Die TV-Dokumentation
Die TV-Dokumentation "Gegen das Schweigen" hat in der österreichischen Film- und Theaterszene viel Staub aufgewirbelt. Im Fokus stehen Paulus Manker (links) und Julian Pölsler.
derStandard, APA, Imago

"In unserer Branche gibt es sehr viele Gerüchte. Manche haben Hand und Fuß, manche sind eine große Seifenblase. Über den Herrn Manker gibt es Enzyklopädien", sagt der Schauspieler Werner Wultsch in der Dienstag in der ARD-Mediathek online gegangenen Sendung "Gegen das Schweigen – Machtmissbrauch bei Theater und Film". Die Dokumentation zeigt die Ergebnisse einer dreijährigen Recherche zweier Investigativjournalistinnen über Missbrauchsstrukturen in der deutschsprachigen Kulturszene. Die Journalistinnen haben mit mehr als 200 Personen gesprochen. 70 davon haben ihnen eidesstattliche Erklärungen über Übergriffe hinter Filmsets und Theaterbühnen gegeben, 40 davon traten selbst vor die Kamera.

Bärenanteil Österreich

Der Bärenteil der Sendung fällt zwei Österreichern zu: dem Theatermacher Paulus Manker und dem Film- und Fernsehregisseur Julian Pölsler. Beide haben auf die Vorwürfe mit Anwaltsschreiben reagiert, die die Vorhaltungen dementieren.

Manker, der gerne als Enfant terrible charakterisiert – und so aus der Verantwortung genommen – wird, ist das Prozessieren gewohnt. Wie der "Falter" am Mittwoch berichtete, wurden zwischen 2018 und 2023 bei der Arbeiterkammer 13 Anzeigen gegen ihn gestellt. Alle sind in Gerichtsverfahren zugunsten der Mitarbeiter ausgegangen. Konsequenzen gab es für Manker keine, da er ein Auffangnetz aus Vereinen und Kommanditgesellschaften aufgebaut hat. Die Schadenersatzforderungen seien aus dem Insolvenz-Entgelt-Fonds der öffentlichen Hand beglichen worden, wie es im "Falter" heißt. Hinzu kommt, dass sich Manker durch sein System auch die Sozialversicherungsbeiträge spare. Statt Anstellungen handele es sich um Scheinselbstständigkeit, ein System der Ausbeutung also.

Auch die Verantwortung des Publikums wird in der Dokumentation thematisiert. Wann muss man aufstehen und gehen? Wann sollte man auf einen Kartenkauf verzichten? Solange keine Gerichtsurteile bestünden, so eine Zuschauerin, genieße sie die Inszenierung. Gerüchte und Verfahren hatten bisher offenbar auch keine Auswirkungen auf öffentliche Gelder, die Manker für seine Inszenierungen erhielt.

Gegen Paulus Manker wurden zwischen 2018 und 2023 bei der Arbeiterkammer 13 Anzeigen gestellt.
Gegen Paulus Manker wurden zwischen 2018 und 2023 bei der Arbeiterkammer 13 Anzeigen gestellt.
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Blinde Flecken bei Projektfinanzierungen

Blinde Flecken bei Projektfinanzierungen seien ein Problem, sagt etwa der Produzent Chris Dohr in Bezug auf den ORF. Dieser hat Julian Pölsler gut beschäftigt, der zweite Regisseur, der in "Gegen das Schweigen" abgebildet wird.

Seine größten Erfolge feierte Pölsler mit der Marlen-Haushofer-Verfilmung "Die Wand", zuletzt drehte er die Altaussee-Krimireihe für Servus TV. Eine Anfrage des STANDARD mit Blick auf die aktuellen Vorwürfe wurde vom Sender nach Redaktionsschluss beantwortet: Man halte "es für problematisch, jemanden ohne rechtlich relevante Fakten, sondern allein aufgrund des subjektiven Urteils der Sendungsgestalter "Es bleibt ein Verdacht" öffentlich an den Pranger zu stellen", heißt es in dem Statement. Und weiter: "ServusTV nimmt seriöse Anschuldigungen und Vorwürfe grundsätzlich sehr ernst. Wir sind aber nicht bereit, die Zusammenarbeit mit langjährigen Partnern auf Zuruf und ohne essentiellen Gehalt der Vorwürfe zu beenden."* Von mehreren Schauspielerinnen und Filmarbeiterinnen werden Pölsler in der Dokumentation Übergriffe vorgeworfen. Ein Vorwurf: Junge Frauen aus Filmteams sollten bei Filmdrehs in seiner Villa in Altaussee wohnen.

Alexander Glehr, der Produzent der Film AG Produktions GmbH, die die ersten zwei Folgen der vierteiligen Altaussee-Krimiserie koproduzierte, antwortete auf Anfrage, dass keine Kenntnis darüber bestand, dass der Regisseur häufig Darstellerinnen bei sich einquartierte. Die Zusammenarbeit sei aber nach zwei Folgen der Reihe wegen "unterschiedlicher Auffassungen im Herstellungsprozess" beendet worden.

Der ORF teilte in einem Statement mit, dass man die "erhobenen Vorwürfe gegen die beiden Regisseure unter Wahrung der Unschuldsvermutung sehr ernst" nehme und auf eine "lückenlose und transparente Aufklärung" vertraue. Die weitere Vorgehensweise werde evaluiert.

Julian Pölsler soll junge Schauspielerinnen bei sich einquartiert haben. Auch bei Castings seien Grenzüberschreitungen passiert.
Julian Pölsler soll junge Schauspielerinnen bei sich einquartiert haben. Auch bei Castings seien Grenzüberschreitungen passiert.
imago/Manfred Siebinger

Blick in die Zukunft

Die Verantwortung liegt indes auch bei den Geldgebern, nicht nur bei den Produktionsfirmen. Diese haben am Mittwoch gemeinsam mit der Akademie des Österreichischen Films, dem Dachverband der Österreichischen Filmschaffenden, und dem Fachverband der Film- und Musikwirtschaft in der WKÖ ein Statement herausgegeben, das die vielen positiven Entwicklungen der letzten Jahre betont: Die Ansprechstelle #WeDo etwa, die Übergriffe dokumentiert und in Workshops vor Produktionsbeginn für Sensibilisierung sorgt – das führt auch das Anwaltsschreiben von Pölsler an. Daniel Sanin, Psychologe bei #WeDo, sieht darin kein Feigenblatt – es sei wichtig, dass die Produktionen das Angebot in Anspruch nehmen, die Motive seien dabei zweitrangig.

Nach den Diskussionen rund um Florian Teichtmeister und den Dreh des von Pädophilie handelnden Films "Sparta" von Ulrich Seidl wurden auch die Kinderschutzrichtlinien verschärft. Diese werden im Frühjahr 2024 vorgestellt. Die Branche zeigt sich in Bewegung. Die jüngere Generation ist sensibilisiert auf Machtmissbrauch. Das Genie, dem alles erlaubt ist, wird nicht länger geduldet. Dennoch wird immer noch weiter mit Personen gearbeitet, die intern auf "schwarzen Listen" kursieren.

Iris Zappe-Heller von einem der größten heimischen Fördergeber, dem Österreichischen Filminstitut (Öfi), betont auf die Frage, ob die Vergangenheitsaufarbeitung nicht ebenso wichtig ist wie der Blick in die Zukunft, dass das "Augenmerk in der Prävention" liege. An das Öfi wenden sich nicht nur Betroffene, sondern auch Menschen, die befürchten, auf "schwarzen Listen zu stehen". Ist tatsächlich eine Person an einem Projekt beteiligt, über die Gerüchte kursieren, dann wird das Gespräch mit der Produktionsfirma gesucht – diese seien die Vertragspartner und schlussendlich für das Arbeitsklima verantwortlich. Doch von einem Ausschließen unliebsamer Charaktere kann nicht die Rede sein. "Es ist nicht unser Ansinnen, Leute auszuschließen, sondern zu versuchen, die Möglichkeit zu schaffen, ein erneutes Zusammenarbeiten zu ermöglichen", so Zappe-Heller. Es wird sich zeigen, ob die Präventionsstrategie ausreicht. (Valerie Dirk, 28.2.2024)