Der Spionageskandal rund um frühere Verfassungsschützer und ihre Zusammenarbeit mit Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Offenbar wurden die gespiegelten Inhalte von Smartphones dreier (Ex-)Spitzenbeamter aus dem Innenministerium an russische Geheimdienste übermittelt. Die Übergabe soll im Sommer 2022 durch den Ex-Verfassungsschützer Egisto Ott erfolgt sein.

Ott lieferte über einen weiteren Ex-BVT-Beamten Informationen an Jan Marsalek.
IMAGO/Sven Simon

Die Informationen über die Weitergabe der Smartphone-Inhalte – mutmaßlich an den russischen Inlandsgeheimdienst FSB – sollen schon vor einigen Wochen aus Großbritannien gekommen sein. Dort wird gegen den früheren Wirecard-Manager Jan Marsalek ermittelt, der mutmaßlich seit mehr als einem Jahrzehnt mit russischen Diensten kooperiert.

Marsalek soll eine Gruppe bulgarischer Agenten befehligt haben, die unter anderem in Großbritannien für Russland spioniert haben. Die britischen Ermittler stellten zahlreiche Chats zwischen Marsalek und seinen Untergebenen sicher.

Handys beim FSB

Bei den gestohlenen Smartphones handelt es sich um die Geräte von Michael Kloibmüller, der jahrelang Kabinettschef im Innenministerium war; von Michael Takacs, mittlerweile Bundespolizeidirektor; sowie von Gernot Maier, Direktor des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl.

Den Betroffenen sei schon vor einigen Tagen mitgeteilt worden, dass "ihre Handys" beim russischen Geheimdienst lägen, heißt es aus deren Umfeld.

Die drei Handys waren 2017 Opfer eines Unfalls geworden: Bei einem Ausflug des Innenministeriums war ein Kanu gekentert, die Smartphones fielen ins Wasser. Daraufhin wurde ein IT-Techniker des Verfassungsschutzes gebeten, die Diensthandys zu reparieren. Der fertigte offenbar Kopien der Geräte an und gab sie an Egisto Ott und andere weiter – auch gegen ihn wird ermittelt.

Chats aus dem Smartphone von Kloibmüller gelangten auch an die Staatsanwaltschaft (StA) und an Medien, etwa an Peter Pilz' "Zackzack.at" und den STANDARD. Sie führten wegen des Verdachts der Postenkorruption zu Ermittlungen gegen Kloibmüller und Ex-Innenminister Wolfgang Sobotka, wobei das Verfahren gegen Letzteren bereits eingestellt wurde.

Über BVT-Netzwerk verteilt

Inhalte aus den Smartphones von Takacs und Maier wurden nicht publik. Offenbar gelang es der Gruppe um Ott nicht, diese aufzubrechen und auszulesen. Womöglich wurden sie auch deshalb an russische Geheimdienste weitergegeben.

Gegen Ott laufen seit rund sieben Jahren Ermittlungen, ihm wird eine Vielzahl von Delikten vorgeworfen. Im Grunde vermutet die Staatsanwaltschaft, dass Ott seine Position als Verfassungsschützer missbraucht hat, um Daten abzugreifen und zu verkaufen. Abnehmer war der frühere BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss, der wiederum im Sold von Jan Marsalek stand. Auch eine zweite Person wurde laut Staatsanwaltschaft Wien festgenommen. Um wen es sich dabei handelt, wollte Behördensprecherin Nina Bussek allerdings vorerst nicht bestätigen. Noch offen ist, ob ein Antrag auf Verhängung der U-Haft gestellt wird. Dafür hat die StA grundsätzlich 48 Stunden Zeit – also noch bis zum Ostersonntag.

Zuträger für Marsalek

Eine monatelange Recherche von STANDARD, "Spiegel" und ZDF hatte zuletzt enthüllt, dass Marsalek seit vermutlich einem Jahrzehnt Kontakte zu russischen Nachrichtendienstlern hat. Schon zu seiner Zeit als Vorstand des deutschen Finanzdienstleisters Wirecard dürfte Marsalek mit Russland zusammengearbeitet haben. Nach dem spektakulären Zusammenbruch des Konzerns floh der gebürtige Wiener nach Russland, wo er nun mit neuer Identität lebt und offenbar weiterhin für russische Dienste tätig ist. Ott hat stets bestritten, für Russland spioniert zu haben, und es gilt die Unschuldsvermutung. Der genaue Grund für die Festnahme ließ sich am Freitag nicht eruieren. Ott war bereits 2021 in U-Haft gesessen, daraufhin jedoch wieder freigelassen worden.

Ott wird von Ermittlern gemeinsam mit Ex-BVT-Abteilungsleiter Weiss einer "Zelle" zugeordnet, die im Auftrag Marsaleks Geheimnisse nach außen trug und den eigenen Arbeitgeber sabotierte. Ohne Ott und Weiss hätte es die skandalöse Razzia im Verfassungsschutz unter Herbert Kickl, damals Innenminister, heute FPÖ-Chef, wohl nie gegeben. Laut einem linguistischen Gutachten soll Ott das anonyme Konvolut voller Vorwürfe verfasst haben, das damals zu den Ermittlungen geführt hatte. Ott bestreitet das.

Otto Dietrich ist der Anwalt des ehemaligen Referatsleiters Nachrichtendienst im BVT, gegen den aufgrund des Konvoluts jahrelang durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt worden ist. "Seit dem Beginn der Ermittlungen der WKStA im Jahr 2018 gegen Mitarbeiter des BVT und insbesondere gegen meinen Mandanten haben wir darauf hingewiesen, wer die wirklichen Urheber des Anschlags auf die Staatspolizei sind. Sämtliche unserer Hinweise sind von der fallführenden Staatsanwältin in der WKStA ignoriert worden, weil man dieses Programm gegen meinen Mandanten jedenfalls durchziehen wollte", sagt Dietrich zum STANDARD.

Sein Mandant sei zwar rechtskräftig freigesprochen worden, stehe jedoch vor den Trümmern seiner Existenz. "Es ist mittlerweile bekannt, dass der festgenommene Egisto Ott Spionage gegen meinen Mandanten, seine Familie und seinen Arbeitsbereich durchgeführt hat. Diese Festnahme kann nur der erste Schritt zur vollständigen Aufklärung sein. Es ist zu hoffen, dass die Staatsanwaltschaft Wien nun auch endlich die Rolle des untergetauchten Abteilungsleiters Martin Weiss, der weiteren Mittäter und schließlich die Involvierung der FPÖ eingehend untersucht", fordert Dietrich.

Erst nach dem Wirecard-Crash und Marsaleks eiliger Flucht war aufgeflogen, dass Ott und Weiss jahrelang Informationen aus dem Inneren des Verfassungsschutzes verkauft haben sollen. Im tausende Seiten dicken Ermittlungsakt wird auch minutiös rekonstruiert, wen die beiden "nachrichtendienstlich aufgeklärt" haben. Darunter sind etwa die Lebensgefährtin des russischen Oligarchen Arkadi Rotenberg, ein kasachischer Oppositioneller und der bulgarische Investigativjournalist Christo Grozev. Hilfreich für Otts Erfüllung der Aufträge dürfte auch seine frühere Tätigkeit als Polizeiattaché in Italien gewesen sein.

Grüne und Neos fordern Aufklärung

Die Grünen fordern im Licht der aktuellen Ereignisse die Einberufung des Nationalen Sicherheitsrates. "Die stückweise Aufdeckung der Netzwerke Russlands nach Österreich zeigt ein erschreckendes Bild. Auch die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses zum rot-blauen Machtmissbrauch zeigen deutlich, wie politische Parteien offenbar der verlängerte Arm des Kreml sind und für Russland arbeiten", sagt der grüne Abgeordnete David Stögmüller. Marsalek habe Beamte "gebraucht, gesucht und gefunden. Im öffentlichen Dienst und auch in politischen Parteien." Russland habe in Österreich einen Nährboden für Propaganda und Spionage vorgefunden. "Die Strache- und Kickl-FPÖ arbeitet seit Jahren nicht für Österreich, sondern in Wahrheit für Russland und seinen skrupellosen Diktator. Das ist eine gefährliche Bedrohung für unser Land", sagte zudem die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer.

Stögmüller und Maurer sehen eine höchst bedenkliche Sicherheitslücke in Österreich. Sie wollen Aufklärung zu mehreren Fragen: "Wie konnten diese Smartphones still und leise nach Russland gelangen und diese Tat so lange unbemerkt bleiben? Wie hoch ist die Sicherheitsgefahr für Österreich? Und was kann die Bundesregierung gegen diese russische Einflussnahme unternehmen?

Auch Neos-Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper fordert Aufklärung: "Es ist höchst an der Zeit, dass ÖVP und Grüne entschiedener gegen Spionage auf österreichischem Boden vorgehen. Spione haben die Wahrnehmung, dass sie in Österreich unbehelligt tätig sein können. Damit muss endlich Schluss sein." Die jüngsten Entwicklungen würden auch zeigen, dass es dringend eine weitere Sitzung des Geheimdienstausschusses brauche. Sie solle sich ausschließlich dem Thema "Russland-Spionage und politische Einflussnahme" widmen und müsse ehestmöglich stattfinden.

ÖVP ortet "rot-blaues Netzwerk"

"Das rot-blaue Netzwerk wird schrittweise offengelegt", sagte dagegen ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. "Der ehemalige BVT-Mitarbeiter Ott soll sich laut 'Presse' in der Vergangenheit selbst als aktives SPÖ-Mitglied bezeichnet haben. Wie aus Medienberichten zu erfahren ist, pflegte Egisto Ott aber in seiner Zeit im BVT auch Kontakt zu Spitzenfunktionären der FPÖ." Vor allem die Rolle der FPÖ gelte es nun aufzuklären. Das BVT sei unter Kickl schließlich zerstört worden. Der blaue Parteiobmann müsse nun für Aufklärung sorgen.

„Jetzt ist es notwendig, dass die zuständige Staatsanwaltschaft ermittelt. Für die Volkspartei zeigt sich einmal mehr, dass Herbert Kickl ein Sicherheitsrisiko darstellt." Nur ein Innenminister der Volkspartei würde verhindern, dass Österreich "ein trojanisches Pferd Russlands in Europa ist", sagte Stocker. (Fabian Schmid, Michael Nikbakhsh, Martin Tschiderer, 29.3.2024)