Er soll als Verfassungsschützer Befehle aus Moskau empfangen, gestohlene Smartphones von Spitzenbeamten an Spione verkauft und bei der Jagd auf einen Kreml-kritischen Journalisten mitgemacht haben: Der langjährige Polizist Egisto Ott gilt mittlerweile als Gottseibeiuns der Sicherheitsbehörden. Wie wurde der bullige Kärntner mit besten Kontakten ins In- und Ausland zum mutmaßlichen Doppelagenten?

Die Antiterrorgruppe

Ruhig war es in der langen Karriere von Egisto Ott fast nie. In Archiven taucht sein Name schon in den 1990er-Jahren rund um Polizeiskandale auf. Nach ersten Stationen als Polizist ist Ott seit 1993 Mitglied der Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus (EBT), der Vorgängerin des Verfassungsschutzes. In einer Art Memoiren, die bei Ott gefunden wurden, heißt es, er sei damals für den Bereich "Spionageabwehr GUS-Staaten", also für Russland und andere Ex-Sowjetstaaten, zuständig gewesen. Der spätere BVT-Direktor Peter Gridling habe Ott schon damals "diskreditiert"; die FPÖ warf ihm vor, Daten über den Innenminister Caspar Einem (SPÖ) vernichtet zu haben. Schon früh fällt Ott mit seiner rabiaten Art auf.

Das Netzwerk um Egisto Ott (vorne): Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek (hinten) und dessen Bekannte Tatjana Spiridonowa, die beste Verbindungen zum FSB

Rom, Ankara und die Rückkehr

Ein beliebter Weg, um in Österreich mit schwierigen Charakteren umzugehen, ist, sie ins Ausland zu schicken. So geschieht es auch bei Ott. Zunächst wird er ab 2001 Verbindungsbeamter in Italien, 2010 bis 2012 dann in der Türkei. Skandale liefert er weiterhin. Am Bosporus soll er in einem Konflikt zwischen Red Bull und einem Geschäftspartner interveniert haben, was zu Beschwerden des Getränkeherstellers führte.

Wie eine heiße Kartoffel wird Ott nach seiner Rückkehr aus Ankara von einer Dienststelle in die andere verschoben, selbst die Ermittler können seine Zuständigkeiten nicht glasklar rekonstruieren. Zunächst ist er im Bereich Fremdenwesen tätig, von 2013 bis 2015 ermittelt er im BVT im Bereich Jihadismus.

Ab 2015 knüpft Ott dann offenbar enge Bande zum langjährigen BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss. Viele Jahre später wird es in Ermittlungsakten heißen, Ott und Weiss hätten eine "nachrichtendienstliche Zelle" gebildet, deren Kapazitäten sich russische Dienste bedient hätten. Ott wird 2015 zum persönlichen Assistenten von Weiss, kommt im Migrationsstab zum Einsatz und führt drei verdeckte Ermittler im Verfassungsschutz.

Ein schwerwiegender Verdacht

Im Jänner 2017 wird die Luft für Ott erstmals sehr dünn. Ein ausländischer Geheimdienst warnt BVT-Chef Gridling mit Nachdruck vor seinem Mitarbeiter. So spioniert Ott einem abtrünnigen früheren Agenten des russischen Geheimdiensts FSB hinterher. Er erhält Dokumente, die laut Ermittlern nur direkt aus Moskau kommen können. "Ich würde noch hinzufügen, als ehemaliger Mitarbeiter des FSB (...), dass Egisto Ott und der FSB sehr professionell gearbeitet haben", sagt der ausgespähte Mann später.

Chats, die bei Ott gefunden wurden, legen nahe, dass schon damals sein Vorgesetzter Martin Weiss in die Spionage für Russland eingebunden ist. Weiss, der damals die wichtige Abteilung 2 leitet, ist zu der Zeit immer wieder im Krankenstand und bereitet bereits seinen Wechsel in die Privatwirtschaft vor: zu Wirecard-Manager Jan Marsalek.

Blaue Machtübernahme

Als der heutige FPÖ-Chef Herbert Kickl im Dezember 2017 Innenminister wird, sind Ott und Weiss schon nicht mehr im BVT. Dennoch werden sie eine wichtige Rolle in der Ära Kickl spielen. Damals kursiert gerade ein Konvolut mit heftigen Vorwürfen gegen Beamte in Ministerium und BVT; die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt. Heute vermuten Ermittler aufgrund eines Gutachtens, dass Ott dieses Dossier verfasst hat. Was noch niemand weiß: Ott und seine Zuträger haben mittlerweile auch die Smartphones dreier Spitzenbeamter eingesackelt.

Kickl und Goldgruber 
Herbert Kickl (rechts) mit seinem Generalsekretär Peter Goldgruber
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Das Büro Kickl bedrängt die WKStA, den Vorwürfen in dem Konvolut stärker nachzugehen; als Belastungszeuge wird Weiss vorstellig. Es folgt im Februar 2018 die berüchtigte Razzia im BVT samt der zeitweisen Suspendierung hochrangiger Beamter wie Gridling. Ott plant derweil einen Mini-Geheimdienst im Außenministerium von Karin Kneissl (FPÖ).

Mehr Abfragen, erneuter Verdacht

Mitte 2018 wird Otts Suspendierung aufgehoben, er wird in die Sicherheitsakademie (Siak) versetzt. In dieser Zeit späht Ott für den bei Marsalek tätigen Weiss hunderte Personen aus, viele davon mit Bezug zu Russland. Teils wird er direkt von Stanislav Petlinsky kontaktiert, einem Mann mit besten Verbindungen in russische Sicherheitskreise, der eine Art Mentor für Jan Marsalek gewesen sein soll. Auch der Investigativjournalist Christo Grozev gerät ins Visier von Ott.

Im Jänner 2021 fliegen Ott seine heimlichen Abfragen erneut um die Ohren. Ein halbes Jahr zuvor war Marsalek nach dem Zusammenbruch der deutschen Wirecard mit Weiss’ Hilfe nach Moskau geflohen. Deshalb wird Weiss im Jänner 2021 kurzzeitig festgenommen. In seiner Befragung gibt er zu, im Auftrag von Marsalek Personenabfragen bei Ott bestellt zu haben. Es kommt zur neuerlichen Hausdurchsuchung bei dem Polizisten, die Auswertung der gefundenen Datensätze füllt nun mehrere Tausend Seiten.

Während Ott in U-Haft kommt, überzeugt Weiss die Behörden, nicht fliehen zu wollen. Er darf nach Dubai ausreisen, wo er mittlerweile wohnt. In Chats spricht Marsalek später davon, dass er Weiss in die Emirate "evakuiert" habe. Die Chance, dass Weiss jemals in Österreich vor Gericht stehen wird, schätzen Sicherheitskreise als nahezu null ein.

Die Marsalek-Bande

Trotz intensiver Ermittlungen machen Ott und Weiss offenbar weiter wie zuvor. Oder eher: Sie sind noch skrupelloser. Das weiß man dank britischer Ermittler: Denen gehen im Frühjahr 2023 sechs bulgarischstämmige Agenten ins Netz, die für russische Geheimdienste in Europa unterwegs gewesen sind. 80.000 Telegram-Chats werden sichergestellt. Sie zeigen, dass Jan Marsalek mittlerweile von Moskau aus den Spionagering anleitet – und ihn auch nach Wien zu Ott lotst. Am 10. Juni 2022 holen die Spione in Floridsdorf bei Ott die gestohlenen Smartphones der drei Spitzenbeamten ab. Tags darauf brechen sie in die Wohnung des Investigativjournalisten Christo Grozev ein, die Ott im Jahr zuvor ausgespäht hat, und klauen einen Laptop und USB-Sticks. Einige Wochen später holen die Agenten dann bei Ott einen schwer verschlüsselten Laptop ab, der vor allem bei deutschen Sicherheitsbehörden zum Einsatz kommt.

Der Investigativjournalist und Spiegel-Mitarbeiter Christo Grozev
APA/AFP/JULIEN DE ROSA

Über Bulgarien und Istanbul werden die Geräte vermutlich nach Moskau gebracht. In der Türkei holt sie eine gute Bekannte von Marsalek ab, die mit ihm auch schon auf Urlaub gefahren ist: Tatjana Spiridonowa. Sie dürfte Verbindungen zum Inlandsgeheimdienst FSB haben, für den Marsalek vor allem tätig ist.

Vor einigen Wochen gelangen diese Informationen von Großbritannien nach Österreich – und die Ermittler haben endlich genug, um Ott dingfest zu machen. Kurz vor Ostern wird er festgenommen und in Untersuchungshaft gebracht. Dort wird er wohl lange bleiben – zu dreist hat er trotz der vielfältigen Ermittlungen gegen ihn agiert; zu groß ist die Fluchtgefahr. Es gilt die Unschuldsvermutung, Ott äußert sich zu den Vorwürfen kaum. Nun stehen Politik und Behörden vor dem Trümmerhaufen, den Ott, Weiss und Marsalek angerichtet haben – und wieder einmal fragen Partnerdienste, wie Wien das passieren konnte. (Fabian Schmid, 5.4.2024)