"Diese Rolle nehme ich nicht an", sagt Beate Meinl-Reisinger und meint die Rolle, die ihre Partei derzeit hat. Die Neos sind eine kleine Oppositionspartei. Das ist zwar Fakt, aber Meinl-Reisinger findet: Das soll nicht so bleiben. "Ich bin nicht bereit, den Platz einzunehmen, der uns zugeschrieben wird." Sie sei zum Regieren bereit. Ihre politische Vision goss sie nun in eine bei aufstrebenswilligen Politikerinnen und Politikern beliebte Form: ein Buch.

Beate Meinl-Reisinger
Beate Meinl-Reisinger hat viele pinke Ideen zu Papier gebracht.
Heribert Corn

Gleichzeitig soll "Wendepunkt. Wie wir das wieder hinkriegen" laut Meinl-Reisinger weder Partei- noch Wahlprogramm sein. Regierungsprogramm auch nicht, dafür sei es noch zu früh. Aber dieser Einordnung widerspricht die Neos-Chefin bei einem Hintergrundgespräch am wenigsten vehement.

"Permanentes Sinnversprechen" 

Zwischen den Zeilen lässt sich lesen, wie Meinl-Reisinger die Neos weiterentwickeln will: Neue Parteien würden schnell unterstützt, wenn sie gegen etwas auftreten. Langfristig bestehen könnte eine Partei aber "nur, wenn sie ein konsistentes und permanentes Sinnversprechen gibt, das eben mehr ist, als neu zu sein". Kaum zu überlesen, dass der Parteichefin vorschwebt, das "Neue Österreich" in eine mitgestaltende Phase zu überführen.

So ist das Buch auch aufgebaut: Die erste Hälfte widmet Meinl-Reisinger dem Problemaufriss, quasi der Oppositionsarbeit. Der zweite soll Lösungen skizzieren, die Idee einer pinken Regierungsarbeit.

Grunderbe für Junge

Da stecken teils kühne Projekte drin: Etwa wünscht sich Meinl-Reisinger, die Schulen gänzlich aus der Verwaltung zu lösen. Es sei überholt, das Bildungswesen über Verordnungen und Erlässe kontrollieren zu wollen.

Für Reibung in der liberalen Bubble könnten zwei weitere Vorschläge sorgen. Erstens denkt die Neos-Chefin die Zerschlagung großer Social-Media-Konzerne an. Zweitens ventiliert sie das Konzept eines "Grunderbes": 25.000 Euro für jeden und jede 18-Jährige, zweckgewidmet für Ausbildung, Unternehmensgründung oder Immobilienkauf. Wer erbt, soll das Geld dann zurückzahlen müssen.

Wenige Überraschungen

Solche Überraschungen muss man im Buch allerdings suchen. Auch wenn "Wendepunkt" kein Parteiprogramm ist: Über weite Strecken beschreibt Meinl-Reisinger eben Neos-Ideen. Vielleicht ist es ein Verdienst der zehnjährigen Parlamentsarbeit, dass man das alles schon kennt: Europa droht wirtschaftlich abgehängt zu werden, die Abgabenquote in Österreich ist zu hoch, wir brauchen qualifizierte Zuwanderung, Neutralität allein nützt uns nicht. Eh.

Manchen Politikerinnen und Politiker sind steile Thesen, die sie in Büchern formuliert haben, schon einmal auf den Kopf gefallen. Das wird Meinl-Reisinger nicht passieren: Dafür ist ihr Buch dann doch zu sehr Parteiprogramm. (Sebastian Fellner, 14.3.2024)