Wer schnell hilft, hilft doppelt, sagt der Volksmund. Umgemünzt auf den Ukrainekrieg heißt das aber: Wer sich mit Waffenlieferungen so viel Zeit lässt wie der Westen – aktuell vor allem Europa –, der hilft Russland.

Die salbungsvollen Worte der EU-Oberen auf dem jüngsten Gipfel in Brüssel über die "solide und robuste" Hilfe und "gemeinsame Werte" können nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele in Europa den Ernst der Lage noch immer nicht erkannt haben. Oder nicht erkennen wollen: Ein Sieg von Wladimir Putins Truppen auf dem Schlachtfeld wird nämlich von Tag zu Tag realistischer. Mit allen Folgen für das ukrainische Volk, für Länder wie Moldau, Georgien, das Baltikum – und für die internationale Ordnung.

Soldat in einem Bunker.
Der Ukraine fehlen an der 1.200 Kilometer langen Front vielerorts Befestigungsanlagen, um sich vor russischen Angriffen zu schützen.
AP/Efrem Lukatsky

Kein Wunder, dass ein sichtlich frustrierter Wolodymyr Selenskyj seinen Ton gegenüber den EU-Spitzen zuletzt verschärft hat. "Beschämend" nannte der ukrainische Präsident den Eiertanz um weitere Hilfen für das angegriffene Land am Donnerstag. Zu Recht. Das Brüsseler Versprechen, die Zinsen auf eingefrorene Gelder der russischen Zentralbank ab Juli in Waffenkäufe zu investieren, ist zu wenig. Die Ukraine braucht die Waffen – Munition vor allem, aber auch Flugabwehr – heute und nicht erst in ein paar Monaten. Dann könnte es zu spät sein.

Für die Ukraine geht es schließlich ums nackte Überleben – nicht nur als Staat, sondern auch als Volk. Davon, was Ukrainerinnen und Ukrainern dort blüht, wo Moskaus Truppen hausen, zeugen Berichte aus Butscha und Mariupol. Und auch Kiews erschöpfte Soldaten an der Front brauchen die Granaten, um von der überlegenen russischen Artillerie nicht vollends aufgerieben zu werden. Längst lautet die Devise nicht mehr Rückeroberung, sondern Ausharren. Gelingt es ihnen, die Front so lange zu halten, bis vielleicht doch noch Nachschub aus den USA kommt, wäre das schon ein großer Erfolg. Dass das reiche Europa sie dabei nicht mit voller Kraft unterstützt, ist tatsächlich eine Schande.

Putin geht aufs Ganze

Auf der anderen Seite geht Russlands Machthaber Putin längst aufs Ganze. Und macht auch keinen Hehl daraus, dass er die aktuelle Schwäche des Westens – der USA vor allem, aber auch Europas – nur zu gern nützen will, um die Ukraine endgültig zu unterwerfen. Ob er es dabei belassen würde, ist unklar: Erst am Freitag ließ er verlauten, sein Land befinde sich im Krieg mit dem gesamten Westen.

Kein Wunder, dass sich Putin dem Sieg nahe wähnt. Warum sollte er ausgerechnet jetzt über einen Waffenstillstand verhandeln, wo doch der Ukraine augenscheinlich die Luft ausgeht, sagte er kürzlich. War es seinen Truppen einst gelungen, die ukrainische Gegenoffensive erfolgreich zu vereiteln, weil der Westen Kiew viel zu langsam die versprochene Ausrüstung lieferte, so setzt der Kreml auch heute auf das Zögern und Zaudern des Westens, die Ukraine in ihrer Defensive zu unterstützen.

So rückt zwei Jahre nach Beginn des russischen Überfalls ein baldiges Ende des Krieges in der Ukraine näher. Nur dass diesem nicht etwa der von den Menschen in der Ukraine ersehnte Frieden folgen dürfte, wenn Russland gewinnt, sondern Grabesstille. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, das Schlimmste zu verhindern. (Florian Niederndorfer, 22.3.2024)