Dolores Schmidinger
Volksschauspielerin, Kabarettistin, Publikumsliebling: Dolores Schmidinger berichtet nun auch über Schattenseiten ihrer Karriere.
Regine Hendrich

Die Schauspielerin Dolores Schmidinger startete ihre Karriere in den 1960er-Jahren im männerdominierten Umfeld der Wiener Kabarettbühnen. Unter Gustav Manker, damals Intendant am Volkstheater und Vater des aktuell wegen seines aggressiven Umgangs mit Schauspielern kritisierten Paulus Manker, machte sie schon damals negative Erfahrungen. Den STANDARD kontaktierte Schmidinger nun von sich aus. Sie wolle reden, sagte sie, "als Zeugin einmal sagen, was da immer so Usus war am Theater". Ihre Aussagen untermauerte Dolores Schmidinger mit einer eidesstattlichen Erklärung.

STANDARD: Was haben Sie am Theater erlebt?

Schmidinger: Die ersten Verbrechen wurden schon in der Schauspielschule Kraus begangen, da war ich 17, und der alte Kraus hat uns schon fertiggemacht. Man sagte damals wirklich "den anderen fertigmachen", darum ging es. Je "schwächer" du warst, desto zielgerichteter waren die Sadismen und desto lieber sind sie auf dich losgegangen. Das zog sich durch mein ganzes Schauspielerinnenleben.

STANDARD: Wie sah dieses Quälen konkret aus?

Schmidinger: Ein Muss war es zum Beispiel, dass ein Regisseur schreit. Wie ich später selbst Regie gemacht habe, da hat mir einmal ein Kollege gesagt: "Willst du nicht auch einmal schreien mit dem Chor?" Und ich wusste nicht, was das bringen soll. "Ich mag die ja alle gern", habe ich mir gedacht. Die sind ja wie ich!

STANDARD: Sie wollen auch über Paulus Manker reden, sagten Sie im Vorgespräch.

Schmidinger: Ich habe seinen Vater, den Gustav Manker, 15 Jahre am Volkstheater erlebt, und der war ein "genialer", zynischer Sadist, der hat Karrieren vernichtet. Ich bin auf die Probe gekommen und habe meinen Monolog gesagt, und er hat gleich geschrien: "Schmidinger, nimm deinen Finger aus dem Oarsch!" Auch seine Frau, die Hilde Sochor, hat er dauernd zusammengeschrien und vor dem ganzen Ensemble gezielt gedemütigt: "Du bist unfähig!" war das Mindeste. Es waren immer Schreiorgien, die bewusst auf die Schwächen der jeweiligen Person gezielt haben.

STANDARD: Hatten Sie nicht Angst?

Schmidinger: Doch! Am Anfang, beim alten Manker, haben wir Amphetamine genommen, weil wir so gescheppert haben vor Angst.

STANDARD: Sie verschweigen nicht, dass Sie oft richtig getrunken haben. Hat man diese "Schwäche" ausgenützt?

Schmidinger: Nein, nie! Es stimmt, ich habe richtig viel getrunken, das war abhängig davon, wie ich seelisch drauf war. Aber ich war ja bald ein Star am Volkstheater, und wenn du ein Star bist, dann schreit keiner mit dir.

STANDARD: Wann und wie haben Sie Gustav Mankers Sohn Paulus kennengelernt?

Schmidinger: Den kenne ich, seit er ein Schüler war. Da habe ich in einem Turrini-Stück gespielt, wo ich den Busen entblößen musste. Da habe ich so einen gefakten Schaumbusen getragen. Und der Alte hat den Buben auf die Probe mitgenommen, damit er einmal einen Busen sieht.

STANDARD: Haben Sie auch sexuelle Übergriffe erlebt?

Schmidinger: Na ja, schau, er hat nicht gefragt, wenn er mich geküsst hat. Aber das ist schwer zu beschreiben, weil ich war eine starke Frau, kein Opfer. Die Männer haben sich eher gefürchtet vor mir, weil ich gleich gesagt habe: "Na guat, geh’n wir halt ins Bett!" Mich hat keiner vergewaltigt. Diese "bösen" Regisseure haben mich sehr bald als Kumpel gesehen, weil sie gemerkt haben: Die ist intelligent, lustig, goschert, und sie kann was. Aber eine Kollegin, die viel länger am Volkstheater war als ich, jedoch nicht genannt werden möchte – so ein zartes Mäderl –, hat mir gesagt, dass einer von den "großen Komikern" versucht hat, sie zu vergewaltigen.

STANDARD: Wie sehen Sie Paulus Mankers Verhalten heute?

Schmidinger: Ich glaube, dass er gerne sein will wie der Voda, er bringt es aber nicht zusammen, weil der Alte auf seine Art halt wirklich "genial" war im Demütigen und Zerstören. Ich glaube, dass der Bua es auch gerne so machen würde, bei ihm reicht es aber nur zum Brachialsadisten, und das ist einfach grauslich. Eingestehen kann er sich das aber nie, weil sonst bricht ja seine Hülle zusammen.

STANDARD: Wie war oder ist Ihr persönliches Verhältnis zu ihm?

Schmidinger: Ganz normal, der kann ja auch sehr freundlich. Ein Sadist ist ja lange ekelhaft, und wenn sich das Opfer entzieht, wird er ganz "honeymoon", bis das Opfer wieder da ist. Das ist der Trip vom Sadisten. Und wenn so ein eigenbrötlerischer, populärer Schimpfer am Theater herumgeschrien hat, dann hat es oft genügt, wenn er einmal lieb war, und schon haben alle gesagt: "Er ist ja gar nicht so, er ist ja im Grunde ganz lieb!"

STANDARD: Kennen Sie andere Beispiele?

Schmidinger: Es hätte nie jemand gesagt, dass der Herr Fritz Muliar ein Oarschloch ist. Ich verwende diesen Ausdruck im Geiste der 70er-Jahre, als man ordinär wurde, um sich mit dem Proletariat zu identifizieren. Der Muliar hat noch kurz vor seinem Tod nach einer Vorstellung z’fleiß aufs Klo geschissen, wie mir eine Garderoberin nachher erzählt hat. Er hat ihnen unbedingt noch seinen Geruch hinterlassen müssen! Oder einmal hat er eine Freundin gehabt, die hieß Gudrun, und über die hat er immer hinausposaunt: "Auf der Gudrun ist gut ruh’n!" Oder einmal hat er eine Kollegin, die nicht genannt werden möchte, fertiggemacht auf ihre Figur hin: "Wos host du überhaupt valurn am Theater mit deiner …"

Dolores Schmidinger
Dolores Schmidinger: "Geh einmal zur Gewerkschaft und sag denen, der hat mir am Oarsch gegriffen, da lachen dich alle aus."
Regine Hendrich

STANDARD: Waren nur Frauen die Opfer?

Schmidinger: Einer der bezauberndsten, witzigsten Kollegen, der Gideon Singer, war immer Ziel des Spottes, weil der so ein guter, weicher Kerl war und auch schnell geweint hat. Den haben sie fertiggemacht, der Herr Schenk und der Herr Erwin Steinhauer. Dem stand auf der Stirn: Opfer. Wie auf dem Schulhof, wenn Kinder gemobbt werden. Oder ein wunderbarer, auch sehr sensibler und gerne als Opfer erkannter Kollege, der hieß Albert Rolant, hat bei der Premiere geweint vor lauter Angst vor dem alten Manker.

STANDARD: Gerne sagt man, das Resultat rechtfertige diese Tyranneien.

Schmidinger: Geh bitte, das geht ja in Güte auch alles! Aber in der Angst zum Beispiel, den Text nicht zu können, haben diese Zampanos reihenweise die Souffleusen zur Sau gemacht. Das war so demütigend, diese Schreiereien mit den Souffleusen, und man selbst ist daneben gestanden und hat mit angeschaut, wie die Abstrafung vollzogen wurde. Sadisten haben eine Freude am Quälen. Es ist so simpel, aber auch so verheerend in diesem Beruf, weil du ihn wirklich mit ganzer Emotion ausübst.

STANDARD: Manche sagen, Sie hätten sich ja wehren können.

Schmidinger: Ja, eh. Aber man hat sich nicht getraut, weil man kein Engagement mehr gekriegt hätte. Und geh einmal zur Gewerkschaft und sag denen, der hat mir am Oarsch gegriffen, da lachen die dich aus. Das ist dann auch eine Frage von Verdienst und Macht.

STANDARD: Können auch Frauen Täterinnen sein am Theater?

Schmidinger: Natürlich haben Frauen auch ihre Strategien, um ihre Armseligkeit zu vertuschen, und natürlich habe ich auch Kolleginnen erlebt, die es an den Friseurinnen und Ankleiderinnen ausgelassen haben. Aber das hat nicht diese Struktur der Macht.

STANDARD: Wurde es irgendwann besser?

Schmidinger: Ab den 1990er-Jahren, aber Demütigungen gab es auch dann noch. 2007 in den Kammerspielen haben wir eine Produktion gehabt, wo ich ziemlich die einzige Frau war. Und da kam es zu einer ersten Durchlaufprobe, wo alle, vor allem die beiden Platzhirsche, den Text nicht konnten. Ich auch nicht, aber ich habe nur eine kleine Rolle gehabt. Nach dem Durchlauf aber schreit der Regisseur nur mich zusammen – ich meine, ich war damals 61! –, dass ich den Text nicht kann. Ich habe zurückgeschrien, dass ich mir das nicht mehr gefallen lasse, ich leide unter der Art von Regie, seit ich 17 bin! Dann haben sie alle gelacht über mich, nur einer hat mich in Schutz genommen.

STANDARD: Haben Sie keine Angst, sich so weit aus dem Fenster zu lehnen?

Schmidinger: Nein, ich liebe es, mit der Wahrheit zu provozieren. (Manfred Rebhandl, 9.3.2024)