In der Folge
In der Folge "Tatort: Dein Verlust" knistert es zwischen Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser).
ORF

Im Juni 2022 sorgte Katharina Mückstein für einen Aufschrei in der österreichischen Filmbranche. Übergriffe und Missbrauch waren in der Branche lange gang und gäbe. Durch ein Instagram-Posting der österreichischen Regisseurin wurde erstmals breit darüber diskutiert. Vor einem Jahr legte sie mit dem Film "Feminism WTF" nach. Dass vieles noch zu besprechen ist, zeigt eine Dokumentation im deutschen Fernsehen. Der NDR-Film "Gegen das Schweigen" prangert Machtmissbrauch in Film und Theater an. Betroffene Männer und Frauen, darunter auch Katharina Mückstein, sprechen erstmals öffentlich über ihre Erlebnisse, etwa mit den Regisseuren Paulus Manker und Julian Pölsler.

DER STANDARD traf Mückstein anlässlich der nächsten "Tatort"-Premiere am Sonntag. In der Folge "Dein Verlust" sind Eisner und Fellner mit einem Gewaltverbrechen im Wiener Milieu konfrontiert und kommen einander auch privat näher – einvernehmlich, versteht sich.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die aktuelle Diskussion um die Vorwürfe in der NDR-Doku?

Mückstein: Jede Aufmerksamkeit auf das Thema bringt uns weiter, weil jedes Mal etwas genauer hingeschaut wird. Das Wichtigste ist, dass die strukturellen Probleme sichtbar werden: dass wir in der Filmbranche wie auch in anderen Arbeitswelten zu viel Macht bei einzelnen Personen liegen haben und diese Macht völlig unkontrolliert ist.

STANDARD: Ist es die Art der Diskussion, die Sie sich wünschen?

Mückstein: Wenn es um Gewalt geht, ist es immer so, dass das Sprechen darüber tabuisiert ist, und wenn darüber gesprochen wird, werden meistens die Sprechenden selbst zum Problem gemacht, und es dauert sehr lange, bis die Verursacher von Gewalt Konsequenzen zu spüren bekommen. Es wäre sehr wichtig, wenn dieses Sprechen von so vielen Personen auch Konsequenzen zeigen würde. Besonders an der jetzigen Situation ist, dass sich mit Erwin Steinhauer und Cornelius Obonya auch Männer gemeldet haben. Ich finde es problematisch, wenn Leute, die viele, viele Jahre mit diesen Personen zusammengearbeitet haben, sich erst dann zu Wort melden und distanzieren, wenn solche Vorwürfe im Raum stehen. Ich war selbst betroffen von Übergriffen im Kontext von Arbeit und Studium. Meine Erfahrung war immer, dass genau die Leute mit Autorität zum Eingreifen in dieser Situation nicht eingegriffen haben. Angesichts solcher Vorwürfe wäre es wichtig, dass Leute, die damals dabei waren und hätten eingreifen können, auch öffentlich Stellung beziehen und erklären, warum sie das damals nicht getan haben.

STANDARD: Cornelius Obonya hat sich selbstkritisch geäußert. Wie sehen Sie die Einladung des ORF von Paulus Manker in den "Kulturmontag"?

Mückstein: Das ist ein Schlag ins Gesicht von allen, die sich getraut haben, über die Erlebnisse mit ihm zu sprechen. In dem Film kommt auch eine Szene vor in "Willkommen Österreich", wo er sich lustig macht über #MeToo. Er macht sich lustig über die Leute, die sich zu Wort gemeldet haben, weil sie von ihm gequält worden sind. So jemandem eine Bühne zu geben, finde ich vom ORF unverantwortlich. Das ist für Betroffene retraumatisierend.

STANDARD: Erhalten Sie Reaktionen im Zusammenhang mit der Doku?

Mückstein: Seit Sommer 2022, wo ich diesen Instagram-Aktivismus betrieben habe, bekomme ich ständig Nachrichten von Leuten, denen alles Mögliche passiert ist. Von Machtmissbrauch bis zu Übergriffen und von Leuten, die schon lange versuchen, sich zur Wehr zu setzen und in wirklich schwierige Geschichten verstrickt sind. Sie melden sich bei mir, weil sie alle Anlaufstellen durch sind und auch auf juristischem Weg nichts durchsetzen können. Oft bin ich eine Projektionsfläche für eine letzte Hoffnung. Bei mir melden sich jetzt auch wieder Leute.

STANDARD: Ist es besser geworden?

Mückstein: Was sicher besser geworden ist, ist, dass darüber geredet wird. Beim Drehen merke ich, dass die jungen Leute sehr oft über Missbrauch reden. Die sitzen beim Mittagessen und erzählen, welcher Regisseur ihnen gegenüber übergriffig war. Das wäre vor ein paar Jahren unmöglich gewesen. Da freue ich mich, weil ich das Gefühl habe, dass eine Generation heranwächst, die sich nicht alles gefallen lässt. Da hat sich viel verändert, und das macht auch einigen Angst – und zu Recht.

Aber es gibt tatsächlich Leute, die wissen alles Mögliche nicht. Die haben vielleicht gehört, der Paulus Manker ist ein wüster Typ, aber sie haben vielleicht nicht gehört, der Paulus Manker hat einer Schauspielerin auf der Bühne in den Bauch getreten.

STANDARD: Als Gegenargument wird angegeben, wer mit Paulus Manker arbeitet, muss wissen, was auf ihn zukommt.

Mückstein: Gut, und gleichzeitig muss man die krasse Prekarisierung im Schauspieler:innenjob sehen. Im Nachhinein wollen es immer alle gewusst haben. Aber es gibt tatsächlich Leute, die wissen alles Mögliche nicht. Die haben vielleicht gehört, der Paulus Manker ist ein wüster Typ, aber sie haben vielleicht nicht gehört, der Paulus Manker hat einer Schauspielerin auf der Bühne in den Bauch getreten.

STANDARD: Wie hat sich für Sie die Auftragslage entwickelt, nachdem Sie mit Ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit gegangen sind?

Mückstein: Es ist für mich ein Lehrstück, welche Auswirkungen das Sprechen über Gewalt hat. Ich wurde während der Diskussion viel angegriffen, aber viel belastender war die Zeit danach. Das erste Mal wieder zu einer Filmbranchenveranstaltung zu gehen hat für mich bedeutet, dass mich auf einmal Leute mieden. Mir nicht mehr die Hand geben, nicht mehr Hallo sagen. Mittlerweile haben Leute die Zusammenarbeit aufgekündigt, auch Frauen. Da ist ein großer Schaden entstanden, weil diese Geschichten große Wellen schlagen.

STANDARD: Wie gingen Sie mit dem Shitstorm um?

Mückstein: Ich habe Beleidigungen erhalten, natürlich das Victim-Blaming – warum erst jetzt, ist das die richtige Wortwahl. Es ist nicht willkommen, dass man spricht. Ich bekomme zugetragen, wie hinter meinem Rücken gesprochen wird. Produzenten sagen, die macht das nur, um sich wichtig zu machen, die macht das, um ihren Feminismusfilm zu bewerben. Das ist natürlich fürchterlich. Das Sprechen hat mich viel gekostet, emotional und in Bezug auf meine Karriere.

Die Regisseurin Katharina Mückstein bei einer öffentlichen Kundgebung.
Die Regisseurin Katharina Mückstein bei einer öffentlichen Kundgebung.
APA/GEORG HOCHMUTH

STANDARD: Sie haben auch Regie geführt für die Reihe "Blind ermittelt", in der Philip Hochmair einen blinden Ermittler spielt. Das fällt unter "Blind Facing" und wird mittlerweile sehr kritisiert. Wie stehen Sie dazu?

Mückstein: Ich finde das problematisch. Für mich war das der Einstieg in die Fernseharbeit. Vieles an den Krimi-Formaten finde ich problematisch. Es geht noch immer ganz oft darum, die Polizei zu heroisieren. Das ist auch überhaupt nicht meine politische Haltung. Als Feministin habe ich natürlich auch ein Problem, immer von irgendwelchen männlichen Helden zu erzählen. Selten kommen starke Frauenfiguren vor. Sehr oft ist Gewalt gegen Frauen zu sehen. Umgekehrt finde ich es immer interessant, in eine Arbeitswelt einzusteigen mit Leuten, die ganz anders ticken als ich.

STANDARD: Bei "Tatort: Mein Verlust" kam der ORF auf Sie zu?

Mückstein: Ich habe einfach eine gute Arbeit gemacht und wurde deshalb für einen "Tatort" angefragt. In der Zusammenarbeit hier habe ich mitbekommen, dass es den Wunsch gibt, dass die Leute gut arbeiten können und das Team gut behandelt wird.

STANDARD: Das ist beim "Tatort" auch so. Wie behauptet man sich als Neueinsteigerin, die ein so gefestigtes Gefüge betritt?

Mückstein: Ich muss immer das Gleiche machen als Frau: Ich muss absolut meine Kompetenz beweisen. Man muss sich das Vertrauen holen. Die Schauspielerinnen, die Autoren sind dabei, es gibt Teammitglieder, die haben schon x-mal "Tatort" gedreht. Man kommt sehr oft in Verhältnisse, wo Leute schon eingespielt sind.

STANDARD: Ist das für eine Frau schwieriger?

Mückstein: Bei einer Frau kommt Sexismus mit ins Spiel. Dass einem Mann von Haus aus mehr zugetraut wird. Und dass wahrscheinlich bei einem Mann die Kompetenzfrage nicht so schnell gestellt wird. Das ist für mich ganz normal. Ich weiß, wenn ich in ein Team komme, werde ich wie ein Mädchen gesehen, und es ist schwer, das Vertrauen in mein Können herzustellen. Mittlerweile ist es ein bisschen besser, ich bin über vierzig.

STANDARD: Krassnitzer und Neuhauser stellen auch die Kompetenzfrage?

Mückstein: Bei den beiden war es so, dass ich sehr lieb aufgenommen wurde. Die beiden haben ihre Rollen schon sehr lange, und sie kämpfen auch dafür. Sie haben eine Art Schutzhaltung ihren Rollen gegenüber. Sie haben mich schon auf den Prüfstand gestellt, was ich aus ihren Figuren machen will. Das ist eine Art der Herausforderung, die ich sehr liebe, weil es heißt, dass Schauspielerinnen und Schauspieler etwas für ihre Figur wollen. Sobald die beiden bemerkt habe, dass ich offen bin und ihre Sorgen ernst nehme, waren wir total auf einer Seite.

STANDARD: In der neuen Folge gibt es eine Annäherung zwischen den beiden: Es knistert. Musste das sein?

Mückstein: Das kam aus dem Drehbuch (von Thomas Christian Eichtinger und Samuel Schultschik, Anm.). Wenn man das liest, denkt man sich zuerst: Oje. Aber so entsteht eine Spannung, die nicht eingelöst wird, und dann ist man auch froh. Ich finde, wir haben daraus eine sehr witzige und herzerwärmende Szene gemacht.

STANDARD: Sollen die zwei jemals etwas miteinander haben?

Mückstein: Wenn's nach mir geht, bitte nicht. (Doris Priesching, 5.3.2024)