Am Wien-Fluss gönnt sich Grünen-Chef Kogler ein paar Züge Frühlingsluft. Die Umfragedaten der Regierung sehen hingegen eher nach Herbstdepression aus.
Helena Lea Manhartsberger

Das Fotoshooting mit Werner Kogler findet nach prominentem Vorbild statt: Am Zollamtssteg über dem Wienfluss traten vor 30 Jahren auch schon die Schauspieler Ethan Hawke und July Delpy vor die Kameras. Bis heute klappern Touristen diesen und andere Schauplätze des von Richard Linklater gedrehten Erfolgsfilms Before Sunrise ab.

Das gilt allerdings auch für das architektonisch eigenwillige Amtsgebäude an der nahegelegenen Radetzkystraße, in das der Vizekanzler und Grünen-Chef zum anschließenden Interview bittet. Eine Sightseeing-Tour mit dem unkonventionellen Titel "Vienna ugly", weiß Kogler, führe unter anderem zu seinem Arbeitsplatz.

STANDARD: Laut ATV-Umfrage würden mehr Menschen Dominik Wlazny zum Kanzler wählen als Werner Kogler. Dabei hat der Bierpartei-Chef, während Sie sich seit vier Jahren in der Regierung abmühen, nicht einmal ein echtes Programm. Empfinden Sie Politik manchmal als ungerecht?

Kogler: Wäre es nach den Umfragen ein halbes Jahr vor der Wahl 2019 gegangen, wären die Grünen nie in den Nationalrat zurückgekehrt. Ungerecht ist, was die Rechtsextremen mit diesem Land vorhaben – da wird das Match noch zu führen sein, gemeinsam mit den konstruktiven Kräften. Der Wahlkampf beginnt im Sommer. Jetzt wird erst einmal weitergehackelt.

STANDARD: Beim letzten Interview meinten Sie, wenn die Regierung liefere, werde das Vertrauen wachsen. Diese Hoffnung hat sich nicht bewahrheitet. Haben Sie nicht geliefert?

Kogler: In ganz Westeuropa erleben wir eine ähnliche Entwicklung: In Zeiten so vieler Krisen – Corona, Krieg in Europa und die daraus resultierende Teuerung – haben alle Regierenden einen schweren Stand. In solchen Zeiten verfangen die einfachen Parolen jener, die keine Lösungen für die Probleme haben.

STANDARD: Auf den Ukrainekrieg haben Sie wenig Einfluss, auf die Inflationsrate schon mehr. Diese ist in Österreich so hoch wie in kaum einem anderen Land. Müssen Sie sich nicht eingestehen: Die Regierung hätte früher und stärker direkt in die Preise eingreifen müssen?

Kogler: Wir haben tatsächlich nur in bestimmte Preise eingegriffen, dafür aber auf massive, finanzielle Unterstützung gesetzt. Am Ende zählt, was sich die Menschen leisten können, und da drehen sich die EU-Rankings um: Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern blieb die Kaufkraft bei uns im Wesentlichen stabil oder ist sogar gestiegen.

STANDARD: Für 2023 gilt das nicht. Im Vergleich zum Jahr davor sind die verfügbaren Einkommen pro Kopf gesunken.

Kogler: Trotzdem lagen sie immer noch höher als im Vorkrisenjahr 2019. Das gilt besonders auch für Menschen, die eh schon weniger Einkommen haben.

Werner Kogler im Interview
Will sich nicht nachsagen lassen, zu wenig gegen die Preisexplosion getan zu haben: Bei der Kaufkraft drehten sich die Rankings zugunsten Österreichs um, argumentiert Kogler.
Helena Lea Manhartsberger

STANDARD: Schuldenberater sprechen aber von Rekordandrang. Übertreiben die?

Kogler: Nein, da stehen Schicksale dahinter: Manche spüren die Inflation wegen ihrer besonderen Lebenssituation noch stärker als der Durchschnitt. Deshalb haben wir genau für diese Menschen Hilfen losgeeist. Denken wir nur an den Wohnschirm als Schutz gegen Delogierung oder die Energiekostenzuschüsse.

STANDARD: Trotzdem empfinden offenbar viele Menschen die Wohnkosten als Riesenlast. Warum ringt sich die Regierung nicht zur Ausdehnung des Mietpreisdeckels durch?

Kogler: Wir Grüne haben erkämpft, dass es überhaupt einen Mietdeckel gibt — gegen den Widerstand der ÖVP. Was damit erreicht wurde, wird völlig unterschätzt. Mieterinnen und Mieter in gemeinnützigen Wohnungen hätten heuer eine Erhöhung um 15 Prozent zu erwarten, so werden es nur maximal fünf sein. Wir arbeiten aber weiter daran, damit noch mehr Mieterinnen und Mieter von einem Deckel profitieren können, etwa jene mit freien Mietverträgen. Das ist juristisch nicht einfach, aber da geben wir nicht auf.

STANDARD: Was wollen Sie auf den letzten Metern in der Koalition noch durchbringen?

Kogler: Wir haben viel aufgegleist, müssen die Züge aber noch aus dem Bahnhof bringen. Die Regierung hat riesige Pakete zur ökologischen Transformation der Industrie aufgesetzt. Da bewegt sich Sensationelles, und das wird auch von den heimischen Unternehmen geschätzt. Es ist in Reichweite, dass hierzulande in zehn Jahren Stahl dank grüner Wasserstoffenergie ohne jeglichen CO2-Ausstoß produziert wird. Doch das ist kein Selbstläufer, da musst du ständig dahinter sein. Die Ergebnisse bestärken uns. In den letzten beiden Jahren sind die Emissionen an Treibhausgasen in einem Ausmaß gesunken, wie nicht einmal wir es erwartet haben.

STANDARD: Die Koalition ist bei wichtigen Ökofragen doch über Kreuz. Die ÖVP hat sich gerade vom einstigen Ziel verabschiedet, den Bodenverbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag zu drosseln.

Kogler: Das nehmen wir nicht hin. Setzt sich die Bodenversiegelung in dem Tempo fort, geht nicht nur unsere schöne Natur verloren – wir würden in wenigen Generationen auch kein Gemüse oder Getreide mehr anbauen können. Vom Asphalt kann man nicht abbeißen! Eine ehrliches und verbindliches Ziel wünschen sich viele Österreicherinnen und Österreicher, wir Grünen setzen uns dafür ein. 2,5 Hektar sind ohnehin noch viel, das sind vier Fußballfelder. In erster Linie müssen die dafür zuständigen Landeshauptleute, und hier auch jene der SPÖ, verstehen, was eine Mehrheit will: nämlich wirtschaftliche Entwicklung, sozialen Wohnbau und Bodenschutz unter einen Hut zu bringen, statt den Kopf weiter in den Beton zu stecken.

STANDARD: Noch ein Thema, das bewegt: Vergewaltigungen, Messerattacken und andere Verbrechen Jugendlicher sorgen für Schlagzeilen. Migranten sind unter den Tätern überrepräsentiert. Haben die Grünen eine Antwort darauf?

Kogler: Ja, es gibt ein Problem. Ich verstehe Eltern, die sich jetzt Sorgen um ihre Kinder machen. Wenn sich Jugendliche in Banden auf unseren Straßen organisieren, dürfen wir nicht wegschauen. Wir Grünen tun das auch nicht, wir haben das seit 2015 thematisiert.

STANDARD: Tatsächlich? Nicht wenige Menschen haben wohl den gegenteiligen Eindruck.

Kogler: Das mag in früheren Zeiten in Einzelfällen berechtigt gewesen sein. Seit unserer Neuaufstellung nach der Wahlniederlage von 2017 ist diese Zuschreibung jedoch verfehlt. Wir haben uns immer um Präventionsarbeit bemüht, da hat diese Regierung viel Neues finanziert. Aber ich gestehe zu, dass wir in der Vergangenheit aus Sorge um wachsenden Rassismus Probleme mitunter zu wenig klar angesprochen haben. So wollen wir etwa ein Waffenverbot im gesamten öffentlichen Raum.

STANDARD: Was soll das bringen? Unter Achtzehnjährigen sind Waffen schon heute verboten.

Werner Kogler im Interview
Keine harte Hand beim Kampf gegen die Jugendkriminalität: "Wer hat etwas davon, Zehn- und Elfjährige ins Gefängnis zu sperren?"
Helena Lea Manhartsberger

Kogler: Eine Neuregelung müsste der Polizei auch bessere Möglichkeiten bieten, das Verbot zu überwachen. Es darf nicht passieren, dass einem Burschen unter der Budel eine Waffe angedreht wird. Ein Allheilrezept gibt es aber nicht, so ehrlich muss man sein. Wer hat etwas davon, Zehn- und Elfjährige ins Gefängnis zu sperren, wenn wir gleichzeitig sehen, dass Jugendliche in den sogenannten sozialen Medien mit Gewaltdarstellungen zugemüllt werden? Dagegen müssen wir entschlossener vorgehen. Vor allem auch in der Arbeit in den Kindergärten und Schulen.

STANDARD: Viele Schulen scheinen allerdings längst überfordert zu sein, wie etwa die vom Pisa-Test bescheinigten Kompetenzdefizite der mehrheitlich hier geborenen Migrantenkids zeigen. Womöglich hat der Zuzug ein Ausmaß angenommen, das die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft übersteigt. Muss der Zugang zu Asyl eingeschränkt werden?

Kogler: Über weite Strecken ist viel gelungen, was die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen betrifft. Vor allem, weil sich viele in Österreich ins Zeug geschmissen haben. Die Mehrheit der Menschen aus Afghanistan oder Syrien bemüht sich, viele finden sehr wohl in den Arbeitsmarkt hinein. Mittlerweile sinken die Antragszahlen, die Hälfte der Asylwerber bleibt gar nicht im Land. Vor lauter "Festung Österreich" ist es doch mittlerweile so: Dem Land fehlen Fachkräfte, etwa für die Pflege und den Betrieb der Spitäler.

STANDARD: Fragt sich nur, ob die Asylwerber geeignet sind, diese Lücke zu schließen .

Kogler: Zugegeben, nicht alle sind fertig ausgebildet. Aber wieso wird es jenen, die eine gute Ausbildung haben und etwas beitragen wollen, schwergemacht? Wenn wir Menschen eine Perspektive auf gute Arbeit bieten, wird auch die Integration besser funktionieren. Wir Grüne treten für Menschlichkeit und Ordnung ein. Die jüngsten Initiativen auf EU-Ebene sind zu begrüßen. Der neue Migrationspakt ist besser als sein Ruf, auch das Abkommen mit Ägypten ist interessant. Es wird an legalen Fluchtwegen und Wegen für Arbeitsmigration gearbeitet. Menschen mit wenig Chance auf Asyl aber sollen sich nicht auf eine gefährliche Reise nach Europa aufmachen. (Gerald John, 22.3.2024)