Kolibri im Schwirrflug vor einer Blüte
Wie aus dem Paradiesgarten: Ein Antillenhaubenkolibri peilt die Blüte eines Pfauenstrauchs an. (Belichtungszeit 1/2500 Sek., Blende f4, Lichtempfindlichkeit ISO 800, Brennweite 300 mm, Crop)
Michael Simoner

Haben Sie sich schon einmal darüber Gedanken gemacht, wie sonst wo auf der Welt Vögel im Winter gefüttert werden? Ich auch nicht. Aber da wir gerade sonst wo auf privater Urlaubsexpedition waren, haben wir dort Nachforschungen angestellt. Ergebnis: nichts. Auf den westindischen Inseln Guadeloupe, Dominica und Martinique ist uns kein einziger Meisenknödel untergekommen. Gut, wenn es bei uns im Winter 25 Grad und mehr hätte und der üppige Regenwald nie weiter als eine paar Flügelschläge entfernt wäre, kämen die Vögel auch hier nicht zum Gartenbuffet. Es gibt aber in der Karibik eine Ausnahme: Kolibris. Ihnen werden das ganze Jahr über Süßigkeiten spendiert.

Kolibris (Trochilidae) sind auf der ganze Welt beliebt, obwohl es sie nur in bestimmten Erdteilen gibt, nämlich in Amerika (Norden bis Süden) und in der Karibik. Bei uns werden manchmal Taubenschwänzchen oder Hummelschwärmer für Kolibris gehalten, weil diese Schmetterlinge ebenfalls von Blüte zu Blüte flitzen und im Schwirrflug Nektar saugen. Kolibris sind eine eigene Vogelfamilie mit mehr als 350 Arten. Der kleinste Kolibri, die Bienenelfe, ist nur fünf Zentimeter groß und wiegt gerade mal 1,8 Gramm – das ist leichter als eine Ein-Cent-Münze. Der Riesenkolibri hingegen ist ungefähr so groß wie eine Amsel.

Zum Niederknien schön

Auch wir sind dem Charme der Hummingbirds vor vielen Jahren in Kanada erlegen und träumten schon länger davon, sie wieder einmal in freier Wildbahn zu beobachten. Also hat das Unterbewusstsein Flüge auf die Kleinen Antillen gebucht. Dort – und nur dort – gibt es zum Beispiel Purpurkehl-Antillenkolibris (Eulampis jugularis). Die sind zum Niederknien schön: Kehle und Brust sind violett-rot, die Deckenfedern glänzen metallisch grün-blau und die Flügel leuchten in der Sonne gold-grün. Diese Art haben wir sowohl im Urwald als auch bei Futterspendern in Privatgärten gesichtet.

Gefüttert werden die Kolibris mit Zuckerwasser. Die Spender erinnern an Hängelampen, die ringsherum mit künstlichen Blüten versehen sind, in deren Öffnung die Kolibris ihre langen Schnäbel stecken. Fast wie bei einer echten Blüte in der Natur. Viele Kolibri-Arten sind exklusiv auf ganz bestimmte Blüten spezialisiert. Der kleine Antillenhaubenkolibri (Orthorhyncus cristatus) hingegen dürfte nicht so wählerische sein. Ihn haben wir auf Bananenblüten, an den Blütenkelchen von Russelien und auf dem wunderschönen Pfauenstrauch entdeckt. All diese Blüten waren rot, ist uns aufgefallen.

Mit gespaltener Zunge

Zwischendurch strecken Kolibris immer wieder ihre langen Zungen weit heraus, und wir konnten deutlich erkennen, dass diese gespalten ist. Das hilft beim Schlabbern von Nektar oder Fruchtsaft. Kolibris müssen extrem viel tanken. Manchmal nehmen sie an einem Tag die dreifache Menge ihres Köpergewichts zu sich. Die ein oder andere Mücke ist da auch drunter. Mit bis zu 200 Flügelschlägen in der Sekunde können sie in alle Richtungen fliegen. Dabei bewegen sie die Flügel nicht einfach auf und ab, sondern eher kreisförmig, was für mehr Auftrieb sorgt. Der Schwirrflug ist energieaufwendig und die Nahrungsaufnahme extrem hektisch. Ein Saugerl dauert nie länger als ein paar Sekunden. In der Nacht fahren sie ihre Körpertemperatur herunter und verfallen in eine Starre, um Energie zu sparen.

Bei künstlichen Futterquellen kann es zu Rangeleien kommen, weil Kolibris ein ausgeprägtes Revierverhalten haben. Außerdem haben sie artfremde Konkurrenz: Zuckervögel (Coereba flaveola) mögen die gleichen Blüten. Diese Sperlingsvögel sehen von weitem ein wenig aus wie Kohlmeisen. Ihre bananengelbe Farbe hat ihnen auch ihren englischen Namen Bananaquit gegeben. Auch Zuckervögel haben eine gespaltener Zunge, ihre Schnäbel sind aber doch kürzer als die der Kolibris. Den Schwirrflug beherrschen die Zuckervögel nicht, sie zählen (wie ich) zu den Sitzgourmets.

Scheinangriff auf Bussard

Gegen die kräftigeren Zuckervögel ziehen Kolibris meist den Kürzeren. Aber feig sind die schillernden Luftakrobaten auf keinen Fall. Wir konnten einen Kolibri beobachten, der es mutig mit einem Bussard aufnahm. Mit kühnen Manövern flog der Winzling unablässig Scheinangriffe gegen den Greifvogel, der auf einem Strommasten Ausschau nach Beute hielt. Das Szenario war höchst amüsant. Der Kleine tanzte dem Großen buchstäblich auf der Nase herum. Bis der Bussard schließlich genervt das Feld räumte. Chapeau für so viel Zivilcourage! (Michael Simoner, 20.3.2024)

Kolibri saugt im Schwirrflug Nektar
Dieser kleine Kolibri hat im Gegensatz zu vielen anderen Arten einen geraden Schnabel. (1/2500 Sek., f4, ISO 800, 300 mm, Crop)
Michael Simoner
Kolibri ganz nah
Gibt es etwas Schöneres als einen Purpurkehl-Antillenkolibri? Hier ist deutlich die gespaltene Zunge zu erkennen. (1/4000 Sek., f5, ISO 5000, 300 mm)
Michael Simoner
Kolibri im Schwirrflug
Am Tag gibt es kaum Ruhepausen für Kolibris. In der Nacht verfallen sie in eine energiesparende Starre. (1/2000 Sek., f6.3, ISO 800, 300 mm)
Michael Simoner
Ein Zuckervogel auf einer Bananenblüte
Ein Zuckervogel nascht an einer Bananenblüte. (1/1000 Sek., f4, ISO 500, 300 mm, Crop)
Michael Simoner
Zuckervogel auf Banaenblüte
Wegen seiner gelben Farbe heißt der Zuckervogel auf Englisch Bananaquit. (1/1000 Sek., f4, ISO 500, 300 mm, Crop)
Michael Simoner
Der Zuckervogel vertreibt oft Kolibris. Mich hat er auch streng angeschaut. (1/1000 Sek., f4, ISO 500, 300 mm, Crop)
Michael Simoner
Kolibri auf Bananenblüte
Doch kaum ist der Zuckervogel weg, holt sich wieder der kleine Kolibri den Nektar aus der Bananenblüte. (1/1600 Sek., f4, ISO 140, 300 mm, Crop)
Michael Simoner
Kolibri auf Bananenblüte
Schwirren und futtern. Der Kolibri wird vor allem von roten Blüten angezogen. (1/1600 Sek., f4, ISO 1250, 300 mm, Crop)
Michael Simoner
Kolibri am Futterspender
An der Kolibri-Bar wird Zuckerwasser ausgeschenkt. Cheers! (1/2500 Sek., f5, ISO 5000, 300 mm)
Michael Simoner
Kolibris am Futterspender
An den Futterspendern gibt es oft ein Gerangel. Kolibris haben ein ausgeprägtes Revierverhalten. (1/4000 Sek., f5, ISO 3200, 300 mm)
Michael Simoner
Kolibri attackiert einen Bussard
Klein gegen Groß. Der Kolibri nervte den Bussard so lange, bis dieser das Feld räumte. (1/1000 Sek., f11, ISO 1400, 300 mm + 1,7 Telekonverter am APS-Sensor entspricht Bildwirkung von 765 mm umgerechnet aufs Kleinbildformat, Crop)
Michael Simoner