Der Sternenhaufen NGC 2210 in der Großen Magellanschen Wolke. Solche großen Massenansammlungen enthalten auch Dunkle Materie.
via REUTERS/NASA

Ein Großteil der Materie im Universum ist dunkel: Er lässt sich mit Teleskopen nicht beobachten, und worum es sich handelt, ist völlig unklar. Dass es diese Materie gibt, wissen wir nur aufgrund ihrer Gravitationskräfte: Sie sorgt dafür, dass Galaxien so rotieren können, wie wir es beobachten, ohne dabei zu zerreißen. Und ferne Objekte werden durch die Biegung der Raumzeit aufgrund der unsichtbaren Masse verzerrt.

Die zwei gängigsten Erklärungen für die mysteriöse Substanz drehen sich um bestimmte Teilchen mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften. Einmal stammt die unsichtbare Materie von sogenannten Wimps, eine Kurzform, die ein schwach wechselwirkendes, massereiches Teilchen bezeichnet. Sogenannte Wimps spüren fast nur die Schwerkraft und sind relativ schwer, etwa hundertmal schwerer als ein Wasserstoffatom. Sogenannte Axionen wiederum spüren auch andere Kräfte, sind aber extrem leicht. Bisher gibt es kein entscheidendes Experiment, das eine der beiden Varianten ausschließt.

Das linke Bild zeigt, wie sich Galaxien aufgrund ihrer bekannten Masse verhalten sollten. Rechts ist zu sehen, wie sie sich tatsächlich verhalten.
John Middendorf

Klumpenbildung

Dunkle Materie ist unter anderem deshalb so schwer zu fassen, weil sie keine dichteren Strukturen zu bilden scheint. Sie zeigt sich in Modellrechnungen als dünner Nebel, der sich nur um große Massenansammlungen etwas mehr zusammenballt. Für eine Substanz, die nur die Schwerkraft kennt, leuchtet das intuitiv ein, fehlt hier doch die Fähigkeit, mittels der Starken Wechselwirkung Atomkerne oder mittels der Elektromagnetischen Wechselwirkung Moleküle zu bilden.

Während das für Wimps tatsächlich so stimmt, funktionieren Axionen anders. Sie wären tatsächlich in der Lage, sich auf kleinem Raum zusammenzuballen. Sie würden allerdings keine Moleküle bilden, sondern einen viel fremdartigeren Materiezustand, der allerdings nicht zuletzt in österreichischen Physiklabors seit Jahrzehnten hergestellt wird: Die Rede ist von einem Bose-Einstein-Kondensat. Dabei beginnt sich eine Materiewolke, die sehr stark abgekühlt wird, wie ein einziges Teilchen zu verhalten, ähnlich den völlig synchronen Lichtschwingungen eines Lasers.

Von Klumpen zu Sternen

Wie groß solche Zusammenballungen von Axionen werden können, untersuchte kürzlich ein Team um den Astrophysiker Miguel Escudero von der Technischen Universität München. Das Ergebnis wurde nun in einer neuen Studie im Fachjournal "Physical Review D" veröffentlicht.

Die dabei entstehende Struktur wird Soliton genannt. Es handelt sich um ein Wellenpaket, das relativ stabil ist, ähnlich einem Strudel oder einem Ring aus Luft, der im Wasser aufsteigt. Im Fall der Axionen wäre das resultierende Objekt ein riesiger Stern. Allerdings würden diese Sterne nach einer gewissen Zeit instabil werden und explodieren.

Solitonen lassen sich mit Luftringen im Wasser vergleichen.
Caters Clips

Die Energiemenge dieser Explosion, die Bosenova genannt wird und auch bei kleinen Bose-Einstein-Kondensaten in Labors beobachtet werden kann, wäre vergleichbar mit jener einer Supernova, die am Ende des Lebens eines konventionellen Sterns auftreten kann, sofern dieser groß genug ist. Dabei würde starke Radiostrahlung entstehen. Die Energie der Bosenova würde zum Teil von intergalaktischem Gas absorbiert werden, das sich dadurch aufheizen würde.

Das ist für die Astronomie ein interessantes Ergebnis, denn diese Erwärmung des intergalaktischen Mediums ließe sich mit Teleskopen nachweisen. Ein Teleskop, das dazu in der Lage wäre, ist das geplante Square Kilometer Array. Dieses Radioteleskop soll Signale von tausenden Radioantennen zusammenführen, die über viele Tausend Kilometer verteilt sind.

Diese drei verschwommenen Punkte, die das Webb-Teleskop aufnahm, wurden zuerst als Galaxien klassifiziert. Doch sie könnten aus denselben Teilchen bestehen wie die mysteriöse Dunkle Materie.
NASA/ESA

Sterne aus Wimps

Tatsächlich sind Axionen-Sterne nicht die ersten vorgeschlagenen Sterne aus Dunkler Materie. Auch Wimps könnten einen solchen Effekt haben. Sie wären allerdings nur die Geburtshelfer: Um diffuse Massenansammlungen aus Wimps würde sich konventionelle Materie sammeln und zu riesigen Sternen verbinden. Solche wären nur in der Frühzeit des Universums möglich und würden ebenfalls nicht lange überleben. Tatsächlich hat das James-Webb-Weltraumteleskop bereits Objekte beobachtet, bei denen es sich um solche Sterne mit Dunkler Materie handeln könnte.

Selbst wenn sich keines der neuen Sternkonzepte als wissenschaftlich haltbar erweist, sind Forschende hoffnungsfroh, dass es gelingen wird, Experimente zu finden, die zeigen, ob Wimps oder Axionen die wahrscheinlichere Lösung für das Problem der Dunklen Materie sind. Eine Variante sind zum Beispiel genauere Gravitationslinsenbeobachtungen.

Und obwohl es starke Gründe dagegen gibt, sind auch Lösungen, die auf einer Veränderung der Allgemeinen Relativitätstheorie basieren und vor allem unter Amateurforschenden eine treue Fangemeinde haben, nicht völlig vom Tisch. Eine Entdeckung von Axionen-Sternen würde all diese Fragen mit einem Mal beantworten. (Reinhard Kleindl, 30.3.2024)