Biden & Netanjahu
"Buddies" war einmal: US-Präsident Joe Biden (rechts) und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
Fotos: AFP, Imago; Collage: derStandard/Lukas Friesenbichler

Es war vor fast zehn Jahren, im Herbst 2014, als der damalige US-Vizepräsident Joe Biden in einer Rede vor jüdischen Verbänden in Maryland Benjamin Netanjahu ausrichten ließ, dass sie immer Freunde – "buddies", "great, great friends" – bleiben würden. Trotz allem. Jeder verstand, was gemeint war: die tiefen Differenzen zwischen Bidens Chef, US-Präsident Barack Obama, und "Bibi".

Unter diesem Rufnamen läuft Israels Premier bei Freunden und Feinden gleichermaßen. "Die Sache mit Bibi ist: Er ist ein Stück Hühnerscheiße", hatte kurz zuvor ein anonymer Obama-Mitarbeiter zu Jeffrey Goldberg von The Atlantic gesagt. Es folgte Bidens "I still love you" an Bibi in Maryland. Auch wenn das persönliche Verhältnis zwischen Obama und Netanjahu damals längst als "dysfunktional" und "irreparabel" bezeichnet wurde: Das Zerwürfnis erstreckte sich nicht auf den US-Vizepräsidenten.

Gerüchte über kalkulierte Leaks

Nun steht Biden selbst im letzten Jahr seiner ersten Amtszeit als Präsident – und die Medien zählen, wie oft er Benjamin Netanjahu in der letzten Zeit nachweislich als "Arschloch" bezeichnet oder mit einem anderen Kraftausdruck bedacht hat. Manche spekulieren, ob Biden bei gewissen Gelegenheiten das Mikrofon nicht absichtlich eingeschaltet lässt.

Man bedient sich auch der subtilen Waffe der Leaks: So berichtet aktuell Axios über eine für Netanjahu wenig schmeichelhafte US-Geheimdiensteinschätzung, die die Überlebensfähigkeit von dessen Regierung anzweifelt. Und laut Politico ist Biden so frustriert über die Art, wie ihn Netanjahu mit seiner Kritik an der israelischen Gaza-Strategie abfertigt, dass er überlegt, sich via Rede in der Knesset direkt an die Israelis zu wenden.

Das tat Obama 2013, nachdem er 2012 entgegen Netanjahus Kalkül – und Wunsch – die US-Präsidentschaftswahlen gegen Herausforderer Mitt Romney gewonnen hatte: Er bekam zwar 70 Prozent der jüdischen Stimmen in den USA, in Israel war er aber äußerst unbeliebt und machte Netanjahus Stimmungsmache dafür verantwortlich. Dieser revanchierte sich 2015, als er sich, ohne das Weiße Haus auch nur zu informieren, in den Kongress einladen ließ, um gegen Obamas Iran-Politik zu wettern.

In diesem Fall zahlte sich die Brüskierung des Weißen Hauses aus: Zwei Wochen später gewann Netanjahu nach mäßigen Umfragen locker die Wahlen. Premier war er – wieder – seit 2009. In diesem Jahr trat auch Obama seine Präsidentschaft und Biden seine Vizepräsidentschaft an.

Schwierige Beziehungen

Normalerweise ist in Israel das Bewusstsein tief ausgeprägt, dass man den US-Präsidenten immer an seiner Seite braucht. Ein Regierungschef verliert nicht ungestraft die Unterstützung des Weißen Hauses. Keiner außer Bibi 2015. Allerdings: Seine Wahlniederlage gegen Ehud Barak 1999, nach seiner ersten kurzen Amtszeit, wird oft auf sein angespanntes Verhältnis zu US-Präsident Bill Clinton zurückgeführt.

Joe Biden hat es als Präsident im Nahen Osten besonders schwer. Acht Jahre lang, 2009 bis 2017, war er loyaler Stellvertreter Obamas, dem bis heute sowohl von Netanjahu als auch von arabischen Potentaten fundamentale Politikfehler vorgeworfen werden: von seiner Sympathie für die Revolutionen im Arabischen Frühling 2011 bis zum Iran-Atomdeal 2015. Das trug dazu bei, dass ein Donald Trump mit seinen schlechten Manieren – die in der auf Würde bedachten arabischen Welt sehr wohl auffallen – wie ein Erlöser aufgenommen wurde.

US-Präsident Joe Biden (links) und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu
US-Präsident Biden (links) besuchte Netanjahu zu Kriegsbeginn in Tel Aviv. Mittlerweile beschimpft er ihn mit Kraftausdrücken.
IMAGO/White House

Trump lieferte

Für Netanjahu war Trump eine atmosphärische Wohltat, und dieser lieferte, was er im Wahlkampf versprochen hatte: Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, Anerkennung der Annexion des Golan, Austritt aus Obamas Iran-Atomabkommen. Auch die "Abraham Accords" mehrerer arabischer Staaten 2020 mit Israel gehen auf sein Konto. Wobei am Schluss Trumps rechte israelische Freunde etwas enttäuscht darüber waren, als in dessen ultimativem Nahostdeal-Entwurf dann doch noch so etwas wie ein palästinensischer Pseudostaat vorkam.

Mit Biden wurde es wieder schwieriger: Er kritisierte Bibis Justizreform. Aber er war immerhin ein Präsident, dessen Freundschaft zu Israel niemand ernsthaft bezweifelte: anders als jene des Präsidenten mit dem Vornamen Barack, der ihn als Krypto-Muslim verdächtig machte.

Bidens spontane Reise nach Israel kurz nach den Hamas-Massakern am 7. Oktober 2023 wurde ihm hoch angerechnet. Es blieb auch nicht bei emotionalen Worten und Umarmungen. Die USA hielten durch den Aufbau einer militärischen Drohkulisse gegen den Iran und dessen Stellvertreter in der Region Israel den Rücken für seinen Kampf gegen die Hamas frei.

Gestrafte Loyalität

Aber nach mehr als fünf Monaten Krieg in Gaza, mit massiven zivilen Opfern, setzt sich in Washington der Eindruck durch, die unbegrenzte Loyalität werde von Netanjahu mit Missachtung, wenn nicht sogar Verachtung beantwortet. Die Interessen dieser israelischen Regierung, die auch die arabischen Partner im Auge hat, gehen nicht mit jenen der USA konform. Und dann stehen auch die Präsidentschaftswahlen an. Der Krieg schadet Biden bei den jungen Demokraten, viele davon mit einer familiären Migrationsgeschichte aus dem Globalen Süden.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt – nämlich dass es Netanjahu nichts ausmacht, wenn Trump im November die Wahlen gewinnt. Aber auch Biden hat inzwischen gelernt auszuteilen: Ein Beispiel war die Einladung von Benny Gantz ins Weiße Haus Anfang März. Er ist zwar Teil des israelischen Kriegskabinetts, aber doch auch Oppositionspolitiker, und Netanjahu hatte den Besuch nicht abgesegnet.

Erstmals nahm Biden im Zusammenhang mit Israel nun auch das Wort "rote Linie" in den Mund: für die Bodenoffensive in Rafah im Süden des Gazastreifens, die Netanjahu am Freitag offiziell gebilligt hat. Wie immer war auch diese Warnung mit der Versicherung verbunden, dass die USA Israel nie im Stich lassen würden.

Das größte Militärpaket für Israel, das die USA je geschnürt haben, kam denn 2015 ausgerechnet von Obama und umfasste enorme 38 Milliarden US-Dollar auf zehn Jahre. Bibi-Kritiker meinten damals aber auch, dessen Affront gegen das Weiße Haus mit seinem Kongress-Auftritt habe Israel sieben Milliarden gekostet, um die Obama weniger auszugeben bereit war.

Riskante "rote Linien"

Die Konfrontationspolitik ist auch für Biden nicht ohne Risiko. Netanjahu dürfte sich nicht scheuen, den US-Präsidenten dafür verantwortlich zu machen, wenn es Israel – wovon alle Experten und Expertinnen ausgehen – nicht gelingt, die Hamas völlig zu vernichten. Und die Formulierung "rote Linie" des ehemaligen Vizepräsidenten Obamas weckt im Nahen Osten peinliche Erinnerungen: Im Sommer 2013 ließ Obama einen Chemiewaffenangriff des syrischen Regimes unbeantwortet, obwohl er das zuvor als "rote Linie" bezeichnet hatte.

Am Beginn der ersten Amtszeit Obamas, 2009, stand dessen Versuch, nach der Präsidentschaft von George W. Bush das Verhältnis zur arabischen Welt, das von der Irak-Invasion 2003 geprägt wurde, neu aufzusetzen. Dazu gehörte, Israel dazu zu bringen, den Siedlungsbau im Westjordanland einzufrieren. Das Ende von Obamas zweiter Amtszeit acht Jahre später markierte eine Uno-Sicherheitsratsresolution, die die Siedlungen kritisierte. Die USA legten kein Veto ein.

Joe Bidens Regierung steht heute im Sicherheitsrat fest an Israels Seite. Erst im Februar verhinderten die USA eine Resolution mit der Forderung nach einem Waffenstillstand im Gazastreifen. Aber Bidens Präsidentschaft dauert noch – mindestens – zehn Monate. (Gudrun Harrer, 15.3.2024)