Foto einer Aktion von Otto Muehl (1925–2013). Wegen späterer Straftaten ist er bis heute umstritten.
Foto einer Aktion von Otto Muehl (1925–2013). Wegen späterer Straftaten in der von ihm gegründeten Kommune Friedrichshof ist er bis heute umstritten.
Manuel Carreon Lopez

Wie ein Spalt durchzieht der schwarze Strich den weißbemalten Kopf. Günter Brus’ ikonisch gewordene Bilder seiner Selbstbemalungen scheinen zu sagen: Hier treffen sich Grundprinzipien der Kunst, das helle Apollinische und das dunkle Dionysische, das Verdrängte, die Psychoanalyse, die Ästhetik des Grauens, des Exzesses und der Heilserwartung.

Das schmucke Haus in der Wiener Weihburggasse 26 hat die Bilder in seinen ausladenden Erdgeschoßfenstern groß affichiert. Das darin untergebrachte neue Wiener-Aktionismus-Museum, kurz WAM, weiß schließlich um die plakativ ansprechende Wirkung der Motive. Ab Freitag wird das Haus fürs Publikum geöffnet. Kein schlechter Zeitpunkt. Denn mit Brus’ Ableben am 10. Februar dieses Jahres ist der Wiener Aktionismus (den Begriff prägte nachträglich Peter Weibel) wohl vollends in der musealen Nachbetrachtung angekommen.

Jene anderen drei Künstler, die dem engen Kreis der Nachkriegsavantgarden zugerechnet werden, sind schon früher gegangen: Hermann Nitsch starb 2022, Otto Muehl 2013, Rudolf Schwarzkogler unter ungeklärten Umständen bei einem Sturz aus dem Fenster 1969 – da war die klassische aktionistische Phase der Gruppe gerade auf dem Höhepunkt, und sie hielt noch bis 1973 an.

Hermann Nitsch bei einer seiner ersten Aktionen mit Tiereingeweiden. Er verfolgte später mit dem Orgien-Mysterien-Theater ein Gesamtkunstwerk aus bildender Kunst, Musik, Performance und Kulinarik.
Manuel Carreon Lopez

Anarchische Psychoanalyse

Mit einem Abstand von 50 Jahren, in denen die Kunstrichtung von Fans wie Kritikern gleichermaßen in allen Einzelheiten analysiert, abgelehnt oder als bahnbrechend gefeiert wurde, kommt die von sechs Privatsammlern aus Österreich und Deutschland ergriffene Museumsinitiative nun vielleicht gerade recht. Lassen sich doch hoch aktuelle Fragen zu Körper und Identität, zu Freiheit und Repression oder wie bei Otto Muehl auch zu Missbrauch von Macht direkt anknüpfen.

210 Sonderausstellungsideen für die nächsten Jahre habe man schon, sagen Museumsleiterin Julia Moebus-Puck und Chefkuratorin Eva Badura-Triska. Zur Eröffnung beginnt man aber einmal bei den Basics und fragt schlicht: Was ist Wiener Aktionismus? Eine Frage, die im Schulunterricht wie Kunstgeschichte-Studium heute ihren Platz hat.

Das war freilich nicht immer so. Mehrfach wurden die Protagonisten für ihre Aktionen verhaftet und abgestraft, Vernehmungsprotokolle der legendären Uni-Aktion Kunst und Revolution von 1968 dokumentieren das. Dabei ist die Erzählung von den Wiener Aktionisten als linken Staatsfeinden ein Missverständnis: Während in Deutschland Studentenführer Rudi Dutschke und bald auch RAF-Terroristen vom kommunistischen Umsturz träumten, waren Brus, Muehl, Nitsch und Schwarzkogler vielmehr von anarchistischen und psychoanalytischen Ideen angesteckt. Weniger an Staat und Kapital sei anzusetzen, sondern am eigenen Ich, an der im postfaschistischen Nachkriegsmief herrschenden Einengung von Kunst und Gesellschaft. Der Wiener Aktionismus ist bei aller Gesellschaftskritik immer Kunst geblieben.

Ein frühes informell-abstraktes Gemälde von Günter Brus. Der Schwarz-Weiß-Ästhetik sollte er auch in seinen Aktionen treu bleiben.
Manuel Carreon Lopez

In sieben Stationen verfolgt das auf das Erd- und das Kellergeschoß angelegte Museum den Werdegang der vier Künstler anhand ihrer Arbeitsweise: Alle begannen sie zunächst mit dem brav akademischen Tafelbild, und alle lösten sich davon bis hin zu Aktionen, die Body- und Performance-Art mitbegründeten.

Deutlich wird, wie sehr die Protagonisten sich als Fortführer der Wiener Moderne um 1900 verstanden: Der Expressionismus von Kokoschka, Schiele und Gerstl findet sich bei Brus, Muehl und Nitsch wieder, mystischer Symbolismus und die stetige Suche nach Reinigung bis hin zu obskuren Diätritualen haben Schwarzkogler beschäftigt.

Kritik und traurige Ironie

Die Kritik am Wiener Aktionismus – Machismus, martialischer Gestus, Frauen nur als passive Akteurinnen – will das WAM offen diskutieren, aber schon auch widerlegen: Man habe zum Beispiel mit allen lebenden abgebildeten Akteurinnen und Akteuren gesprochen und die Rückmeldung erhalten, dass sie ihre Teilnahme an den Aktionen als befreienden Moment erlebt hätten. Dennoch: In Otto Muehls Fotos der Aktion Versumpfung einer Venus beispielsweise kündigt sich recht deutlich jenes autoritäre Machtgefälle an, das ihn später in seiner Kommune Friedrichshof zum verurteilten Straftäter werden ließ. Auch diese Geschichte, die traurige Ironie des Befreiungsexperiments, wird das Museum erzählen müssen.

Die Sammlung, die auf jener der ehemaligen Kommune aufbaut, umfasst 17.000 Exponate, derzeit sind nur etwa zehn Prozent davon zu sehen. Exklusivität sollte man sich nicht zu viel erwarten, denn die mehrheitlich auf Fotografien festgehaltenen Aktionen finden sich auch in anderen Sammlungen, etwa jener des Mumok. Kooperationen mit dem Nitsch-Museum oder dem Filmmuseum für das filmische Werk (Kurt Kren) sind geplant.Das Jahresbudget von 700.000 Euro wird gänzlich von Privaten und Sponsoren getragen, sieben Euro Eintritt sind günstig. Zwei Sonderausstellungen pro Jahr will man umsetzen – die Eröffnungsschau läuft nun aber erst einmal bis 2025. (Stefan Weiss, 13.3.2024)