Karoline Edtstadler steht im grau gefliesten Foyer eines niederösterreichischen Stahlplattenherstellers und schäkert mit den Menschen, die um sie herumstehen. Mit allen gleichzeitig. Sie wirft ihre Haare zurück, sucht zu jedem Blickkontakt, strahlt, als hätte man ihr gerade einen Preis überreicht. Zu oft musste sie sich anhören, sie wirke unterkühlt, ihr Blick zu streng, Eislady, Hexe. Lach doch mal, Karo! Unzählige Male hat sie diesen Satz schon gehört. Und so lacht Karoline Edtstadler, zumindest bei Betriebsbesuchen, im Kontakt mit "den echten Menschen". Das macht man so, wenn man noch etwas erreichen möchte in der Politik. Jedenfalls als Frau.

Ministerin Karoline Edtstadler tourt durch Österreich und wirbt für die Wahlen. Hier: in Niederösterreich.
Heribert Corn

Die Dame von der Wirtschaftskammer, die auch in der Traube um Edtstadler steht, erzählt jetzt, dass die Geschäftsführerin der Stahlplattenfabrik schon nach der Schule zu ihrem Chef gesagt habe, sie werde irgendwann auf seinem Sessel sitzen. Edtstadler, die seit Jahren als potenzielle Kandidatin für den türkisen Chefsessel gilt, lacht kurz schrill. Ha! Dann sagt sie ruhig und ernst: "Nur so geht’s."

Karoline Edtstadler ist im türkisen Regierungsteam die mit Abstand ambitionierteste Ministerin. Dabei ist ihr Zuständigkeitsbereich überschaubar. Sie ist Verfassungsministerin, doch eine größere Verfassungsreform war nie geplant. Ihr zweites Thema ist Europa, das klingt gut, allerdings hat Österreich auch einen Außenminister. Und so wurde Edtstadler zur Schattenjustizministerin in ständiger Konfrontation mit der tatsächlichen Justizministerin Alma Zadić. Die ist wie Edtstadler Juristin, aber eben eine linke Grüne – also die ideale Gegenspielerin für eine Mitte-rechts-Politikerin mit Hang zu Law and Order. Grüne sagen: Edtstadler will in der ÖVP hoch hinaus, sonst gar nichts.

Im Kampf gegen die Grünen

In der Volkspartei ist Edtstadler die Frau für kontroverse Themen: Sie war für die Impfpflicht zuständig, die Informationsfreiheit musste sie gegen die widerborstigen Länder durchsetzen, regelmäßig greift sie die Grünen an. Aktuell arbeitet sie daran, mit einem Zitierverbot die Arbeit von Journalistinnen zu behindern, um Beschuldigte zu schützen. Ihre Gegner sagen: um Beschuldigte aus dem ÖVP-Dunstkreis zu schützen. Zimperlich war Edtstadler nie.

Als Sebastian Kurz sie 2017 in die Spitzenpolitik holte, galt sie als dessen gnadenlose Erfüllungsgehilfin; als seine heimliche Generalsekretärin, die brav zur Verteidigung des Jungkanzlers ausrückte. Seit dem Abgang des gefallenen Politstars hat sich Edtstadler aber verändert, ihr Image aufpoliert: Sie hat sich einen Hund zugelegt, eine süße Promenadenmischung – Struppi fehlt bei keinem Medientermin. In sozialen Medien postet sie jetzt locker-witzige Videoschnipsel von sich. Sie würde heute nicht mehr alles so formulieren wie einst, sagt sie, wenn man sie auf die türkisen Angriffe auf die gegen Kurz ermittelnde Korruptionsstaatsanwaltschaft anspricht.

Edtstadler hat sich emanzipiert, ein eigenes, freundlicheres Profil entwickelt – und gilt als ein Plan B für die Parteispitze. Sollte ÖVP-Chef Karl Nehammer nach der Wahl im Herbst nicht zu halten sein, könnte sie dann die erste Chefin der Volkspartei werden?

Potenzielle Nachfolgekandidaten

Die Geschäftsführerin des Stahlplattenunternehmens führt Edtstadler inzwischen durch die Produktionsstätte: riesige Maschinen, es riecht nach geschmolzenem Plastik. Powerfrauen in Männerberufen, das soll hier vermittelt werden. In ihrem Betrieb werde Gerechtigkeit großgeschrieben, erklärt die Managerin. "Welches Sternzeichen sind Sie?", fragt Edtstadler daraufhin. Die Frau ist Löwe. "Ich dachte, vielleicht Waage", sagt Edtstadler. Sie ist seit vielen Jahren mit der Radio-Astrologin Gerda Rogers befreundet, mit der Sternendeutung beschäftigt sie sich schon lange. Rogers hat Edtstadler nach dem Blick in die Sterne vorausgesagt: 2024 läuft es für sie.

Parteiintern hat Karoline Edtstadler das Problem, dass sie keine Hausmacht hat – doch wer Parteichef werden möchte, braucht Unterstützer.
Heribert Corn

Die Sachlage ist die folgende: Würde die ÖVP bei der Nationalratswahl tatsächlich Dritte, wie es in Umfragen derzeit prognostiziert wird, müsste Nehammer wohl gehen. Davon sind in der Partei die meisten überzeugt. Selbst wenn die ÖVP auf dem zweiten Platz lande, sei sein Verbleib nicht sicher, sagen manche Konservative. Und potenzielle Nachfolgekandidaten gibt es zwei: Finanzminister Magnus Brunner. Und eben Edtstadler.

Parteiintern hat Karoline Edtstadler das Problem, dass sie keine Hausmacht hat – und wer Parteichef werden möchte, braucht Unterstützer. Weder eine Vorfeldorganisation der ÖVP noch eine Landespartei stehen eindeutig hinter ihr. Brunner hingegen wäre der Kandidat des schwarzen Wirtschaftsbunds. Edtstadler pflegt dafür wiederum ein gutes Verhältnis zu Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Fest steht: Derzeit sind die Machtverhältnisse in der ÖVP so instabil verteilt, dass niemand sicher prognostizieren kann, wer den nächsten Chef – oder die Chefin – bestimmen würde.

Kompliment für die Barbusige

Edtstadler steht nun in einer Werkstatt. Auf ihrem "Bundesländertag" besucht sie noch einen zweiten Betrieb, einen Metalloberflächenveredler. Vor ihr lehnen zwei Arbeiter an einer Werkbank. "Einen schönen Kalender habts da", ruft sie und deutet auf das Bild einer barbusigen Blondine an der Wand. Die beiden wissen nicht recht, was sie sagen sollen. Irgendjemand stammelt, dass hier nur Männer arbeiten würden. "Na, wenn’s hilft", sagt Edtstadler – und natürlich: Sie lacht.

Edtstadler bringt eine Eigenheit mit, die in der Spitzenpolitik von Vorteil ist: Sie hat zwei Gesichter. Edtstadler kann die toughe Juristin raushängen lassen, sie funktioniert aber auch auf dem Kirtag, im Bierzelt oder eben in einer Werkstatt – als normale, unprätentiöse Frau mit Salzburger Dialekt, die ungekünstelt auftritt.

Aufgewachsen ist Edtstadler im Salzburger Elixhausen, der Vater war Landtagsdirektor, ein Konservativer. Sie interessiert sich früh für Politik, wird Schulsprecherin, engagiert sich in der Schülervertretung der ÖVP. Eigentlich wollte Edtstadler Musikjournalistin werden, dann beginnt sie doch mit Jus. Mit 19 wird sie schwanger.

Ihr Sohn ist heute erwachsen und Polizist. Während seiner Kindheit arbeitet Edtstadler als Strafrichterin, schon damals ist sie für ihre Strenge bekannt. Dann wechselt sie ins Justizministerium, später an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Nichts ausschlagen

Einen Tag nach ihrem Trip nach Niederösterreich sitzt Edtstadler in ihrem Büro im Kanzleramt. Ob sie irgendwann Parteichefin werden wolle? Oder EU-Kommissarin, wie schon öfter berichtet wurde? "Ich will weiterhin Verantwortung übernehmen in der Politik und bin bereit, dort zu arbeiten, wo man mich braucht." Sie wisse: In der Politik könne auch jederzeit alles vorbei sein. "Nil petere, nil recusare", sagt Edtstadler. Nichts anstreben, nichts ausschlagen.

Wenn es um künftige Koalitionen geht, wird Edtstadler ein Hang zur FPÖ nachgesagt, mit Herbert Kickl verbindet sie allerdings eine persönliche Feindschaft. Sie war zu Zeiten von Türkis-Blau Staatssekretärin im Kickl-geführten Innenministerium. Mit ihm sei kein Staat zu machen, sagt sie. Selbst viele Grüne glauben ihr, dass sie das ernst meint.

Edtstadler ist Widder. Astrologen würden sagen: selbstbewusst und durchaus risikobereit. Hinter ihrem Schreibtisch steht ein Bild, das ihr eine Freundin geschenkt hat. Darauf ist eine Frau mit rotem Lippenstift und entschlossenem Blick abgebildet. Daneben steht: "The Older I Get, The More Everyone Can Kiss My Ass." Edtstadler ist 43. (Katharina Mittelstaedt, 1.4.2024)