Zumindest in Moskau kann niemand Putins Wahl entgehen, die am Freitag in Russland beginnt und drei Tage dauern wird. Die Aufforderung, ins Wahllokal zu gehen und sein Kreuz zu machen, sie blinkt jedem von unzähligen Videowänden und Plakaten entgegen. An fast jeder großen Straßenkreuzung, auf Bussen und in Geschäften. Putin wird die Wahl haushoch gewinnen, so viel ist sicher. "Russlands Zukunft", so bewirbt der Kreml-Chef seine Wiederwahl. Der 71-Jährige will sich zum fünften Mal im Amt bestätigen lassen. Ernstzunehmende Gegenkandidaten, etwa die Kriegsgegner Boris Nadeschdin und Jekaterina Dunzowa, wurden gar nicht erst zugelassen. Angeblich waren Unterlagen fehlerhaft, beide hatten Unterschriften von zehntausenden Unterstützerinnen und Unterstützern gesammelt.

Purin auf Wahlplakat.
Der sichere Sieger seiner Wahl: Wladimir Putin auf einer Häuserwand in St. Petersburg.
EPA/ANATOLY MALTSEV

Wichtiger aber als das Ergebnis ist für den Kreml die Wahlbeteiligung. Und da liegt das Problem. Viele Russinnen und Russen interessiert die Wahl nicht. Bei der Präsidentschaftswahl 2018 kam Putin auf 76,7 Prozent der Stimmen. Damals lag die Wahlbeteiligung bei 67,5 Prozent. Diese Zahlen gilt es jetzt zu übertreffen. Um den Menschen im eigenen Land und draußen in der Welt zu zeigen: Ganz Russland steht hinter seinem Präsidenten.

Video: Putin ruft Russen zum Urnengang in "schwierigen Zeiten" auf.
AFP

Zweifelhafte Online-Wahl

Dabei soll nichts schiefgehen. Mitglieder und Unterstützer der Regierungspartei Einiges Russland müssen zur Wahl jeweils zehn Personen aus ihrem Umfeld mitbringen. Immerhin, so ein Parteimitglied zum Medium Meduza: "In der Praxis erreicht nicht jeder dieses Ziel, aber niemand wird dafür bestraft." Angestellte in Staatsbetrieben und regierungsnahen Unternehmen müssten zwei bis drei Wähler anwerben, weiß Meduza. Bei der Wahl kann auch online abgestimmt werden. So lässt sich das Wahlverhalten ganz einfach kontrollieren. In Regionen ohne Onlinewahlmöglichkeit würden Betriebe QR-Codes an die Angestellten ausgeben, so Meduza. Diese würden dann im Wahllokal gescannt. "Obwohl es an manchen Orten überhaupt keine Nachverfolgung geben wird, wird die bloße Weitergabe der Codes psychologisch wirksam sein. Weil die Leute nicht sicher wissen, ob ihre QR-Codes überprüft werden oder nicht, gehen sie einfach zur Sicherheit hin", sagt ein Wahlexperte.

Von wesentlich härterem Druck berichtet das Portal The Insider. Mitarbeiter eines staatsnahen Forschungsinstituts seien aufgefordert worden, "aktiv an der Abstimmung teilzunehmen" und "ihre Stimme für den amtierenden Präsidenten abzugeben".

Studierende der Staatlichen Pädagogischen Universität Woronesch berichteten von Druck seitens der Universitätsleitung, berichtet das Onlinemedium 7x7. Den Studierenden wurde ein Fragebogen ausgehändigt, mit der Frage, für wen sie stimmen wollten. Dringend empfohlen wurde: Putin. Und die Moskauer Deutsche Zeitung berichtet, Erzieher und Lehrerinnen in der Region Swerdlowsk seien unter Androhung der Entlassung gezwungen worden, Fragebögen mit den Angaben von Bekannten auszufüllen, die zur Wahl wollen. Nachprüfen lässt sich das alles nicht. Doch die schiere Vielzahl der Berichte zeigt: Bei dieser Wahl soll wohl nichts dem Zufall überlassen bleiben.

Auch besetzte Gebiete stimmen ab

Das gilt auch für die in der Ukraine besetzten Gebiete. Auch dort wird gewählt. Den Krieg gegen die Ukraine stellt Putin vor allem auch als einen Kampf gegen westliches Vormachtstreben dar, was bei vielen Menschen in Russland verfängt. "Es ist wichtig, unseren Zusammenhalt und unsere Entschlossenheit zu unterstreichen und gemeinsam voranzuschreiten. Jede Stimme, die Sie abgeben, ist wertvoll und wichtig", so Putin in einer Videoansprache.

112 Millionen Menschen im Land sind wahlberechtigt, hinzu kommen fast zwei Millionen Russinnen und Russen im Ausland. Putin könne mit 82 Prozent der Stimmen rechnen, so das staatsnahe Meinungsforschungsinstitut Wziom. Auch das unabhängige Institut Lewada geht von einer Zustimmung von über 80 Prozent aus. Erwartet wird der Wziom-Befragung zufolge eine Wahlbeteiligung von 71 Prozent.

Interessant wird die Zahl der ungültigen Stimmen sein. Zwischen ein und drei Prozent schätzen die Umfrageinstitute. Stimmzettel ungültig zu machen, dazu hatte die Opposition aufgerufen. Wie viel Rückhalt diese in der Bevölkerung hat, könnte sich am Sonntag zeigen, am dritten Wahltag. Julija Nawalnaja, die Witwe des verstorbenen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny, hat die Menschen in Russland aufgerufen, am Sonntag mittags wählen zu gehen. "Polden protiw Putina" lautet ihr Slogan – "Mittag gegen Putin". Die Warteschlangen sollen ein Protestzeichen sein, gegen das die Behörden kaum vorgehen könnten. (Jo Angerer aus Moskau, 15.3.2024)