinnenausbildung, die sie vor zwei Jahren absolviert hat, bilde keine Diversität ab. "Ich habe mir mein Wissen über Fortbildungen, Bücher und Learning by Doing angeeignet", so die 39-Jährige.

Konsens am Kopf

Kundinnen Frisuren aufzuschwatzen, die "ihre Wangenknochen betonen" oder "das Gesicht schmäler machen", ist, wenn es nach Holub geht, ein absolutes No-Go. Was, wenn ich eben gerade will, dass der Micro-Pony oder der Pixie-Cut mein Gesicht in den Vordergrund rücken? "Ich nehme mir nicht heraus, besser zu wissen, was die Kundschaft will, als sie selbst", erklärt sie. "Das ist gelebter Konsens." Ihr Laden soll ein Ort sein, an dem sich Menschen nicht immer wieder aufs Neue erklären müssen: Smalltalk-Fauxpas wie Fragen nach einem (potenziell andersgeschlechtlichen) Partner oder Benutzen der falschen Pronomen will Holub vermeiden, so weiß sie schließlich selbst darum, wie anstrengend solche Gespräche sein können.

Apropos anstrengende Gespräche: Schon bald können Kundinnen und Kunden auf der Website des Salons, die momentan noch im Entstehen ist, "stille Termine" ohne Plaudern buchen. Dort kann dann auch eine Assistenz in menschlicher oder tierischer Gestalt angemeldet werden. Außerdem: Aus einer Social-Media-Umfrage im Vorfeld der Eröffnung weiß Holub, dass sich viele wünschen, vor Blicken von außen geschützt zu sein. "Das betrifft vor allem Kopftuchträgerinnen, aber auch andere wollen lieber keine Gaffer", erklärt sie. Deshalb ziert ein deckenhoher, ebenfalls in zuckerlrosa gehaltener Vorhang die Front des Ladens. "Termine mit Spezialwünschen werde ich dann so timen, dass sie sich nicht mit anderen im Salon überschneiden", erklärt sie. Inwieweit die vielfältige Palette an Bedürfnissen tatsächlich mit den Lücken in ihrem Terminkalender vereinbar ist, wird die Praxis erst zeigen. Noch ist die Friseurmeisterin allein im Geschäft, bald könnte eine Angestellte dazukommen.

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In ihrem Salon verzichtet Ina Holub (Mitte) auf Stockfotos aus dem Internet. Abgebildet werden Menschen aus marginalisierten Communitys Wiens.
Josefien Hoekstra

Besagter Vorhang, der den Blick von der Kaiserstraße in Holubs pinkes Reich abschirmt, bleibt aber allgemein meist geschlossen. Grund dafür ist auch, dass trotz Aktivismus und Awareness-Arbeit eine unterschwellige Angst vor Queerfeindlichkeit bleibt. "Im Alltag werden meine Frau und ich immer wieder blöd angesprochen oder angefeindet", erklärt sie. Das momentane politische Klima mache die Sache nicht besser. Sie ist durchaus besorgt, was aus Safer Spaces für marginalisierte Gruppen, wie ihr Salon einer sein soll, wird. Und dennoch: Es braucht sie, vielleicht mehr denn je. (Nina Schrott, 14.3.2024)