Nach dem umstrittenen Auftritt einer von der FPÖ organisierten größeren Gruppe mit Medienvertretern im Europäischen Parlament, die von Experten dem Kern von extrem rechten Plattformen und solchen der Identitären zugerechnet werden, wird das Präsidium des Parlaments tätig. Das hat der Erste Vizepräsident Othmar Karas dem STANDARD am Freitag erklärt. "Die Sache schreit nach Aufklärung", sagte er, die Vorfälle müssten "zu hundert Prozent aufgeklärt und daraus Konsequenzen gezogen werden".

Othmar Karas (ÖVP) im Rahmen einer Sitzung des Nationalrats im Parlament am Mittwoch, 31. Jänner 2024, in Wien.
Othmar Karas (ÖVP) im Rahmen einer Sitzung des Nationalrats im Parlament am Mittwoch, 31. Jänner 2024, in Wien.
APA/MAX SLOVENCIK

Karas ist in seiner Funktion der Stellvertreter von Präsidentin Roberta Metsola. Er wird am kommenden Donnerstag in einer Koordinierungssitzung von der zuständigen Generaldirektion für die Öffentlichkeitsarbeit einen Bericht verlangen. Wie berichtet, waren einzelne Vertreter der Gruppe unter anderem dadurch aufgefallen, dass sie Journalisten und Abgeordnete bei der Arbeit filmten, offensichtlich zu Dokumentationszwecken und mit Bildern aus dem Parlament. Auf rechten Plattformen und Social Media sind bereits erste Berichte zu finden, in denen die EU als "Kriegstreiberin" in der Ukraine dargestellt wird und Journalisten als Angehörige von "Systemmedien" diffamiert werden.

Karas sagte, er habe "keine persönliche Wahrnehmung" der Vorfälle. Träfen die Presseberichte und Wahrnehmungen von Abgeordneten aber zu, sei dies bedenklich. Im Parlament habe es erst einmal einen ähnlichen Vorfall gegeben, bei dem Missbrauch durch journalistisch tätige Personen in Zusammenhang mit Russlands Machthaber Wladimir Putin aufgefallen sei.

"Meinungsfreiheit missbraucht"

Offenbar versuche die FPÖ, "sich eine eigene Öffentlichkeit mit extremen Medien zu verschaffen. Meinungsfreiheit wird missbraucht." Das alles sei zu prüfen, eventuell könnte dies zu einem Verbot des Zugangs ins Parlament führen. Karas bedauert, dass damit die prinzipiell angestrebte Offenheit des Europäischen Parlaments infrage gestellt werde. Es sei auf der anderen Seite aber für Sicherheit und Schutz zu sorgen.

Zwei Tage nach den Vorfällen in Straßburg kam es auch in Wien zu Vorfällen mit Journalisten: Bei einer Kundgebung der FPÖ in Wien-Favoriten am Donnerstag, bei der unter anderem der Wiener FPÖ-Landeschef Dominik Nepp über Kriminalität sprach, wurde ein Kameramann von Puls 24 von einem RFJ-Aktivisten angegriffen und gestoßen, mehrere Personen drängten das Team des Senders ab. Eine Pressesprecherin der FPÖ ging dazwischen und versuchte die aufgebrachte blaue Jugend zu beruhigen.

Die Szenen sind gut auf einem Video, das das investigative Medienprojekt "Presseservice Wien" zeitnah auf X (vormals Twitter) veröffentlichte, zu sehen. Nach Kritik an dem Verhalten anwesender Polizeibeamten und dem fehlenden Schutz der Pressefreiheit seitens der Organisation Reporter ohne Grenzen und des Presseclubs Concordia meldeten sich am Freitag auch die Regierungsparteien zu dem Vorfall zu Wort, Olga Voglauer, Generalsekretärin der Grünen, und ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. Voglauer sagte, die Gewalt trage "Kickls Handschrift". Stocker warnte: Kickl und seine FPÖ "führen uns in ein System à la Putin und Russland, und das ist ein autoritärer Staat".

Die FPÖ sieht das Ganze diametral anders. Bundesparteichef Herbert Kickl forderte den Kameramann auf, sich zu entschuldigen. Denn laut FPÖ sei der Kameramann des Senders tatsächlich ein "Aktivist" und habe Kundgebungsteilnehmer mit seiner Kamera provoziert. Das von der FPÖ dazu veröffentlichte Video, das dem Kameramann seinen Beruf absprechen soll, zeigt den Mann sieben Sekunden lang, wie er eine Nahaufnahme von einem älteren Mann macht.

In dem rund zwei Minuten langen Video des "Presseservice Wien" sieht man neben den Attacken auf das Puls-24-Team auch Polizeibeamte auf Zuruf eines RFJ-Aktivisten Personen beim U-Bahn-Abgang durchlassen oder – je nach Kommando des blauen Nachwuchspolitikers – eben nicht. "Die Schiachen bleiben oben, die anderen kommen unten", sagt der RFJ-Mann den Polizisten. Die Landespolizeidirektion Wien verwies den STANDARD auf Nachfrage auf zwei Tweets, die man über den Vorfall auf X abgesetzt hatte. Demnach konnte die "Auseinandersetzung zwischen Versammlungsteilnehmern und einem Kamerateam" durch die "Einsatzkräfte zunächst nicht unmittelbar wahrgenommen werden – kurz nach der Auseinandersetzung kamen diese jedoch hinzu und konnten die Situation beruhigen. Der Vorfall wurde bei der StA Wien angezeigt."

Zurück zur publizistischen Reisegruppe, die diese Woche mit Steuergeld von der FPÖ nach Straßburg eingeladen worden war. Auch hier fordern mehrere Parteien eine Diskussion darüber, wie der Zutritt ins EU-Parlament strenger geregelt werden kann. Die FPÖ hatte unter anderem frühere Führungskräfte der Identitären Bewegung nach Straßburg gebracht, zudem Vertreter mehrerer anderer Plattformen, die von Experten als rechtsextrem eingestuft werden. Zudem war auch ein Mann auf der Liste der Reisegruppe, der vor über zehn Jahren mit einer Gruppe rechtsextremer Freunde vor Gericht stand. Die Anklage lautete damals auf schwere Körperverletzung und NS-Wiederbetätigung. Der Mann, der Mitglied der FPÖ-Jugend war, wurde damals freigesprochen.

Verbreitung von "Desinformationen"

"Diese Gruppe kommt ja nicht nach Straßburg, um kritisch über die Arbeit des Europaparlaments zu berichten, sondern die Idee hinter der Reise ist, die europäischen Institutionen zu diskreditieren und vor der EU-Wahl Desinformationen zu verbreiten", sagt SPÖ-Fraktionsführer Andreas Schieder zum STANDARD. Es ginge nicht darum, dass die Begleiter der FPÖ andere Meinungen vertreten, sagt Schieder: "Es geht darum, dass sich diese Reisegruppe fürchterlich danebenbenommen hat. Sie hat Journalistinnen und Journalisten von der Arbeit abgehalten und ungefragt fotografiert und gefilmt, auch die Bildschirme ihrer Arbeitsgeräte."

Der grüne EU-Abgeordnete Thomas Waitz berichtet, selbst von der Gruppe angegangen worden zu sein: "Diese Reisegruppe war offensichtlich auf Krawall gebürstet. Als wir unser Pressebriefing beendet haben, wurden wir angepöbelt – man werde uns Lektionen erteilen und so weiter. So etwas kenne ich von Journalistinnen und Journalisten nicht." Schieder und Waitz fordern beide eine Debatte über strengere Zugangsregeln. "Wir diskutieren im EU-Parlament, wie wir Fake News bekämpfen – aber dann müssen wir uns auch fragen, wie wir damit umgehen, wenn solche Personen zu Zutrittskarten gelangen", sagt Waitz. Evelyn Regner (SPÖ), Vizepräsidentin des EU-Parlaments, kündigte an, dass man sich im Präsidium mit der Sache beschäftigen werde.

"Keine konstruktiven Konzepte"

Der EU-Abgeordnete Lukas Mandl hält die Reisegruppe der FPÖ für bemerkenswert, "weil es so viele auf einen Schlag waren und weil sie aus Richtungen kommen, aus denen üblicherweise keine konstruktiven Konzepte für Österreichs Rolle in Europa oder die Europäische Union kommen". Das Parlament sei aber ein "offenes Haus für alle Bürger". Und, so Mandl, wenn man "mit sanftmütigem Humor demaskiert, was an bitterem Hass gegen demokratische Institutionen oder Menschen anderer Meinung verbreitet wird, kann man Spannungen auflösen und Spaltung verhindern", denkt Mandl.

Sein Parteikollege Andreas Hanger kritisierte hingegen, dass ein FPÖ-Mitarbeiter seiner Ladung in den U-Ausschuss nicht folgte, weil er an diesem "Treffen mit rechtsextremen Medien" teilgenommen hatte: "Eine solche Ignoranz der parlamentarischen Kontrolle ist beispiellos und darf nicht akzeptiert werden" Der angesprochene Kommunikationsmitarbeiter verwies darauf, dass diese Dienstreise schon lange geplant gewesen sei."

Die FPÖ selbst reagierte erbost auf STANDARD-Berichte über die großteils rechtsextreme Reisegruppe. Die Europasprecherin und Nationalratsabgeordnete Petra Steger sprach von "Denunziantentum in seiner Reinform". Sie sprach von "lupenreinen Fake News", weil es in einer ersten Version des Artikels hieß, die Reisegruppe habe Steger nach Straßburg begleitet – so war es laut offizieller Anmeldung geplant, Steger reiste jedoch doch nicht mit. Dass DER STANDARD über solche Informationen verfüge, zeige für Steger, "dass offizielle Stellen im EU-Parlament diese Information entgegen den Datenschutzbestimmungen an bedingungslos EU-loyale Journalisten durchgestochen haben". EU-Fraktionsführer Harald Vilimsky sprach sinngemäß davon, dass der "EU-Anbetungsverein" Amok laufe. (Thomas Mayer, Fabian Schmid, Colette M. Schmidt, 15.3.2024)