Die Affäre rund um die früheren Verfassungsschützer Egisto Ott und Martin Weiss sowie den einstigen Spitzenmanager Jan Marsalek wird zum wohl größten österreichischen Spionageskandal der vergangenen Jahrzehnte. Ott ist mittlerweile erneut in Untersuchungshaft, Weiss und Marsalek befinden sich im Ausland und sind für die Justiz nicht greifbar. DER STANDARD hat die wichtigsten Fragen und Antworten zu der Causa zusammengefasst.

Frage: Was wird Egisto Ott vorgeworfen?

Antwort: Ott soll im Sommer 2022 die Smartphones dreier (früherer) Spitzenbeamter im Innenministerium sowie einen Laptop an russische Agenten verkauft haben. Das geht aus Chats hervor, die britische Behörden an Österreich übermittelt haben. Zudem wird Ott vorgeworfen, jahrelang Daten aus internen BVT-Systemen abgefragt und an seinen einstigen Vorgesetzten Martin Weiss weitergegeben zu haben. Dieser arbeitete seit 2018 offiziell für den damaligen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, dem mittlerweile ebenfalls Spionage für Russland vorgeworfen wird.

Der frühere Wirecard-Manager Jan Marsalek in Moskau.
DER SPIEGEL

Frage: Was befand sich auf den Smartphones und auf dem Laptop?

Antwort: Bei den Mobiltelefonen handelt es sich um die Geräte dreier langjähriger Spitzenbeamter. Da wäre zunächst Michael Kloibmüller: Er war jahrzehntelang einer der mächtigsten Männer im Innenministerium, das er 2018 verließ. Inhalte seines Smartphones gelangten an Medien und legten die Machtpolitik im schwarzen Ministerium offen. Wegen des Verdachts der Postenkorruption hat die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) daraufhin Ermittlungen eingeleitet. Kloibmüller bestreitet die Vorwürfe, und es gilt die Unschuldsvermutung. Ein weiteres Gerät soll Gernot Maier gehören, dem Chef des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl. Das dritte Smartphone ist wiederum Michael Takacs zuzurechnen, dem Bundespolizeidirektor. Er gilt als enger Vertrauter von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP).

Was sich auf dem übergebenen Laptop befand, ist noch unklar. Es handelt sich um ein sogenanntes Sina-Gerät (Sichere Internet-Netzwerk-Architektur). Derartige Geräte werden von deutschen Behörden verwendet.

Frage: Was hat Jan Marsalek damit zu tun?

Antwort: Der frühere Wirecard-Vorstand und gebürtige Wiener hat schon seit einem Jahrzehnt Kontakt zu russischen Nachrichtendiensten, wie Recherchen von STANDARD, "Spiegel", "The Insider" und ZDF zuletzt offengelegt haben. Als der Finanzdienstleister Wirecard im Jahr 2020 spektakulär zusammenbrach, weil in seiner Bilanz offenbar Milliardenwerte erfunden worden waren, flüchtete Marsalek über Minsk in Belarus nach Moskau. Dort soll er von Personen mit nachrichtendienstlichem Hintergrund in Empfang genommen und mit neuen Identitäten versorgt worden sein. Mittlerweile gilt als gesichert, dass Marsalek für russische Dienste – vor allem den Inlandsgeheimdienst FSB – arbeitet.

Frage: Wie sind Marsalek und Ott miteinander verbunden?

Antwort: Marsalek hat während seiner Wirecard-Zeit viele Kontakte nach Österreich geknüpft. Für Wirecard arbeiteten etwa die Agenturen mehrerer Personen, die einst in Kabinetten schwarzer Innenminister tätig waren. Auch bei der FPÖ dockte Marsalek an, vor allem beim langjährigen Parteivize Johann Gudenus.

Das alte Smartphone von Bundespolizeidirektor Michael Takacs liegt wohl in Moskau.
APA/EVA MANHART

Bei einer Veranstaltung soll Marsalek im Jahr 2015 Martin Weiss, einen damaligen Abteilungsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) kennengelernt haben. Spätestens ab 2018 arbeitete Weiss dann bei Marsalek. Er nutzte Kontakte zu früheren Kollegen, um für den Wirecard-Manager verschiedene Personen zu überprüfen, und ließ sich dafür Daten aus dem Verfassungsschutz liefern. Hier kommt Egisto Ott ins Spiel, der im Auftrag von Weiss und somit Marsalek dutzende Personen abgefragt haben soll.

Frage: Hat Marsalek die Übergabe der Geräte dirigiert?

Antwort: Darauf deutet derzeit alles hin. Die Ermittler stützen sich auf Chats zwischen Marsalek und einer Gruppe von Agenten, die in Europa unterwegs waren, bevor sie im Februar 2023 in Großbritannien geschnappt wurden. Für die britische Spionageabwehr war das ein großer Erfolg, da ihnen nicht nur sechs mutmaßliche Agentinnen und Agenten, sondern auch viele Daten in die Hände fielen.

Aus diesen geht hervor, dass Marsalek den Ort für die Übergabe der Smartphones und des Laptops vorschlug, nämlich die Wohnung eines Familienmitglieds von Ott. Zudem berichtete Marsalek, der Laptop sei ohne Probleme in die Lubjanka gebracht worden – also ins Hauptquartier des FSB. Auch um den Geldfluss an Ott soll sich Marsalek gekümmert haben. "The laundry guys confirmed: they will pick up the cash and make it available in Berlin tomorrow", schrieb er an einen jetzt in Großbritannien inhaftierten mutmaßlichen Spion – für Geldwäsche zuständige Agenten hätten Bargeld besorgt und würden es in Berlin weitergeben, quasi.

Frage: Welche politischen Konsequenzen hat die Causa?

Antwort: Alle Parlamentsparteien zeigten sich entsetzt und fordern Aufklärung; vor allem ÖVP und FPÖ weisen sich gegenseitige die Schuld zu. Kanzler Karl Nehammer hat für 9. April den Nationalen Sicherheitsrat einberufen. Intensiven Kontakt hatte Ott zum ehemaligen FPÖ-Abgeordneten Hans-Jörg Jenewein, weshalb es bereits 2021 auch bei Jenewein eine Hausdurchsuchung gegeben hat. Ermittler vermuten, dass die FPÖ für Otts Informationen aus dem BVT gezahlt hat, das bestreitet die Partei.

Die Kontakte erfolgten vor allem ab der Tätigkeit von Herbert Kickl als Innenminister, also ab Ende 2017. Damals kursierte ein Konvolut voller Vorwürfe gegen Beamte, das laut Gutachten der Staatsanwaltschaft von Ott verfasst worden war. Aufgrund dieses Konvoluts nahm die WKStA Ermittlungen auf, im Februar 2018 folgte die skandalöse Razzia im BVT, die viel Ärger mit Partnerdiensten, aber keine strafrechtlich relevanten Erkenntnisse brachte – mittlerweile sind alle damals beschuldigten Beamten rechtskräftig freigesprochen worden.

Christian Hafenecker, blauer Generalsekretär, monierte am Dienstag, dass Ott stehts unter ÖVP-Innenministern Karriere gemacht habe bzw. unter Ex-BVT-Chef Peter Gridling.

Hans-Jörg Jenewein (links) war jahrelang Sicherheitssprecher der FPÖ und hatte Kontakt zu Ott – auch als Herbert Kickl Innenminister war.
Martin Juen / SEPA.Media / pictu

Ott traf allerdings auch Politiker anderer Parteien wie der Neos, zudem engagierte er sich einst gewerkschaftlich in der roten Fraktion.

Politisch heikel ist, dass offenbar Smartphones mit Chats von hochrangigen, der ÖVP nahestehenden Beamten in Moskau liegen. Vor allem Takacs gilt als guter Freund des heutigen Kanzlers. Dessen Frau war auch in die Entstehungsgeschichte des Handydiebstahls involviert: Sie war damals, 2016, mit Kloibmüller, Takacs und Maier im Kabinett von Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) beschäftigt. Bei einem Ausflug fuhr man Kanu, Katharina Nehammer brachte das Boot unabsichtlich zum Kentern. Die nassen Diensthandys sollten im BVT repariert werden; der zuständige IT-Techniker, gegen den ebenfalls ermittelt wird, entwendete die Geräte und gab sie an Ott weiter, wie "Die Presse" im Februar 2022 aufgedeckt hat.

Frage: Wie geht es in der Sache weiter?

Antwort: Die Ermittlungen werden von der AG Fama im Bundeskriminalamt geführt. Dort wird seit Jahren intensiv an der Aufarbeitung der Causa gearbeitet, wenngleich die Opposition kritisiert, dass die ÖVP-Stränge der Angelegenheit nur wenig Niederschlag finden.

Bereits 2017 waren erste Vorwürfe gegen Ott laut geworden. Damals war der BVT-Direktor Peter Gridling von einem Partnerdienst vor Ott gewarnt worden. Er übermittelte das der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen einleitete. Ab 2020 kam dann die Causa Marsalek dazu. Es setzte für die AG Fama allerdings auch Rückschläge: So entschied das Oberlandesgericht Wien im Frühjahr 2023, dass die Ermittlungen gegen Ott rund um Spionagevorwürfe einzustellen seien – Beschuldigter blieb er aufgrund zahlreicher anderer Delikte. Mit der erneuten Festnahme Otts am Freitag samt der Verhängung von Untersuchungshaft ist der AG Fama daher ein wichtiger Etappensieg gelungen. Da Ott mutmaßlich mit russischen Agenten kooperierte, obwohl bereits Ermittlungen liefen, kann die Staatsanwaltschaft Wiederholungsgefahr geltend machen; dazu kommt Fluchtgefahr – so schrieb Marsalek in Chats, er habe Martin Weiss nach Dubai "evakuieren" lassen. Deshalb dürfte die Untersuchungshaft bei Ott wohl länger dauern. Laut "Krone" habe Ott auch ein Teilgeständnis abgelegt. Das stellte das Wiener Landesgericht umgehend in Abrede. Vielmehr habe Ott den Vorwurf der nachrichtendienstlichen Tätigkeit zum Nachteil der Republik gegen ihn zurückgewiesen. Insofern sei er "zum Kern der Vorwürfe vor dem Journalrichter nicht geständig" gewesen, hieß es.

Brisant wird es spätestens im Herbst wieder: Dann steht in London die Gerichtsverhandlungen gegen die sechs bulgarischstämmigen Agenten an, die Marsalek dirigiert hat – und die wohl in Wien vorbeischauten, um die von Ott gelieferten Geräte an sich zu nehmen. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. (Fabian Schmid, 2.4.2024)