Ahhhh! Da erschrickt der Ameisenforscher Paul (Nicolas Cage) gerade vor sich selbst. Sieht er sich etwa in seinem eigenen Traum?
Ah! Da erschrickt der Ameisenforscher Paul (Nicolas Cage) gerade vor sich selbst. Sieht er sich etwa in seinem eigenen Traum?
AP

Der amerikanische College-Lehrer Paul Matthews sieht nicht gerade aus wie ein Traummann. Mit seiner Mönchsglatze, seiner Herumnestel-Brille, dem ewigen Parka und Allwetterschuhen würde er in der Schlange eines Supermarkts in einer sonnenfernen Gegend niemandem auffallen. Die jungen Menschen, die bei ihm studieren, lassen seine Vorlesungen über sich ergehen. Von Charisma kann keine Rede sein, eher von einer unterschwellig aggressiven Besserwisserei.

Traummann und Ameisenforscher

Paul ist Evolutionsbiologe, ein wenig polemisch könnte man auch sagen: Er ist Ameisenforscher. Zu den Abendessen, die ein glamouröserer Kollege immer wieder gibt, werden Paul und seine Frau hartnäckig nicht eingeladen. Man kennt diese Rituale aus Romanen von Philip Roth oder John Updike. Aber in dem Film Dream Scenario von Kristoffer Borgli geht es nicht nur um Sozialneid und professoralen Ehrgeiz. Denn Paul Matthews, dieser prototypische weiße Biedermann, erweist sich überraschend tatsächlich als Traummann. Und zwar im buchstäblichsten Sinn. Er taucht in Träumen auf. Zuerst einmal einfach nur als Statist. Paul steht in der Gegend herum, während etwas Außergewöhnliches geschieht. Bald spricht sich das Phänomen herum. Mehrere Menschen haben Paul im Traum gesehen. Und dann schon sehr viele. Innerhalb kurzer Zeit ist Paul ein nationales Phänomen.

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Grenzgang zur Witzfigur

Es hat eine brillante Logik, dass die Rolle dieses unverhofften Stars von Nicolas Cage gespielt wird. Denn Träume zeigen nun einmal oft etwas, was man im Wachzustand übersehen könnte. Und im Wachzustand kennt man Cage, auch wenn er Anfang dieses Jahres die 60 überschritten hat, als einen, der die Blicke auf sich zieht: ein Publikumsmagnet, in der Sprache des Kinos. Wer erinnert sich noch an seine Rolle in Face/Off (Im Körper des Feindes, 1995) von John Woo? Das war Actionkino im größten Format, und Cage brachte die Strahlkraft mit, die es dafür braucht.

Allerdings war auch damals schon etwas an ihm, das eine Karriere in der obersten Schublade verhinderte. Ein latenter Unernst, ein Grenzgang zur Komik, eine Parodierbarkeit, über die sich das damals gerade ausbrechende Internet auch schnell hermachte. Tom Cruise ist im Grunde genau so lächerlich, wenn man seine Figuren schief anschaut, aber er landete bei Mission: Impossible. Cage hingegen bei National Treasure (Das Vermächtnis der Tempelritter), einer Reihe, mit der er immerhin prächtig verdiente.

Erlesene "Weirdo-Laufbahn"

In Dream Scenario spielt er nun eine Figur, mit der er sich wieder einmal selbst in die Mangel nimmt. Paul Matthews müsste eigentlich vor Ressentiment bersten, so sehr führt ihn das Leben an der Nase herum. Aber er hat sich eine Arglosigkeit bewahrt, mit der er in den Ökonomien der Aufmerksamkeit nur umkommen kann. Kristoffer Borgli war davor nur durch den norwegischen Film Sick of Myself aufgefallen, mit dem er sich dem US-Kultstudio A24 empfahl. In Dream Scenario spielt er nun mit brillantem Sarkasmus durch, was es heißt, wenn ein reiner Tor viral geht. Offensichtlich steckt da eine Parodie auf Logiken der sozialen Netzwerke drin, aber es ist eben auch ein sehr gelungenes Experiment mit einem Star-Image.

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Nicolas Cage hat es sich im Blockbuster-Fach nie gemütlich gemacht. 2009 ließ er sich von Werner Herzog erstmals zweckentfremden: In dem merkwürdigen Remake von Bad Lieutenant spielt er einen Cop auf Schmerzmitteln. Das passte gut zu der Spannung, die man von Cage immer schon kannte: zwischen Overacting und gar nicht Spielen, zwischen einfach die Visage hinhalten und übertrieben aufdrehen. Seither hat er seine Karriere mit einigen Pretiosen gesprenkelt, beinahe könnte man sagen: Er hat nebenbei eine erlesene Weirdo-Laufbahn kultiviert. Zum Beispiel in Mandy (2018) von Panos Cosmatos, einem ziemlich durchgeknallten Natur-Mystery-Schocker. Und zuletzt nahm er sich in Massive Talent schon heftig selbst aufs Korn – in die Komödie von Tom Gormican waren die vieles Memes, das ganze Fan-Phänomen, die ironische oder auch höhnische Verkultung seiner Starpersönlichkeit schon eingepreist.

Abschied vom Mythos

Mit Dream Scenario bekam er nun ein Drehbuch auf den Tisch, das man als Abschied von einem amerikanischen Mythos lesen kann. Denn Paul ist eben nicht der Mann von nebenan, der als Held entdeckt wird und sich dann bewährt. Er versagt an der Popularität. Seine Frau hat – großartige Pointe – eine erotische Fantasie von ihm: Sie sähe ihn gern als den Mann in einem (über)großen Anzug, den David Byrne mit den Talking Heads auf die Bühne brachte. The Big Suit – für den Traummann Paul Matthews ist jeder Anzug mehr als nur ein paar Nummern zu groß. Das ist hart, wird von Nicolas Cage aber härter gespielt. Und damit groß. (Bert Rebhandl, 24.3.2024)