"Ich bevorzuge es, mit Airbus statt mit Boeing zu fliegen, auch meine Familie. Sie sorgt sich um mich." Der französische Finanzminister Bruno Le Maire packte in der vergangenen Woche die Gelegenheit beim Schopf, um im Zuge der Pannenserie des US-Flugzeugbauers die Werbetrommel für den europäischen Konkurrenten zu rühren. Aber auch andere Flugreisende betreten wohl mit mulmigen Gefühlen Flieger von Boeing, nachdem das Unternehmen wegen mehrfacher Pannen nicht aus den Schlagzeilen kommt. Zuletzt hat eine Maschine des Typs 737-800 während des Flugs eine Abdeckung am Rumpf verloren, der Schaden ist erst nach der Landung entdeckt worden.

Boeing-Chef David Calhoun umgeben von Medienvertretern.
Boeing-Chef Dave Calhoun kündigte am Montag nach zahlreichen Rückschlägen und Pannen seinen Rücktritt per Jahresende an.
IMAGO/Aaron Schwartz

Vorfälle wie dieser haben sich heuer aneinandergereiht, seit Anfang Jänner ein Kabinenteil einer Boeing 737-9 Max während des Fluge abgerissen und eine Katastrophe nur mit Glück ausgeblieben war. Die Folge: Nicht nur Reisende sind verunsichert, auch die Verärgerung der Airline-Kunden über den US-Erzeuger nahm stetig zu. Vergangene Woche forderten sie vom Boeing-Verwaltungsrat ein Treffen zur Aufklärung über die Pannenserie. "Boeing muss jetzt die Kurve kriegen", betonte etwa Emirates-Chef Tim Clark, der vor allem Managementfehler für das Debakel verantwortlich macht.

Am Montag haben nun Teile des Topmanagements die Konsequenzen gezogen. Konzernchef Dave Calhoun hat seinen Abgang zu Jahresende angekündigt. Der Chef der Sparte mit Passagiermaschinen trat unmittelbar zurück, und auch Verwaltungsratschef Larry Kellner verlässt das Unternehmen.

Sinkflug an der Wall Street

Wenig überraschend, denn es gärt unter den Beschäftigten, und an der Börse ziehen Investierende reihenweise die Reißleine, seit Ende des Vorjahres hat die Boeing-Aktie fast 30 Prozent an Flughöhe eingebüßt. Zudem drehten die vielen Pannen nicht nur den Newsflow ins Negative, sondern auch die Geldflüsse des Konzerns. Boeing-Finanzchef Brian West hat angekündigt, dass der Konzern allein im laufenden ersten Quartal um vier bis 4,5 Milliarden Dollar mehr ausgeben als einnehmen werde.

Der bereits zuvor von Konzernchef Calhoun angekündigte Kulturwandel zu einer größeren Bedeutung der Qualität, nachdem zuvor finanzielle Kennzahlen – Calhoun war zuvor für eine US-Investmentgesellschaft tätig – im Mittelpunkt gestanden waren, ging Branchenkennern nicht weit genug. Sie sprachen sich bereits für einen kompletten Neustart unter einer neuen Führung aus. "Boeing braucht eine echte Flucht nach vorn", sagt Michael Santo von der Münchner Luftfahrtberatung H&Z Group dem "Handelsblatt". Aus seiner Sicht muss der Traditionskonzern den Resetknopf drücken, um "eine Boeing 2.0 mit einem völlig neuen System mit neuer Lieferkette und ohne Altlasten" zu werden.

Viele Baustellen

Baustellen in der Produktion gibt es reichlich. Die US-Luftfahrtaufsicht FAA bemängelte nach einer Prüfung bei Boeing und dem Zulieferer Spirit Aerosystems, der unter anderem Teile für den Rumpf der 737 Max fertigt, mehr als ein Drittel der untersuchten Fertigungsprozesse. Zuletzt erwog der Konzern aus Seattle noch unter Calhouns Führung, Spirit, bis zum Verkauf 2005 eine Boeing-Sparte, wieder zurückzukaufen.

Mehrere abgestellte Boeing-Maschinen.
Die Luftfahrtaufsicht FAA fand in den Produktionsprozessen von Boeing und einem Zulieferer zahlreiche Mängel.
REUTERS/Lindsey Wasson

Von wachsenden Unmut unter der Belegschaft berichtet Luftfahrtexperte Scott Hamilton vom Portal "Leeham News": "Innerhalb von Boeing und bei ehemaligen Mitarbeitern ist die Wut darüber groß, dass Boeing sich selbst in dieses Schlamassel gebracht hat." Luftfahrtberater Santo ergänzt: "Der frühere Stolz, bei Boeing zu arbeiten, ist gewichen."

Er warnt aber trotz der aktuellen Krise davor, Boeing zu schnell abzuschreiben. "Boeing hat viele Jahre sehr gute Flugzeuge gebaut", sagt er. "Ich traue dem Unternehmen zu, das Flugzeug der Zukunft zu entwickeln und zu bauen." Sofern sie künftig unter neuer Führung ihre Chancen besser nutzen, denn: Die 787, auch Dreamliner genannt, ist seiner Ansicht nach verglichen mit dem Airbus A350 das bessere Kohlefaserflugzeug am Markt. "Aber durch die Qualitäts- und Lieferkettenprobleme konnte Boeing diese Chance nicht nutzen." (Alexander Hahn, 25.3.2024)