Das Bild zeigt symbolische Bitcoin-Münzen und -Scheine.
Erst vor kurzem hat Bitcoin einen neuen Rekordwert erreicht. Der Höhenflug dürfte – von kleineren Korrekturen unterbrochen – noch länger andauern.
AFP/OZAN KOSE

Die Bullen sind zurück. In den letzten Monaten hat der Kryptomarkt eine signifikante Aufwärtsbewegung erlebt. Trotz kleinerer Kurskorrekturen wie zuletzt entpuppt sich Bitcoin dabei einmal mehr als maßgeblicher Treiber auf der Jagd nach neuen Rekordkursen. Nach der Genehmigung der Bitcoin-Spot-ETFs und vor dem bevorstehenden Bitcoin-Halving ergibt sich eine Situation, die man in den Zyklen der letzten Jahre schon oft erlebt hat: Der Hype gewinnt dermaßen an Fahrt, dass man sogar schon vom Taxler gefragt wird, in welche Kryptowährung man am besten investieren sollte.

Alles beim Alten also? Oder ist es diesmal doch etwas ganz anderes? Der STANDARD hat sich mit dem Experten Alfred Taudes von der Wirtschaftsuniversität Wien darüber unterhalten, was es mit dem gegenwärtigen Hype um Kryptowährungen im Allgemeinen und Bitcoin im Besonderen auf sich hat. Außerdem verrät der Kryptoökonom, warum die älteste Kryptowährung aus seiner Sicht nicht das Schicksal der klassischen Briefmarke ereilen wird – die Kurse aber trotzdem wieder ordentlich fallen werden.

STANDARD: Der Bitcoin ist wieder in aller Munde, ein Rekord jagte zuletzt den nächsten. Wie lange wird das Ihrer Meinung nach noch so weitergehen?

Taudes: Eine Halving-Rallye dauert in der Regel immer ein paar Monate, es ist durchaus möglich, dass das noch bis Ende 2024 anhält. Der letzte Aufschwung wurde nur durch den FTX-Skandal verkürzt.

STANDARD: Welches neue All-Time-High halten Sie heuer für realistisch?

Taudes: Eine Konsensschätzung unter Experten würde bei 200.000 Dollar liegen, was natürlich unglaublich hoch wäre. Aber den aktuellen Kurs hätte man vor ein paar Jahren auch für unglaublich gehalten.

Ich glaube jedenfalls, dass es noch eine Weile nach oben gehen wird, bevor die unvermeidliche Gegenbewegung kommt. Gerade weil viele Retail-Investoren erst jetzt wieder aufmerksam werden. Die Spezialisten haben natürlich zu einem Kurs aufgebaut, als der Bitcoin noch bei 20.000 Dollar lag – die werden jetzt langsam vorsichtig und kaufen eher Altcoins. Den richtigen Zeitpunkt erwischt man ohnehin nie.

STANDARD: Es gibt Analysten, die sagen, dass der Bitcoin-Kurs irgendwann eine Million Euro übersteigen wird. Muss man sich in diesem Fall nicht eher Sorgen machen, wie der Rest der Welt wirtschaftlich aussehen muss, damit ein solches Szenario eintritt?

Taudes: Nein, denn der tatsächliche Einfluss auf die Realwirtschaft ist nicht so groß. Bitcoin wird einfach nach und nach als digitales Gold akzeptiert. Auch die vergangenen Crashs haben die Realwirtschaft nie beeinträchtigt, weil es keinen Einfluss auf die Banken hat. Es gibt eine neue Klasse von Reichen, die rechtzeitig Bitcoins gekauft und gehalten haben – solche Umschichtungen hat es in der Geschichte auch ohne Kryptowährungen immer wieder gegeben.

Tatsächlich darf außerdem nicht vergessen werden, dass Bitcoin nach wie vor vergleichsweise klein ist – allein die Marktkapitalisierung von Alphabet, der Muttergesellschaft von Google, ist beispielsweise höher als die der Kryptowährung. Und erst kürzlich wurde die Marktkapitalisierung von Silber übertroffen. Aber auch der globale Anleihenmarkt ist noch bei weitem größer.

STANDARD: Weil Sie digitales Gold angesprochen haben: Das begrenzte Angebot an Bitcoin wird von den Befürwortern gerne als Argument dafür angeführt, dass der Preis langfristig immer weiter steigen wird. Aber sollte in einem gut funktionierenden Markt nicht alles, was man über ein Produkt weiß, bereits im Preis enthalten sein?

Taudes: Es gibt ja die Markteffizienzhypothese von Fama, die unter anderem besagt, dass alle bekannten Informationen im aktuellen Preis enthalten sind. Bezogen auf Bitcoin ist das bevorstehende Halving auch nichts Unsicheres, es ist im Protokoll enthalten. Das heißt, es müsste längst eingepreist sein. Insofern ist die Frage vollkommen berechtigt.

Ich glaube, die Kursrallye hat eher damit zu tun, dass mit jedem Kursanstieg immer neue Käuferschichten dieses Asset entdecken. Durch die Bitcoin-ETFs in den Musterportfolios werden jetzt eben auch klassische Bankkunden auf Bitcoin aufmerksam, die vorher vielleicht noch Berührungsängste hatten. Und es noch haben, aber nur indirekt beteiligt sind.

STANDARD: Könnte man sagen, dass die Bewertung von Bitcoin ausschließlich auf das reduziert wird, was Befürworter einem einreden, was es wert sein soll? Und der Bitcoin "nur" deshalb steigt, weil jetzt auch große Institutionen in diesen Kanon einstimmen?

Taudes: Dividenden gibt es bei Bitcoin natürlich nicht, genauso wenig wie bei Gold. Aber es gibt auch keine industrielle Nutzung, Bitcoin ist einfach ein reines Wertaufbewahrungsmittel und hat damit schon eine Funktion. Der Vorteil gegenüber Gold ist, dass es rein digital ist und das Angebot genau bekannt ist. Es ist sogar viel kleiner als die maximal erreichbaren 21 Millionen Bitcoins, weil viele Bitcoins durch Unachtsamkeit der Besitzer mittlerweile unwiederbringlich verloren gegangen sind.

Es ist einfach eine neue Anlageklasse. Das Angebot nützt natürlich nichts, wenn es keine Nachfrage gibt. Klassische Briefmarken sind bekanntlich auch begrenzt verfügbar, um ein anderes Beispiel zu nennen, aber irgendwie ist ihnen der Nachwuchs ausgegangen – und wenn keiner mehr nachfragt, ist das für den Wert nicht gut. (lacht)

STANDARD: Könnte das eines Tages auch Bitcoin passieren?

Taudes: Offensichtlich gibt es ein Bedürfnis nach einem Wertaufbewahrungsmittel wie Bitcoin, das nicht von Institutionen abhängt und digital ist – das ist ja das Kernversprechen. Das macht Bitcoin in seiner Systematik derzeit auch einzigartig, denn andere Kryptowährungen sind für andere Zwecke gedacht.

Natürlich hat es immer wieder Versuche gegeben, Konkurrenzprodukte zu etablieren. Die sind aber bisher gescheitert, weil Bitcoin wie Gold auch eine Glaubensfrage ist. Gold ist eine ähnliche Übereinkunft zwischen Menschen, weil es als physisches Gut die Eigenschaften eines begehrten Wertspeichers hat. Die Erfindung Bitcoin klingt heute bestechend einfach, ist aber eine beachtliche Leistung von Satoshi Nakamoto. Damit Bitcoin das Schicksal der Briefmarke ereilt, müsste die Kryptowährung in besserer Form ersetzt werden – und ich sehe nicht, wie das gehen soll.

STANDARD: Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, waren Bitcoin-Spot-ETFs noch Zukunftsmusik. Begrüßen Sie die Entwicklung, dass sie nun zugelassen wurden? Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Taudes: Wer auch immer hinter Satoshi Nakamoto steckt, dürfte keine Freude damit haben. Bitcoin war als System ohne Banken gedacht, und jetzt haben die größten Vermögensverwalter der Welt ihre Finger im Spiel. Es ist aber auch der Schritt in die Massenverbreitung schlechthin, vor allem mit dem bevorstehenden Halving. Auf der einen Seite werden Wachstum und Angebot begrenzt, auf der anderen Seite entsteht eine neue Nachfrage. Es ist daher nur logisch, dass der Preis von Bitcoin in die Höhe schnellt.

Durch die ETFs wird es für Regierungen auch viel schwieriger, Bitcoin zu bekämpfen oder gar zu verbieten, was den Preis in der Vergangenheit immer gebremst hat. Ich glaube nicht, dass sich zum Beispiel ein Trump oder Biden mit Blackrock anlegen will. Und mittlerweile beginnen nicht nur Banken bei uns, neue Bitcoin-Produkte anzubieten, sondern es werden auch ETFs für andere Kryptowährungen beantragt.

STANDARD: Aber ist es, mit Verlaub, nicht idiotisch, dass gerade jene "gierigen" Banken und Finanzinstitute, die man im Grundgedanken von der Kryptowährung ausschließen wollte, nun erst wieder bei Bitcoin mitmischen?

Taudes: Das stimmt, aber das gilt auch für die zentralisierten Kryptobörsen wie Bitpanda oder Binance. Man darf auch nicht vergessen, dass diese Institutionen bereits eine Dienstleistung anbieten, nämlich die Verwaltung der Kunden-Wallets. Wie bereits erwähnt, sind schon viele Bitcoins verloren gegangen, weil offensichtlich nicht jeder in der Lage ist, Kryptowährungen sicher aufzubewahren. Jetzt könnte man natürlich behaupten, dass die Dienstleistungen überteuert sind, aber ich denke, dass das ein ordentlicher Wettbewerb regelt. Die Finanzdienstleister haben eine Daseinsberechtigung, weil Kundinnen und Kunden in der Regel schon einem Job nachgehen und sich nicht auch noch vollständig um eine finanzielle Vorsorge kümmern können oder wollen – nur, im Alter braucht man es dann eben.

Ohne Banken funktioniert auch die Versorgung der Realwirtschaft mit Krediten nicht, und wenn es Wettbewerb gibt, sehe ich da kein Problem. Abgesehen davon hindert mich im konkreten Fall die Entwicklung der Bitcoin-ETFs nicht daran, weiterhin Bitcoins auf meiner eigenen Hardware-Wallet zu halten. Wenn man ein Hardcore-Bitcoin-Maxi ist und Banken für das Letzte auf der Welt hält, ist man im ersten Moment vielleicht ein bisschen sauer. Aber wenn diese Leute auf ihr Wallet schauen, sollte dieser Ärger schnell verflogen sein. Für viele Kleinanleger ist der neue Weg einfach bequemer, und das verstehe ich auch.

STANDARD: Wenn man sich die Zyklen von Kryptowährungen anschaut, folgt auf einen Bitcoin-Boost wie diesen immer eine Altcoin-Saison. Sind wir schon mittendrin, oder hat sie gerade erst begonnen?

Taudes: Der Kurs einiger Kryptowährungen ist bereits deutlich gestiegen. AI-Tokens sind derzeit sehr beliebt, aber natürlich steigen auch Altcoins, die noch nicht tot sind und ein Anwendungsszenario behalten haben. Man darf auch nicht vergessen, dass sich technologisch wieder sehr viel getan hat. In einem Bärenmarkt hört man nicht viel von Krypto, weil die Kurse niedrig sind, aber es wird viel entwickelt. Die Altcoin-Saison hat mittlerweile durchaus schon begonnen.

STANDARD: Würden Sie sagen, dass diesmal mit der Kombination aus stabilisierenden ETFs und dem bevorstehenden Halving alles anders ist, oder gehört die nächste große Ernüchterung wieder dazu?

Taudes: Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Preise wieder um 30 bis 40 Prozent fallen werden. Das passiert einfach, weil Leute Optionen kaufen und Bitcoin-Wale das gerne ausnutzen, um die Kurse zu manipulieren und wieder billig einsteigen zu können. Man muss also im Vergleich zu anderen Assets immer noch mit relativ starken Schwankungen rechnen.

Auf der anderen Seite muss man aber auch betonen, dass der Markt mittlerweile deutlich besser aufgestellt und reifer geworden ist. In der Bitcoin-Community gibt es einen Spruch, den man sich dabei durchaus vor Augen führen kann: "Stay humble, stack sats" ("Bleib bescheiden und staple Sats". Mit "Sats" sind sogenannte Satoshis gemeint, die jeweils einem Hundertmillionstel eines Bitcoin entsprechen, Anm.). (Benjamin Brandtner, 22.3.2024)