Erich Wonder, Bühnenbild Vision Kameraauge.
Ein Beispiel für Erich Wonders himmelhohe Visionen: "Tristan und Isolde", dritter Akt (1996). In der legendären Inszenierung Heiner Müllers herrschte die unheilvolle Atmosphäre endzeitlicher Isolation.
Anne Kirchbach

Seine eigene Rolle hat der Bühnenbilderfinder Erich Wonder stets heruntergespielt. Er hat sich von Anfang an klein gemacht. Sein Auge dennoch scharf gestellt, indem er sich selbst, bescheiden wie eigensinnig, zur Kameralinse erklärte. Als solche blickt der gebürtige Burgenländer – Wonder stammt aus Jennersdorf – bis heute kalt und starr auf die ihm anvertrauten Seelen. Sein metaphorisches Alter Ego wäre das "Objektiv".

Wonder baute den Hamlets und Borkmans, den Tristans und Isoldes die ihnen kongenialen Schatullen und Futterale. In diesen obwaltet eine strenge, nacheuklidische Schönheit: eine Harmonie zweiter Ordnung, denn erst durch geringfügige Verzerrungen wird auf Wonder-Bühnen die Arbeit des Traums in Erinnerung gerufen. Der Stich ins Absurde, gepaart mit Nacht und Finsternis, erinnert nicht von ungefähr an Max Ernsts visionäre Holzstich-Collagen.

Erich Wonder wird am Samstag 80 Jahre alt. Er hat, als völlig eigenständiger Schüler von Caspar Neher und Fritz Wotruba, früh die vor Kälte klirrende Perfektion Stanley Kubricks angestrebt. Seine Räume besitzen dieselben intakten Oberflächen, dieselbe unantastbare Qualität.

Der weit und breit wichtigste Ausstatter aller Großregisseure, ob sie nun Claus Peymann heißen, Jürgen Flimm, Andrea Breth, Heiner Müller oder Luc Bondy, genoss frühzeitig das Privileg erfinderischer Autonomie. Seinen Arbeitgebern war Wonder ein Widerpart. Erst durch "seine" Flure, Gänge, Schlackenplätze erhielten Figuren, die sonst bloß knietief im Text gestanden wären, Widerhall, Umriss und Tiefe.

Voller Geister

Als er 1972 die Uraufführung von Botho Strauß' Die Hypochonder am Deutschen Schauspielhaus Hamburg ausstattete (Regie: Peymann), wurden Charakteristika von Wonders Kunst schlagartig sichtbar. Der Spielort erweckte den Eindruck, als würde die gewöhnliche Welt von Schattengeistern bevölkert. Das Klappern von Absätzen stimmte unbehaglich. Man konnte meinen, hinter der sichtbaren Welt befinde sich ein Netz von Tunneln und Gängen.

Erich Wonder war Ausstattungschef in Frankfurt. Er hielt in Treue fest zu Flimm und veredelte das kluge psychologische Menschentheater eines Dieter Giesing. Das Motto dieses kunstreichen Manipulators: "Trau keinem Auge."

Wohl auch deshalb griff seine Bildfantasie himmelweit aus. Ein Lieblingssujet war seine Bühne für Ibsens John Gabriel Borkman, 1993 von Luc Bondy inszeniert in Lausanne: Michel Piccoli dreht in der Rolle des selbstsüchtigen Titelhelden im ersten Stock – vollkommen isoliert von der Mitwelt – einsame Runden um die Modelle der Häuser und Fabriken, die er einmal hatte bauen wollen. Ein Gescheiterter, mutterseelenallein in der Finsternis des Alls.

Es verwundert wenig, dass aus Wonder ein famoser Opernausstatter geworden ist. Unvergessen sein Bayreuther Tristan (1993), ein Spielfeld vollgestellt mit Ritterrüstungen. Wonders Bilder besitzen die Kontur des geschärften Begriffs. Insofern ist dieser Magier ein getreuer Schüler der Moderne: ein Umstand, der ihn zu pädagogischer Arbeit an der Akademie der bildenden Künste in Wien prädestiniert hat.

Enorme Haltbarkeit

Eine unvergessliche Meisterleistung war Erich Wonders Bühnenbild für Jürgen Flimms Hamburger Wildente (1994): Das Ensemble umfasste Kapazitäten wie Will Quadflieg, Hildegard Schmahl und Hans Christian Rudolph.

Sie alle spielten famos – und verloren sich gleichwohl in dem hohen, kalten, blauen Salon, den ihnen Wonder wie eine Schachtel gezimmert hatte: als Behälter für Lebenslügen, Ausflüchte aller Art. Über allem prangte der möblierte Dachstuhl. In ihm führte Gregers Werle (Rudolph) seinen Vernichtungsfeldzug im Namen von Aufklärung und Wahrhaftigkeit.

Wonder-Bühnen enthalten Lügengebäude, solche, die die Menschen, die einsam durch die Nacht taumeln, Tritt finden lassen. Wonder-Räume sind ideologiefrei und enorm haltbar.

Erst im vergangenen Jahr wurde sein Salome-Raum, gut 30 Jahre nach der umjubelten Salzburger Festspiel-Premiere, nach Wien an die Volksoper transferiert. Er ist anschaulich geblieben. Es bleibt zu hoffen, dass Erich Wonder auch nach Vollendung des achten Lebensjahrzehnts nicht müde wird, neue Bühnen zu erfinden. (Ronald Pohl, 30.3.2024)