Bundeskanzler Karl Nehammer tritt erneut den Plänen Frankreichs entgegen. Gerade noch hatte Präsident Emmanuel Macron auf "strategische Mehrdeutigkeit" gepocht und auch den Einsatz westlicher Truppen in der Ukraine demonstrativ nicht ausgeschlossen – da widerspricht ihm Österreichs Kanzler in einem Interview ausgerechnet mit der französischen Zeitung "Le Figaro". Man sei zwar innerhalb der EU einer Meinung, was die grundsätzliche Unterstützung der Ukraine betreffe. Auch sehe man in Wien ebenso wie in Frankreich die Gefahr von Einflusskampagnen im eigenen Land, etwa bei der EU-Wahl. Diese seien "eine Bedrohung für ganz Europa".

Nicht nur bei der Uno klafft ein großer Abstand zwischen Russland und der Ukraine. Auch Gesprächen stehen vorerst unüberbrückbare Differenzen im Wege.
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Bei der Frage, wie man Russland entgegentreten solle, gebe es aber deutliche Auffassungsunterschiede. Macron stehe für das "Abschreckungsprinzip", und das habe auch manches für sich. Österreich aber poche zusätzlich auch auf ein "Vorsichtsprinzip", um eine unkontrollierte Eskalation zu vermeiden, wie Nehammer es ausdrückt.

Der Kanzler bedauert in dem Gespräch auch, dass es derzeit keine Möglichkeit für Russland und die Ukraine gebe, direkte Gespräche miteinander zu führen. Das sei, gleich nach Ausbruch des Krieges, noch anders gewesen – etwa damals, als er als erster westlicher Staatschef nach Kriegsbeginn zu Putin nach Moskau gereist sei. Mittlerweile sei auf russischer Seite aber keinerlei Verhandlungsbereitschaft mehr auszumachen. Zugleich müsse man in Europa aber auch erkennen, dass es ohne Russland keinen Frieden geben könne. Daraus folge: "Es ist eine schwer zu lösende Situation, aber die Wiederaufnahme des Dialogs, wenn der Tag kommt, ist eine Notwendigkeit".

Viele Knackpunkte

Welche Verhandlungen gab und gibt es aber mit Russland – und woran kranken sie tatsächlich? Dafür lohnt sich ein Blick in die ersten Kriegswochen, als die Vertreter der beiden Parteien tatsächlich gleich im März zu Gesprächen aufeinandertrafen. Verhandlungsorte waren damals Belarus und die Türkei, die Erwartungen stark gedämpft. Und die Ausgangslage war noch eine andere. Die Ukraine hatte gerade überraschend erfolgreich Russland an der Eroberung Kiews und anderer größerer Städte im Osten und Norden des Landes gehindert. Russland hatte die vier Regionen der Ukraine, die es später zu Staatsgebiet erklärte, noch nicht annektiert. Die schweren Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen von Butscha waren noch nicht bekannt, andere noch nicht einmal verübt.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine "Friedensformel" vorgestellt. Die Bedingungen für Gespräche will aber Russland nicht erfüllen.
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Schon damals aber stockten die Gespräche an einem fundamentalen Gegensatz. Russischen Forderungen nach Neutralität statt Nato hätte die Ukraine womöglich nachgeben können, auch Waffenbeschränkungen im Gegenzug zu glaubhaften Sicherheitsgarantieren wären für Kiew wohl umsetzbar gewesen. Doch Verhandlungen mit Moskau zu führen, während dieses Teile des Landes besetzt hält, und auch nicht bereit ist, auf diese ukrainischen Gebiete wieder zu verzichten – das war aus Kiewer Sicht nicht akzeptabel und bleibt es auch bis heute. Die Situation auf dem Boden hat sich seither aber mehrfach verschoben. Zunächst schien Kiew zu Beginn 2023 deutlich im Vorteil, Waffenlieferungen aus dem Westen und Krach innerhalb der russischen Streitkräfte gaben der Ukraine zusätzliche Zuversicht. Mittlerweile ist wieder Kiew deutlich in der Defensive. Und Russland sieht auch deshalb, nach den Worten Präsident Putins, keinen Anreiz, gerade jetzt Gespräche zu führen.

Kaum Annäherung

So ähnlich beurteilen dies, dem Vernehmen nach, auch jene Vermittler, die im Auftrag der chinesischen Regierung seit Mai 2023 in Gesprächen mit beiden Seiten nach einer möglichen Lösung suchen. Der Sondergesandte Li Hui reist seither eifrig zwischen den beiden Staaten hin und her, hat bisher aber wenig Konkretes auf die Beine stellen können. Dazu kommt, dass China zwar von der Ukraine umgarnt, von vielen im Westen wegen der offen zur Schau gestellten autoritären Partnerschaft zwischen den Präsidenten Xi Jinping und Wladimir Putin nicht als geeigneter Vermittler empfunden wird. Daneben laufen offenbar auch abseits der Öffentlichkeit weitere informelle Gespräche und Vermittlungen zwischen den Kriegsparteien. Auch sie lassen aber, wie es heißt, wenig Raum für eine Annäherung erkennen.

Kanzler Nehammer beim EU-Gipfel vorige Woche mit Ratspräsident Charles Michel und UN-Generalsekretär Antonio Guterres.
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Bleibt schließlich jener Friedensgipfel, der auf Wunsch der Ukraine im Mai in der Schweiz organisiert wird. Eingeladen sollen dort nur Staaten sein, die die "territoriale Integrität" der Ukraine akzeptieren – Russlands Annexion von Krim und vier Regionen also nicht gutzuheißen bereit seien. Die Konferenz basiert schließlich auf der "Friedensformel", die Präsident Wolodymyr Selenskyj schon im vorigen Jahr vorgestellt hat, und die genau dies vorsieht. Ziel ist es dort also eher, die Unterstützung für die Forderungen Kiews noch einmal zu bekräftigen. Russland ist nicht eingeladen und hat dennoch auch von sich aus schon eine Absage geteilt. Der Tag, den Nehammer in seinem Interview erwähnt, könnte also noch einige Zeit entfernt liegen. (Manuel Escher, 7.4.2024)