"Kauf es nicht!": Mit diesen Titeln generieren die Tiktokerinnen Millionen an Klicks.
Screenshot Tiktok

"Hi, wie geht's euch, liebste Follower? Heute möchte ich euch ein super duper Produkt vorstellen!" Solch energische Grußformeln, gepaart mit schnellen Videoschnitten und dazupassenden Aussagen über die lebensverändernden Qualitäten des Produkts: So werden heutzutage von Influencern oftmals sehr erfolgreich unzählige Produkte an die eigene Fangemeinde verhökert. Dieser ewige Konsum hat jetzt eine wachsende Gruppe von Tiktok-Nutzerinnen und -Nutzern müde gemacht.

So müde, dass sie in einer neuen Art von Videos versuchen, die Sinnlosigkeit dieser Käufe ihren Zuschauern aufzuzeigen. Eine Art "Anti-Influencer" hat sich herausentwickelt. Wo früher noch in explosiver Sprache die Vorzüge eines Produkts angepriesen wurden, wird jetzt mit ironischem Humor diese Art von Käufen infrage gestellt. Allein unter dem Hashtag "deinfluencing" finden sich zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Textes nahezu 30.000 Videos, deren beliebteste Ableger Millionen an Klicks generieren.

Bewusster Konsum als Trend

Zuschauerinnen und Zuschauer werden direkt angesprochen, und auf den ersten Blick wirkt es so, als würde es sich um eine weitere bezahlte Meinungsäußerung handeln. Verharrt man jedoch einen Moment länger, wird schnell klar, dass die einstudiert wirkende Influencer-Sprache verwendet wird, um einen ungeschönten Blick auf bestimmte Konsumgüter zu ermöglichen. Nicht selten ironisch formuliert, springen selbst klassische Influencer auf den Trend auf und werden auf diese Weise millionenfach geklickt. Die Tiktok-Influencerin Laura Girard verkauft auf diversen Webseiten Fitnessprodukte und Kurse an ihre Fangemeinde. Auch sie ruft ihre Zuschauer auf, nicht in die Falle anderer Billigprodukte zu stolpern.

Mit über sechs Millionen Aufrufen ist das Video eine der erfolgreichsten Veröffentlichungen der Tiktokerin. Ihre alltäglichen Videos werden hingegen nur wenige Tausend Mal aufgerufen. Die Art von Content, die finanziell nachhaltigeren Konsum fördern will, scheint die Massen zu bewegen. Einige Userinnen und User richteten ihre ganze Online-Persönlichkeit nach dem Format aus. Paige Pritchard, die sich auf ihrer eigenen Webseite als "Geld-Guru" beschreibt, benutzt den Ausdruck "deinfluencing" in fast jedem Video. Ihr Tiktok-Account "overcoming_overspending" konzentriert sich völlig auf die Weitergabe von Finanztipps, die Pritchard während der Rückzahlung ihres Studiendarlehens gelernt hat.

Die Weihnachtsedition von "overcoming_overspending" will den Menschen das schlechte Gewissen nehmen, wenn sie ihre Weihnachtsgeschenke ihrer aktuellen finanziellen Situation anpassen. Wer sich gerade in einer finanziell prekären Situation befindet, soll sich nicht gezwungen fühlen, Schulden für die Geschenke anderer aufzunehmen, so Pritchard.

Duett-Funktion als Waffe

Auch die Duett-Funktion der Plattform wird genutzt, um möglichst ungeschönt sinnloses Zeug zu outen. Mit dieser Funktion können fremde Videos in einem Bildschirmausschnitt gezeigt werden, während im anderen der Anti-Influencer mit rationalen Argumenten auf das Gezeigte reagiert. Egal ob es sich um eine weihnachtliche Kerze oder ein goldenes Waschbecken-Set handelt, kein Staubfänger ist vor den Social-Media-Sparfüchsen sicher.

Die Nutzerin @depressiondotgov fällt durch ihre besonders monotone Unbeeindrucktheit auf und ihren Hang, Dinge als "garbage" (Englisch für Abfall) zu bezeichnen. Die durchaus amüsante Art bringt Millionen Zuschauer zumindest zum Schmunzeln. Im folgenden Video rät sie vom Kauf dieses Überraschungspakets ab und beschränkt sich in ungewohnter Weise darauf, das Gesehene nur zwei Mal als "garbage" zu bezeichnen.

Ein kurzer Blick in die Kommentarspalten zeigt auf, wie groß die Marktlücke für diese Art von Inhalten ist. Bei fast allen Postings stehen quasi inhaltslose Kommentare ganz oben, in denen die Zuschauer nur äußern, dass sie kommentieren, um weitere "De-Influence"-Posts zu sehen. Dennoch sollte man den Trend des "De-Influencing" etwas argwöhnisch betrachten. Bei genauerem Blick geht es vielen dieser Internetpersönlichkeiten nicht darum, unnötigen Konsum zu stoppen, sondern darum, diesen Konsum auf ihre eigenen Produkte umzulagern. So bietet Paige Pritchard zwar keine dekorativen Staubfänger oder Media-Shop-würdigen Gimmicks an, fordert ihre Zuschauerinnen und Zuschauer allerdings auf, ihren 80 Dollar teuren Kurs zu buchen, um wertvolle Finanztipps zu erhalten. Geld regiert leider immer noch die Welt, wie es schon im Musical "Cabaret" im ein oder anderen Refrain besungen wurde. (gld, 26.3.2024)