Vieles ist in der Praterstraße im zweiten Bezirk im Umbruch. Zuerst das Offensichtliche: Der mittlerweile verbreiterte Zweirichtungsradweg wurde von Scooterfahrern, Rennradfahrerinnen, Essenslieferanten und Lastenradlerinnen längst in Besitz genommen. Bis zum Herbst wird noch der Radweg stadteinwärts verbreitert. Geplant sind außerdem Bäume, Grünflächen, Trinkbrunnen, Bänke und Fahrradabstellplätze.

Bis Herbst wird noch gebaut in der Praterstraße.
Zoidl

Und dann gibt es noch Veränderungen, die nicht mit Baggern und Baustellenlärm einhergehen. Denn wo noch vor wenigen Jahren Leerstand und Ramsch auf dem Vormarsch waren, entwickelt sich eine neue Hipstermeile mit Schanigärten, gehyptem Brot, Radgeschäften und Pop-ups. "Die Gegend wurde schon ordentlich gentrifiziert", erzählt Ulla, eine Anrainerin, die seit vier Jahren in der Praterstraße wohnt und die Entwicklung mit dem siebenten Bezirk, Inbegriff des Hipstertums, vergleicht.

Schlange stehen

Zumindest steht man da wie dort samstags in der Schlange für frisches Brot. Auch an der Praterstraße gibt es seit einigen Monaten eine Öfferl-Filiale. Wirklich aus dem Takt gerät das Hipsterherz aber vor allem in der Kleinen Praterstraße, das ist jener Abschnitt zwischen Aspernbrückengasse und Großer Mohrengasse unweit des Donaukanals, wo bei den ersten Sonnenstrahlen die Tische in den Schanigärten schon voll sind und man sich – je nachdem, wen man fragt – angeblich wahlweise wie in Italien oder Paris fühlt.

Das Team von Mama Matters: Katharina Müllner, Delia Wieser und Katharina Griesbacher.
Mama Matters

Hier ist seit zweieinhalb Jahren das Geschäft Mama Matters anzutreffen, in dem sich mit Biostilleinlagen, Sitzbädern und Kissensprays alles um das Wohlbefinden von Müttern dreht. Das Geschäft ist lange leergestanden, erzählt Delia Wieser, eine der Gründerinnen, "dann haben wir uns in die Holzfassade verliebt". Ein paar Häuser weiter ist seit einem Jahr das Designstudio Freude zu Hause. Das Besondere: Das Designbüro selbst ist im hinteren Teil des Lokals, vorn, durch eine Teeküche und einen Vorhang vom Büro getrennt, befindet sich das Pop14, ein Raum für Pop-ups. "Die Grundidee war: Wir wollen kein klassisches Büro, sondern in Kontakt mit der Nachbarschaft kommen", erzählt Simon Pointner, einer der Gründer. Aktuell ist Eliott Clotail-Hofmann eingemietet, der Notizbücher und selbstdesignte T-Shirts im Angebot hat. "Das ganze Jahr ist ausgebucht", sagt Pointner, auch für 2025 gibt es schon Mieter.

Passend zum Rad-Highway an der Praterstraße ist auch die Dichte von Radgeschäften hoch, schräg gegenüber vom Designstudio bietet etwa das Veletage Rennräder und Gravelbikes feil, hier beginnt mit den warmen Temperaturen gerade wieder die Hochsaison.

Seit zehn Jahren gehört "Balthasar" (im Bild: Theresia Bayer) zum Grätzel.
Zoidl

Eine große Rolle spielt in Einkaufsstraßen heute auch die Gastronomie. Das Mochi und das Café Ansari haben vor zwölf Jahren den Anfang gemacht, zu ihnen haben sich etwa das Ramasuri und das Lokal Goldener Papagei gesellt. Vom Standort an der Praterstraße habe man ihrem Vater vor zehn Jahren noch abgeraten, erzählt Theresia Bayer von der Kaffeebar Balthasar. Er habe sich dennoch nach Baugefühl für das Lokal entschieden, in dem früher eine Videothek war: "Er hat den Ort schon damals als charmant empfunden."

Die Touristen kommen

Und weil das mittlerweile auch andere so sehen, haben die Mieten für Geschäftsflächen ordentlich angezogen. Bei 20 bis 30 Euro pro Quadratmeter liegen diese mittlerweile, sagt der Makler Mario Schwaiger von EHL Immobilien. Ein großer Vorteil der Praterstraße sind für ihn die alten Gründerzeithäuser mit den großen Schaufenstern im Erdgeschoß. Mehrere Unternehmen seien derzeit auf der Suche nach Flächen.

Auch Hannes Lindner vom Beratungsunternehmen Standort+Markt ist von der Praterstraße überzeugt. Ein großer Vorteil sei ihre Lage unweit des ersten Bezirks: Auch Touristinnen und Touristen, die die City eh schon kennen, würden von den Lokalen angelockt. "Man hat die Praterstraße lange abgeschrieben", sagt Lindner, "aber sie hat die Chance, sich zu einem buntgemischten Boulevard zu entwickeln."

Auch weil es in der Straße einige Traditionsunternehmen gibt. In Tonys Laufshop werden Läuferinnen und Läufer seit 1983 beraten. Das Dessousgeschäft Anita gibt es bereits seit 90 Jahren. Dagmar Cholewa hat es von ihrer Mutter übernommen. Die Entwicklung der Praterstraße sieht sie positiv. "Aber meine Kunden kommen nicht mit dem Rad", sagt sie mit Blick auf die Baustelle vor ihrem Schaufenster. "Die kommen mit dem Auto."

Auch das Radgeschäft Veletage (im Bild: Christina Ladinik) gehört zum Grätzel.
Zoidl

Das junge Publikum sei nicht unbedingt ihre Zielgruppe: "Die tragen Baumwollunterwäsche." Seit kurzem ist immerhin der Gehweg vor ihrem Geschäft wieder frei zugänglich, denn im April wird Bademode gekauft, gerade ist eine Lieferung hereingekommen.

Weniger Parkplätze

Auch Foto Soyka ist ein Familienbetrieb, der von Thomas Soyka in dritter Generation geführt wird. In vielen Geschäften würde man nun darauf hoffen, dass die bessere Radinfrastruktur mehr Menschen in die Praterstraße bringt. Soyka ist da skeptisch: "Das ist ein Rad-Highway, die werden alle durchrasen." Er befürchtet auch Unfälle – etwa weil Zebrastreifen auf den Radwegen fehlen. Auch Anrainer berichten, dass nicht alle Verkehrsteilnehmern aufeinander Rücksicht nehmen würden. Während sich die einen als nächsten Schritt, wie von den Grünen vorgeschlagen, nun eine Begegnungszone nach Vorbild der Mariahilfer Straße in der Kleinen Praterstraße wünschen, sorgen sich manche Alteingesessene wegen der Parkplätze.

Hinten befindet sich das Designstudio Freude, vorne das POP14 für temporäre Konzepte.
Paul Sebesta

Das Ende der Bauarbeiten wird nun aber von allen sehnsüchtig erwartet. Theresia Bayer vom Balthasar sieht all den Lärm und Staub der letzten Monate dennoch pragmatisch: "Es braucht eine Baustelle, damit Neues entsteht." (Franziska Zoidl, 9.4.2024)