Ende Februar wurde in Linz gegen rechtsextreme Deportationspläne demonstriert. Die Beratungsstelle Zara kritisiert, dass es in Österreich keinen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus gibt.
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Über Monate hinweg wird Frau S. in einem Wiener Gemeindebau von zwei Nachbarinnen rassistisch beschimpft, immer wieder wollen sie ihr verbieten, den Aufzug zu benutzen. Als ihre dreijährige Tochter nach einem Schlüssel in der Hand einer Nachbarin greift, werden S. und ihre Tochter angeschrien, geschubst und mit dem N-Wort beschimpft.

Das ist kein Einzelfall. Rassismus gebe es in jedem Lebensbereich, sagt Désirée Sandanasamy, Rechtsberaterin bei Zara, im Gespräch mit dem STANDARD. Nicht nur im Bereich Wohnen und Nachbarschaft, sondern etwa auch in der Arbeitswelt, dem Bildungsbereich, im öffentlichen Raum oder online. Die Beschwerdestelle für Antirassismus hat am Mittwoch ihren heurigen Rassismusreport publiziert. Sie zählte im Vorjahr 1.302 bei ihr gemeldete Fälle von Rassismus.

Insgesamt sind die Meldungen im Vergleich zu 2022 zurückgegangen: 1.479 Rassismusmeldungen gab es da, 2021 sogar 1.977. Das bedeute Sandanasamy zufolge aber nicht, dass es weniger Rassismus gebe. Die Dunkelziffer, was rassistische Erfahrungen betrifft, sei extrem hoch, das zeigte auch eine Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zu Minderheiten und Diskriminierung. Nur 14 Prozent der Fälle von rassistischer Belästigung und 36 Prozent rassistisch motivierter Gewalt wurden polizeilich oder bei anderen Stellen gemeldet.

Hinzu kommt, dass Zara nicht die Ressourcen hat, um Betroffene umfänglich zu beraten: Der Stelle wurden vor einigen Jahren die Gelder massiv gekürzt. Unter Türkis-Blau stellte der Bund Förderungen für Beratungen in Rassismusfällen bei Zara komplett ein. Anders ist es beim Thema Hass im Netz, wo die Bundesregierung etwa rechtliche Beratung nach wie vor finanziert. Seit der Kürzung unterstützt Zara Betroffene in Sachen Rassismus ausschließlich mit Geldern der Stadt Wien. Von rassistischer Diskriminierung Betroffene müssten lange Wartezeiten in Kauf nehmen, monierte die Stelle in der Vergangenheit immer wieder.

Antimuslimischer Rassismus

Dabei seien die Meldungen etwa zu antimuslimischem Rassismus stark gestiegen, sagt Sandanasamy. Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit in Österreich seien mittlerweile salonfähig geworden, auch von Parteien abseits der FPÖ. Im Rassismus-Report findet sich etwa das Beispiel eines Mittelschülers, der auf Arabisch eine Floskel, die sich mit "Um Gottes Willen" übersetzen lässt, nutzte und dafür fast von der Schule verwiesen wurde. Oder das eines 16-Jährigen, der, weil er Arabisch sprach, auf offener Straße am Nacken gepackt und zu Boden geworfen wurde.

Die Gesellschaft bekommt Musliminnen und Muslime oft in Zusammenhang mit negativen Themen wie Krieg, Terror und Kriminalität vermittelt. "Politik und Medien gestalten gewisse Bilder und Lebensrealitäten für Personen", erklärt Sandanasamy. Diese rassistische Sprache würde sich in den Köpfen von Personen verankern, was gefährlich sei: "Man muss Information nur elfmal präsentiert bekommen, um sie für glaubhaft zu halten." Zara empfiehlt Medien etwa, die Staatsbürgerschaft von Tätern nicht zu nennen, da die Verknüpfung von Straftat und Herkunft keinen Informationswert habe, sondern Vorurteile unterstütze und fördere.

Viele Hürden auf dem Beschwerdeweg

Dem heurigen Report zufolge werde in etwas mehr als einem von zehn gemeldeten Fällen der Rassismus von staatlichen Behörden oder Institutionen ausgeübt. Insgesamt wurden 58-mal Vorfälle rassistischer Polizeigewalt aufgezeichnet, nur in vier Fällen davon wurde formal Beschwerde eingereicht. Warum ist das so? Bei Beschwerden zu rassistischer Polizeigewalt gebe es viele Hürden, sagt Sandanasamy. Die Hemmschwelle sei sehr hoch, weil man sich an die Polizei selbst wenden müsse, um Beschwerde einzureichen. Zudem seien die Fristen mit sechs Wochen relativ kurz. "Und von diesen Instrumenten weiß man eigentlich nur, wenn man Jus studiert hat", kritisiert Sandanasamy.

Ein wichtiger Mechanismus des Gleichbehandlungsgesetzes – von dem viele Betroffene nichts wüssten – sei, dass rassistische Diskriminierung oder Beleidigung nur glaubhaft gemacht werden muss: "Es liegt dann an der Gegenpartei, zu beweisen, dass diese Voreingenommenheit nicht stattgefunden hat." Es gebe rechtliche Möglichkeiten, die öfter genutzt werden sollten. Je öfter diese Mittel eingesetzt werden, desto mehr würden sie sich etablieren. So komme auch an, "dass gewisse Verhaltensweisen einfach illegal sind", sagt die Juristin.

Doch sie selbst hat als Rechtsberaterin immer wieder erlebt, dass bei der Polizei Anzeigen rassistischer Beleidigungen nicht ernst oder gar nicht erst aufgenommen werden, obwohl sie strafrechtlich sehr wohl relevant sind. Immer wieder wüssten Beamte darüber nicht Bescheid, kritisiert Sandanasamy. Hier bräuchte es zusätzliche Sensibilisierung, etwa in Form von Schulungen. Das Gefühl "Es bringt eh nichts" würde Betroffene sonst als gegeben internalisieren, befürchtet Sandanasamy.

Video: Die Black-Lives-Matter-Proteste zeigten, dass Rassismus gegen Schwarze in Österreich ein großes Problem ist.
DER STANDARD

Neue Beschwerdestelle

Die Anfang des Jahres an den Start gegangene Beschwerdestelle zur Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen durch die Polizei bewertet Zara insgesamt als positiv. Zwar gebe es Bedenken bezüglich der Unabhängigkeit – die Stelle ist, wie auch die Polizei, dem Innenministerium unterstellt. Aber das Gremium, in dem auch Zara vertreten ist, sei ein Weg, um die Dunkelziffer in dem Bereich sichtbarer zu machen. Sandanasamy begrüßt außerdem, dass die Stelle auch den Bereich des herabwürdigen Verhaltens umfasst, dass noch nicht strafrechtlich relevant ist.

Zara hat eigentlich auch Empfehlungen für einen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus gegeben: etwa Mechanismen zur leichteren Meldung von Rassismus bei Sicherheitsbehörden, einen besseren Diskriminierungsschutz und Maßnahmen zum Abbau sozioökonomischer Ungleichheit. Doch einen solchen wird es nicht geben, wie Sozialminister Johannes Rauch am Donnerstag bekanntgegeben hat – obwohl er im türkis-grünen Regierungsprogramm vorgesehen war.

Dabei würde man "durch einen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus anerkennen, dass wir in einem rassistisch geprägten System leben", sagt Sandanasamy. "Wir sind alle in einem rassistischen System sozialisiert, und es braucht aktives Handeln, um da rauszukommen. Einfach nur zu sagen, Diversität ist wichtig oder Menschenrechte sind wichtig, reicht nicht aus."

Wichtig zu wissen sei für Betroffene laut Sandanasamy auch, dass man auch einfach zur Beratungsstelle kommen könne, um über Erfahrungen zu sprechen: Rechtliche Schritte würden nur gesetzt, wenn Betroffene explizit zustimmen. "Es macht oft auch einen Unterschied, selbst mit BIPoC-Personen zu sprechen, weil gerade im System Rassismus einem die eigenen rassistischen Erfahrungen oft abgesprochen werden." (Muzayen Al-Youssef, Noura Maan, 21.3.2024)