Das Massaker im ukrainischen Butscha fand im Frühjahr 2022 während der Schlacht um Kiew statt. 419 Personen wurden ermordet. Ernsthafte Zweifel daran, dass russische Einheiten für die Massaker an Ukrainern verantwortlich sind, gibt es nicht. Die Morde und die Folter sind beklemmend exakt dokumentiert. Der Schweizer Historiker Daniele Ganser hat sich dazu "eine Notiz gemacht" und auf der steht auch Beklemmendes. Ganser sagt, ohne rot zu werden: "Butscha ist vermutlich eine Fehlinformation."

Äußerungen zu Butscha nur für exklusives Publikum

Das Video mit den irritierenden Aussagen ist nur für einen kleinen Kreis von Verehrern Gansers gedacht. Ganser hat es in der exklusiven "Daniele Ganser Community" veröffentlicht. Wer umgerechnet rund 270 Euro im Jahr locker macht, erhält dort Zugang zu exklusiven Inhalten und darf dem Meister hie und da auch Fragen stellen. Der Schweizer Sozialwissenschafter Michael Kovic hat sich als Mäuschen in dieser Gruppe umgesehen und Gansers Unsäglichkeiten veröffentlicht.

Ganser erklärt in seinem Community-Video auch, warum "Butscha vermutlich eine Fehlinformation" sei. Er hat sich nämlich nicht nur im Schweizer Rundfunk und im Spiegel schlau gemacht. Dort las Ganser: "Das waren sicher die Russen". Im "Anti-Spiegel" indes konnte Ganser lesen: "Das waren nicht die Russen, das waren die Ukrainer selber". Und auch bei "RT Deutschland" ("Russia Today") machte sich Ganser schlau und – quelle surprise –auch dort hieß es: "Es waren nicht die Russen." Der Historiker Ganser fügt dann noch hinzu, dass er "verschiedene Erzählungen habe, die sich widersprechen" und um die Wahrheit herauszufinden, greife er, der Historiker, auf die Argumente zurück, die ihn am meisten überzeugen. Ganser konkretisiert: "Das Argument bei Butscha war, dass dort ein Bürgermeister gesagt hat, wir haben die Russen vertrieben, und er sagt nichts über das Massaker." Die "Geschichte mit dem Massaker", die wäre erst später gekommen, sagt Ganser, der solche Erzählungen "auf eine Zeitachse legt", damit alles seine Richtigkeit hat.

Ganser weiß, was er bewirbt

Ganser kennt die seriösen Dokumentationen zum Massaker von Butscha. Aber er zitiert für seine Freunde und Fans den "Anti-Spiegel" und "RT Deutschland" (Russa Today). Letzteres ist das Flaggschiff der russischen Auslandspropaganda und gibt für eine ganze Armada rechtsextremer Portale, Verschwörungsplauderer und Influencer die Narrative vor, zum Beispiel: Die Demokratien des Westens seien nur noch dysfunktionale Relikte, oder in konkreten Fall der Ukraine: Der Angriff Russlands sei eine "alter­na­tiv­lose Reak­tion Russ­lands auf eine Pro­vo­ka­tion der Nato."

Der "Anti-Spiegel" ist im Gegensatz zum solid aufgestellten Unternehmen "RT Deutschland" nur ein rechter, russlandfaszinierter Ein-Mann-Blog, der von St. Petersburg aus vom deutschen Staatsbürger Thomas Röper betrieben wird. Der wackere Aktivist legt viel Wert auf die Gastfreundschaft, die einem freien Journalisten wie ihm gewährt wird und lässt kein schlechtes Licht auf das Land und seinen Führer Putin fallen. Das Massaker von Butscha bezeichnet Röper als "angebliches Kriegsverbrechen". Zuletzt war Röper als selbsternannter Wahlbeobachter in Russland und inszenierte sich als Kenner der russischen Seele: "In Saporoschie, wo ich Wahlbeobachter war, war die Stimmung noch deutlicher. Nur ein einziger Wähler hat mir gegenüber angegeben, dass er nicht für Putin stimmen würde. Die allermeisten sagten bei der Stimmabgabe, dass sie zur Wahl gingen, um 'unseren Präsidenten' zu unterstützen."

Ganser bedient mit kühlem Kopf Fans und Förderer

Zurück zu Ganser: Er weiß, dass seine locker gestreuten Plaudereien zum Massaker in Butscha ("Das waren die Ukrainer selber") ein alter Hut sind und diese Erzählung längst und ausreichend debunkt wurde. Er lässt sich gerne als "Friedensforscher" bezeichnen und er weiß, dass der "Anti-Spiegel" und "RT Deutschland" für das Analysieren der Zeitläufe in der Ukraine nicht glaubwürdig sind.

Daniele Ganser bei einem seiner Vorträge.
Daniele Ganser bei einem seiner Vorträge.
IMAGO/Panama Pictures

Was Ganser vor allem weiß: Was die Leute von ihm hören wollen und wer ihn featurt. Rechte Milieuportale und rechtsextreme Szenemedien hofieren Ganser. Sie interviewen ihn stundenlang, ohne kritische Zwischenfragen zu stellen. Ganser revanchiert sich, indem er bei seinen kühnen Expertisen zum Zeitgeschehen auf dubiose Propagandablogs und rechte Verschwörungsportale verweist. Ganser referiert beim Szeneportal Auf1 zum "gewalttätigen Putsch der Amerikaner" in der Ukraine. Das Portal upgradet Ganser im Gegenzug zu einem "renommiertesten" Historiker. Dann teilt Ganser das Interview in seinen sozialen Netzwerken, als hätte er mit einem renommierten Medium geplaudert.

Gansers Methode: "Desinfotainment"

Es gibt kaum einen Schrat, der Ganser nicht in das Konzept passt. Er ist zu Gast im Youtube-Kanal von "Leon Lovelock" und plaudert dort über "Weltpolitik und Meditation". Lovelock ist ein recht proper trainierter Bursche, der gerne zeigt, dass er oft in der Muckibude ist. Für den Talk mit Ganser hat sich "Lovelock" ein Hemd angezogen, ansonsten interviewt Herr Lovelock seine Gäste gerne mit nacktem Oberkörper. Auch Kooperationen mit derlei Charakteren gehören zu Gansers Geschäftsmodell, und das Geschäft brummt. Er füllt Hallen und kann auf eine treue Anhängerschaft vertrauen. Ganser ist eloquent und wirkt auf der Bühne smart. Das unterscheidet ihn von vielen eher ungelenken Akteuren der Verschwörungsplauderszene. Seine Vorträge sind Shows zum Zeitgeschehen, das Publikum hält er mit geschickt platzierten Fragen und nicht allzu viel Tiefgang bei Laune. Mit Zeitgeschichte und Forschung haben die Auftritte kaum zu tun, für Gansers Methode, wirre Inhalte charmant und unterhaltsam zu präsentieren kann man das Wort "Desinfotainment" kreieren.

Probleme für Kommunen, die Ganser ausladen

Nicht überall ist Ganser willkommen. In Innsbruck und Steyr wurde Ganser vor mehr als einem Jahr ausgeladen, nachdem Details zu dessen schlecht getünchten, prorussischen Erzählungen bekannt wurden. In Steyr klagte ein Veranstalter der Ganser-Shows die Stadt deswegen auf Schadenersatz: Peter Schutte. Vor zwei Jahren wollte Schutte noch Bundespräsident werden, scheiterte aber an den nötigen Unterstützungserklärungen. Den Ausgang der Wahl nennt er auf seiner Webseite Betrug. In dem Zivilprozess gegen die Stadt Steyr bekam Schutte in erster Instanz Recht. Der Richter argumentierte, eine Ausladung und Stornierung wäre nur dann rechtzufertigen gewesen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zu befürchten gewesen wäre. Die Gefährdung von Fakten und wissenschaftlicher Redlichkeit wurde bei Gericht offenkundig nicht verhandelt. Die Stadt hat gegen den Spruch Berufung eingelegt. Der zuständigen Stadträtin Katrin Auer, selbst eine Historikerin, geht es dabei auch ums Prinzip: "Die Meinungsfreiheit ist das höchste Gut in einer Demokratie. Eine populistische Verdrehung von Fakten ist aber bedenklich und irgendwo muss man Grenzen ziehen als Verantwortliche." Unmittelbar nach der Absage im Dezember 2022 wurde Auer von Anhängern Gansers mit Protestschreiben bombardiert.

Weltfriede-Vortrag und Achtsamkeitsseminar

In Freistadt machen sich zivilgesellschaftliche Gruppen gegen eine für 14. April geplante Show Gansers in der Messehalle stark. Als der Lokaljournalist Roland Wolf darüber berichtete und ein paar Highlights von Gansers Behauptungen thematisierte, beschieden ihm aufgebrachte Fans Gansers per Leserbrief unter anderem, "dass er ein abgrundtief dummer und ungebildeter Mensch" sei. Der Vortrag in Freistadt hat den Titel "Weltfriede". Wer einen Tag vorher Zeit und 198 Euro übrig hat, bucht Gansers Ganztageseminar "Achtsamkeit". Ganser will im Workshop zeigen, wie man die innere Balance trotz äußerem Druck und Diffamierungen wahren könne. Denen wäre der Achtsamkeitstrainer nämlich ausgesetzt, "weil er in seinen Vorträgen weiterhin Kriegslügen aufdeckt". Leider findet das Achtsamkeitsseminar in Steinbach am Attersee statt und nicht in Butscha bei Kiew. (Christian Kreil, 25.3.2024)