Frau in Krankenhausbett isst von einem Tablett
Das richtige Essen trägt wesentlich zur Genesung bei – und trotzdem sind gerade im Krankenhaus besonders viele mangelernährte Menschen. Eine Initiative im Wiener Hanusch-Krankenhaus will das ändern.
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"Ich habe gar nicht gewusst, dass es schon Gipse aus Kunststoff gibt!" Die Patientin im Rollstuhl schaut überrascht über die Schulter zum Sanitäter, der sie gerade aus dem Krankenhaus schiebt. Es ist ein sonniger Mittwochvormittag im Hanusch-Krankenhaus im vierzehnten Wiener Gemeindebezirk. Wie der frisch entlassenen Patientin mit neuem Kunststoffgips am Bein geht es wohl vielen: Was sich in einem Krankenhaus so tut, will man erst wissen, wenn man einmal dort rein muss. Und man hofft natürlich, dass es gar nicht so weit kommt.

So ist es auch mit Neuigkeiten aus der Krankenhausküche. Der eilt ihr schlechter Ruf oft schon voraus: Das Essen schmecke fad, werde lieblos angerichtet und sei meist zu wenig. Dabei hat gerade die Ernährung während eines stationären Aufenthalts eine große Auswirkung auf den Heilungsprozess. Expertinnen und Experten bemühen sich deshalb darum, dass Patientinnen und Patienten ernährungstherapeutisch besser begleitet werden. Und langsam tut sich was auf den Stationen.

Jeder vierte Patient mangelernährt

Zweiter Stock, Intensivstation. Drinnen im Hanusch, wie das ehemalige Militärspital von Mitarbeiterinnen und treuen Besuchern auch genannt wird, wartet zunächst nichts zu essen, sondern die beiden leitenden Köpfe des neu gegründeten Ernährungsteams: Diätologin Regina Fertschak und Intensivmediziner Florian Luf.

Ihr Ziel ist es, Mangelernährung bei Patientinnen und Patienten vorzubeugen oder zu therapieren. Immerhin gilt im Schnitt jede vierte im Krankenhaus liegende Person als mangelernährt. Bei Krebspatientinnen und geriatrischen Patienten ist der Anteil noch höher.

Einem mangelernährten Körper fehlen essenzielle Nährstoffe. Mit der Zeit werden auch Organe, Muskeln und Knochen immer schwächer. Das führt gerade bei kranken Menschen zu schweren Folgewirkungen, bis hin zum Tod. Bei Krebspatientinnen und -patienten ist Mangelernährung laut der Deutschen Krebsgesellschaft sogar die zweithäufigste Todesursache.

Doch wie erkennt man Mangelernährung? Abgesehen von bestimmten Krankheiten, die die Wahrscheinlichkeit dafür erhöhen, und dem Alter, gibt es ganz bestimmte Indikatoren: "Das sind zum Beispiel ein hoher Gewichtsverlust in einem kurzen Zeitraum, aber auch Appetitlosigkeit, Kau- oder Schluckbeschwerden", erklärt Diätologin Fertschak. Das Gewicht allein hat dabei kaum Aussagekraft – auch adipöse Personen können mangelernährt sein. "Wenn eine Person mit 100 Kilogramm auf 1,70 Meter innerhalb von drei Monaten durch eine Krankheit zehn Kilogramm verloren hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass essenzielle Nährstoffe fehlen und Muskelmasse abgebaut wurde", sagt Fertschak.

Ein Mann und eine Frau in weißen Kitteln lächeln in die Kamera.
Florian Luf und Regina Fertschak wollen als Ernährungsteam im Hanusch-Krankenhaus Mangelernährung schneller erkennen und vorbeugen.
Simon Kupferschmied

Brei oder Hausmannskost

Um Mangelernährung im Krankenhaus vorzubeugen, ist es wichtig, dass Patientinnen und Patienten ein an ihre Bedürfnisse angepasstes Menü bekommen – so individualisiert das in einer Großküche eben möglich ist. "Wir haben täglich verschiedene Speisen in unterschiedlicher Konsistenz auf dem Plan, um möglichst viele Bedürfnisse abzudecken. Wenn ein Patient zum Beispiel vor kurzem eine neue Zahnprothese bekommen hat, kann er nicht mehr so gut beißen und braucht weiche Nahrung. Auch darauf müssen wir im Krankenhaus Rücksicht nehmen", sagt Fertschak.

Dann kann man zum Beispiel die normale Hausmannskost in cremig-breiiger Form servieren. Das klingt nicht gerade appetitlich, ist aber das, was Patientinnen und Patienten mit Schluckbeschwerden am besten vertragen. Es werden im Krankenhaus aber nicht nur verschiedene Konsistenzen serviert, auch die Inhaltsstoffe unterscheiden sich. "Neben der fleischhaltigen Hausmannskost gibt es etwa auch eine vegetarische und eine vegane Option oder leichte Vollkost", sagt Fertschak.

Dass vielen das Krankenhausessen zu fad schmeckt, hat übrigens einen Grund: Geschmacksgebende Zutaten wie Knoblauch und Zwiebel können blähen. Damit das Essen besser verträglich ist, wird eher wenig damit gewürzt. Aber auch hier gibt es Abstufungen je nach Krankheit und Patient oder Patientin.

Bei bestimmten Krankheiten haben Menschen auch einen erhöhten Eiweißbedarf, zum Beispiel bei Krebs. "Wir reichern die Mahlzeiten in solchen Fällen mit Protein oder Maltodextrin an, für mehr Eiweiß oder allgemein mehr Energie", erklärt Fertschak.

"Carbo-Loading" wie vor dem Sport

Ganz konkret versucht man im Hanusch-Krankenhaus über ein sogenanntes Mangelernährungsscreening die Ernährung vor und nach einer Operation zu verbessern. In einem Pilotprojekt werden Patientinnen und Patienten an der chirurgischen und der urologischen Ambulanz befragt, wie es um ihren Ernährungszustand steht: ob sie in letzter Zeit Gewicht verloren haben, wie es um ihren Appetit steht oder ob Übelkeit ein Thema ist. Hat die Person ein Risiko für Mangelernährung, wird sie bis zur Operation diätologisch betreut.

Das beinhaltet auch eine spezielle Trinknahrung am Vorabend der Operation, die zusätzlich Energie liefert. Am Operationstag selbst gibt es außerdem einen Drink mit leicht verdaulichen Kohlenhydraten – feste Nahrung ist dann ja schon verboten. Das kann man sich ähnlich vorstellen wie das "Carbo-Loading" vor einem sportlichen Wettkampf. "Das sorgt dafür, dass der Körper während und nach einer Operation weniger auf eigene Energiereserven zurückgreifen muss und somit weniger Stress ausgesetzt ist", sagt Intensivmediziner Luf.

Diese Operationsvorbereitung ist auch deshalb wichtig, weil nach einem großen Eingriff der Kohlenhydratstoffwechsel gestört ist. Der Zucker wird nicht so gut in die Zelle weitertransportiert, sie hat zu wenig Energie. Das führt dazu, dass der Körper auf die eigene Substanz zugreift und Muskelmasse abbaut – und zwar recht rasch: "48 Stunden auf der Intensivstation reichen, dass erste Mangelerscheinungen auftreten können", sagt Luf. "Ist der Ernährungszustand vor dem Eingriff schon schlecht, kann man das einfach nicht mehr ausgleichen. Also denken wir größer."

Größer denken bedeutet in diesem Fall, sich mit den Diätologinnen und Diätologen im Haus zusammenzutun. Und bei größeren Operationen eben das Carbo-Loading einzusetzen. Untersuchungen zeigen nämlich, dass diese Kohlenhydratzufuhr vor der Operation die Insulinresistenz danach deutlich verbessert.

Auch internationale Studien zeigen, wie wichtig es ist, genauer auf die Ernährung rund um Operationen zu achten: Ein besserer Ernährungszustand reduziert die Mortalität, die Länge des Intensiv-Aufenthalts sowie die Wund- und Komplikationsrate. Für Intensivmediziner Luf gibt es noch einen anderen Grund: "Immer mehr ältere Patienten benötigen deutlich größere Operationen. Allein deswegen müssen wir das Thema Mangelernährung immer mitdenken."

Mehr biopsychosozial

Intensivmediziner Luf denkt aber noch eine Stufe größer: "Das große Ziel ist ein biopsychosoziales Modell, dass wirklich alle Disziplinen zusammenarbeiten." Dazu gehört auch die Psyche. Gerade beim Thema Essen hat die einen starken Einfluss. Macht man sich etwa vor einer großen Operation Sorgen oder hat Angst, kann einem durchaus die Lust aufs Essen vergehen. Und Luf findet, dass dieser ganzheitliche Ansatz auch die Betreuungsqualität insgesamt besser macht: "Dank der Zusammenarbeit mit den Diätologen und Diätologinnen kann ich meine Patientinnen und Patienten besser betreuen." (Andrea Gutschi, 5.4.2024)